Marienkäfertanz

Ich bin genervt. Das wird, glaube ich, nun mein Dauerzustand. Man gewöhnt sich ja an so vieles, wieso nicht auch daran? Dabei ist es ja auch ein Phänomen, das eine eigene Dynamik entwickelt. Wenn man angepisst ist, nervt einen nahezu auch alles und jeder. Oder man steigert sich so in sein Genervtsein rein. Was rede ich eigentlich von „man“? Ich. Genau, ich steigere mich in mein Mimimi rein. Mein Chef hat es nämlich immer noch nicht geschafft, zu einem Gespräch einzuladen. Es fühlt sich so an, als würde ich schlichtweg nicht existieren. Und dieses Gefühl kenne ich aus der Kindheit zu genüge. Das beherrschte mein Vater wie kein Zweiter. Da wurde ich gerne tage-, wochen- und manchmal auch monatelang ignoriert. Darüber kann man schlicht abdrehen, sage ich Euch. Und je mehr ich mich bemüht und abgestrampelt habe, umso mehr schmerzte die fortwährende Ignoranz mich. Ihr seht: Ich sehe schon auch meinen Anteil an dem Ganzen.

Und trotzdem…mein Chef kann ja auch anders, wie ich wahrnehme. Den neuen Kollegen pämpert er regelrecht. Da höre ich in allgemeinen Meetings: „Wir sehen uns dann gleich. Dann kannst Du mir Dein Feedback hierzu geben.“ Oder: „Wir setzen uns ja jetzt gleich zusammen, dann zeige ich Dir das.“ Das bockige, kleine, zurückgewiesene Kind in mir möchte mit Möhrenmatsch losprusten, um alles drumherum so richtig schön einzusauen, damit ich vielleicht so wenigstens wahrgenommen werde. Der erwachsene Anteil ist da durchaus vernünftiger und flüstert mir ins Ohr: „Schätzelein, dann müsstest Du erstmal die Möhren schälen, kochen und stampfen. Und nach all der Arbeit willst Du das dann rausprusten? Wer macht das dann weg? Du, richtig. Und all diese Mühe noch mal wofür?“ Das bockige Etwas stampft innerlich mit dem Fuß ganz fest auf den Boden – allein, es hilft ihm nicht.

Und so drehe ich mich weiter in meine Haltung rein. Klar sehe ich, was auch auf der anderen Seite durchaus schiefläuft. Aber ich sehe auch mich in meiner „ich bin sooooo allein“-Haltung. Eine Freundin rät mir, ich solle doch einfach einen Termin einstellen und nicht jedes Mal darauf hoffen, dass er es dann endlich mal tut und einen Teil von mir bestätigt (und demnach befriedigt) sehen, wenn er es natürlich wieder mal verbummelt hat. Doch ich will den Schritt nicht auch noch tun, denn ich befürchte, er könnte es mir übelnehmen, wenn ich seine Aufgabe nehme und ihm damit aufs Brot schmiere, was er nicht erledigt hat. Heidanei, so ein Pupskram, der doch so groß geworden ist. Mittlerweile bin ich innerlich schon soweit, erstmalig ein Unternehmen in der Probezeit zu verlassen. Obwohl ich wirklich viele, viele Ansätze sehe, wo ich wirken könnte, was mir Spaß bereiten würde.
Doch da kommt dann – endlich! – die Einladung zu einem Gespräch am nächsten Tag. Im ersten Moment habe ich innerlich Kirmes und schreie laut auf dem Riesenrad sitzend: „GEHT DOCH!“ Was mich dennoch nicht davon abhält, meine innere Wut weiter zu befeuern. Was werde ich doch unfair behandelt! Und überhaupt! Jaja, sehr erwachsen, das weiß ich selbst. Aber kommt mal aus diesem Böckchenmodus raus, wenn Ihr einmal so daherstolziert. Abends treffe ich dann eine ehemalige Kollegin und Freundin. Und da will die auch noch, dass wir zufuß zum Restaurant laufen! Also keine Schuhe mit Absatz, sondern Turnschuhe. Das Leben ist aber auch so was von ungerecht.
Ich stapfe die Treppen hinab und warte draußen in der Sonne, was schon mal etwas gemütsberuhigend auf mich einwirkt. Und dann beobachte ich einen älteren Mann mit einem kleinen Mädchen. Die Kleine ist vielleicht drei Jahre alt. Völlig verzückt geht sie in die Hocke und spricht in einer mir leider nicht bekannten Sprache mit etwas, das da krabbelt. Ich schaue hin und entdecke einen Marienkäfer. Die sind ja aber auch mal süß! Oppa steht geduldig daneben und lässt die Kleine schwelgen. Ich schwöre, solche Töne können auch echt nur kleine Mädchen rauslassen. Dabei muss ich schmunzeln. Und das ist blöd, weil sich aufregen und schmunzeln geht gleichzeitig so schlecht. Ein wenig Druck fällt kurzfristig von mir ab, und ich denke so: Wieso schaffen wir es als Erwachsene so selten, die schweren, nervigen Dinge beiseitezupacken und uns über die Kleinigkeiten zu freuen? Wann habe ich zuletzt einen Marienkäfer beobachtet und ihm was auch immer zugesäuselt? Ich rede höchstens mit Spinnen, dass sie bitte ihren Pöppes nach draußen schwingen sollen. Oh man…so viel Aufhebens um so was, oder? Also, nicht die Spinne, sondern die Arbeitssituation. Ich will das nicht bagatellisieren, denn es ist anstrengend und schwierig und zäh und überhaupt. Aber es gibt eben auch noch anderes drumherum.

Heute grummelt dann mein Magen. Kurz vorher telefoniere ich noch mit meiner Sis und sage ihr, dass ich meinem Chef offerieren will, mich einfach arbeitssuchend zu melden. Nicht als Drohung, sondern einfach als Angebot, weil es mir schlichtweg nicht gut geht. Sie kann es sogar verstehen, was mich ungemein entlastet. Und dann startet das Gespräch sehr ruhig, mein Chef fragt mich, wie es mir geht, und ich bin ehrlich: „Schlecht.“ Er schaut mich völlig überrascht an. Ich frage ihn, wie er unsere Zusammenarbeit sehe? Er fragt noch mal nach – ich meine seine und meine? Ja. „Mmmmh, sehr gut so weit. Wir haben nicht viel miteinander zu tun, aber das, was ich mitbekomme, finde ich sehr gut.“ Wie können Wahrnehmungen so auseinanderdriften? Aber dann fragt er, wie ich es denn sehe? Und so erkläre ich es ihm…sage auch, wie schwer mir das Gespräch falle, was mir auch anzumerken ist. Er fragt nach Beispielen, die ich ihm liefere. Dabei verteidigt er sich keineswegs, nimmt ernst, was ich sage und hört aufmerksam zu. Ich habe sogar den Mut, ihn mit drei Hyopothesen zu konfrontieren:
1. Er glaubt, ich könne ja schon so viel und brauche daher gar keine Unterstützung.
2. Ich mache ihm Angst, verunsichere ihn, weil ich so anders bin, weshalb er mich zu meiden versucht.
3. Wenn vielleicht auch eher unbewusst: Er will mich scheitern sehen, weil ihm meine Heransgehensweise nicht geheuer ist.
Seine Reaktion: „Mmmh, es kann alles sein. Ich muss echt darüber nachdenken. Ja, wir nähern uns auf total konträren Wegen einem Ziel. Und ja, ich glaube definitiv, dass Du so viel Erfahrung hast, dass Du kaum etwas benötigst. Spannend…“ Und ich glaube ihm. Er ist auch echt kein Böser. Er ist eher überfordert. Er fragt auch, was ich mir wünschen würde, wie viel Zeit er für mich zukünftig einplanen solle? „Es geht nicht direkt um Zeit. Es geht um ehrliches Interesse. Fragen, wie: `Wie geht´s Dir gerade? Wie hast Du Dich eingelebt? Was brauchst Du gerade?´ So was in der Art.“ Dabei nickt er. Und ich frage ihn schließlich: „Überfordere ich Dich?“ Puh, ich finde mich mutig. Er nickt und bestätigt: „Unbedingt. Aber mach´ das bitte auch unbedingt weiter!“ Punkte, die ich im Vorfeld angesprochen hatte und bei denen ich das Gefühl hatte, er habe es als Kritik an seiner Person verstanden, hat er als Augenöffner empfunden. Darüber habe er im Nachgang schon mit einigen Leuten geredet, weil ihm dadurch schon manche Erkenntnis gekommen sei. Und dann sagt er etwas, was mich wirklich aus der Fassung bringt: „Du bist auf einem ganz anderen Level unterwegs als wir hier. Keiner von uns könnte so ein Gespräch führen, wie Du das gerade tust. Ich kann Dir bei allem folgen und bin Dir dankbar für die ganzen Hinweise. Ich weiß, ich könnte so ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten niemals so hinbekommen.“ Ich starre ihn sprachlos an, denn ich fühle mich gerade nicht sonderlich souverän. Das Gespräch hätte ich weniger emotional führen können. Ich war ruhig, aber immer nah dran, ein paar Tränen zu verdrücken. Das finde ich jetzt nicht sonderlich erwachsen oder kompetent. Seine Worte tun mir gut, und ich kann sie annehmen. Wenn mir einer Zucker in den Hintern pusten möchte, kann ich damit nicht umgehen. Wenn mich einer lobt, winde ich mich innerlich. Aber so, wie er mir das gerade sagt, kann ich es eben doch gut annehmen.

Macht das jetzt alles gut? Nein. Heilt es alles? Nein. Aber es zeigt, dass viele Missverständnisse ausgeräumt werden können. Wir hängen immer noch auf unterschiedlichen Planeten. Und da ich ihn nicht heiraten will (und er mich auch nicht), müssen wir einander nicht lieben – aber immerhin respektieren. Und ich bewundere ihn für den wirklich souveränen Umgang mit meinem Gesagten. Er war zu keinem Zeitpunkt angepisst, wirkte nicht genervt und war in seiner Haltung mir gegenüber offen. Auch mit dem Satz: „Ich wünschte, ich hätte eine Lösungskarte, die ich ziehen könnte“, zeigt er, wie unsicher er mit der Sitution ist. Dabei habe ich die eine Lösung gar nicht gewollt, weil es die eine Lösung meines Erachtens nach auch so gut wie nie gibt, was ich ihm auch sage. Ich möchte vielmehr, dass er mich sieht und Interesse an mir hat, dass wir uns konstruktiv über Strategien austauschen und kontrovers diskutieren können, damit eben was Größeres entstehen kann als nur unser beider Egos. Daher habe ich wieder etwas Hoffnung geschöpft für die Zukunft.
Anschließend spüre ich, wie unendlich müde ich plötzlich bin. Es ist so, als hätte ich jahrelang nicht mehr vernünftig geschlafen, einen Marathon absolviert und drei Kinder nebenbei bekommen. Alles natürlich völliger Mumpitz. Es ist „nur“ die Anspannung, die gerade abfällt. Also: Öfter mal die Dinge ansprechen, sich nicht in eine Negativspirale drehen und nach süßen Marienkäferchen Ausschau halten, damit man sie verzückt angurren kann. Dann wird alles gut…hoffe ich. Und wenn nicht gut, dann aber zumindest besser.

an meiner Grenze

Lang hat´s gedauert. Und auch jetzt bin ich noch recht platt und habe überlegt, ob mir echt nach Schreiben zumute ist. Denn ja, ich bin richtig erschöpft. Die letzten Wochen haben mich sehr geschlaucht und gebeutelt. Was mich so müde macht, sind meine kreisenden Gedanken, Zweifel und die Frage, was ich eigentlich wirklich will. Da bin ich ganze 46 Jahre alt und kann diese Frage nicht wirklich beantworten. Die Menschen, die einen anstrahlen und voller Inbrunst behaupten, genau zu wissen, was sie wollen, beneide ich. Menschen, die mit sich im Reinen zu sein scheinen, ihren Weg klar vor sich sehen und ihre Heimat gefunden haben. Im Moment passt davon rein gar nichts zu mir.

Letzte Woche habe ich – obwohl ich richtig krank war – gearbeitet. Montags hatte ich Fieber, ab Dienstag hatte ich kaum noch Stimme. Ein Segen, wie manch einer denken könnte (und es vermutlich auch tut). Da mein Chef jedoch Wochen zuvor krank bei der Arbeit war, dachte ich, ich könne bei der ach so wichtigen Strategiewoche des Jahres auch nicht fehlen. Was machen da schon Fieber und eine poplige Grippe aus? Und nicht, dass wir nur tagsüber zusammen waren. Nein, es ging von morgens bis abends mit gemeinsamem Abendessen und Weiterarbeiten. Vor 22:00/22:30 Uhr war ich nie in meinem Hotelzimmer. Dazu wurde den lieben langen Tag Englisch gesprochen. Einige Leute kannte ich noch gar nicht. Die berufliche Thematik ist ja auch noch neu für mich. Und so war es ein kräftezehrender Prozess.
Die Aussicht war dann wunderschön (nicht): Mein Chef hatte für den Freitag zum Abschluss angekündigt, wir würden die „heiße Stuhl“-Methode anwenden. Jahaaaaa…da würden wir mal so richtig schön gegrillt werden! Äääääh….waaaaas? Das ist so 80er Jahre und daneben, dass mir wirklich kurzfristig speiübel wird. Alle machen gute Miene, was ich nicht fassen kann. Zwischendurch rasen dann die Gedanken durch meinen Kopf: „Muss ich mir das echt geben? Soll ich einfach aufstehen, auf den Tisch kacken und Salzstangen reichen, damit sie den Igel zuende basteln können? Wer bin ich eigentlich, dass ich mir das gefallen lasse? Haben die hier noch alle Latten am Zaun??? Schaffe ich es finanziell, wenn ich jetzt kurzentschlossen kündige?“ Ich habe keine Angst vor Feedback. Aber jemanden zu grillen, ist für mich kein Feedback geben. Feedback gebe ich gerne im 1:1, denn es ist intim. Ich sage es sogar zu meinem Chef, der abwinkt und sagt, die Allgemeinheit hätte das im Vorfeld so entschieden (hatte sie nicht, wie ich im Nachhinein erfahre). Da müsse ich nun durch. Und dann ergänzt er noch laut, dass der Kollege, der einen Monat nach mir angefangen hätte, noch Welpenschutz hätte, bei mir aber „Feuer frei“ gegeben wäre. Ich koche innerlich.
Im Endeffekt ist es gar nicht so wild. Und doch bemerke ich, wie angespannt manche sind, wobei ich mich frage, ob mein Chef dafür blind ist oder ob er es sogar regelrecht geil findet? Nun bin ich spitzfindig und lege auf Sprache wahnsinnig viel wert. Wenn man die Hälfte meiner Befindlichkeit abzieht, bleibt dennoch einiges übrig, was da – gerade seitens meines Chefs – nicht angebracht war. Vorab sollte jeder von uns ein Bild malen, auf dem wir mittig zu sehen seien, und alle anderen um uns herumdrapieren. Je weiter weg, desto größer auch die innere Distanz zu dieser Person. Als ich im Nachhinein mit verschiedenen Kollegen gesprochen habe, haben selbst die Langjährigen dort eingestanden, dass sie da schon genau geschaut und sich bisweilen auch gewundert hätten, warum sie nicht näher bei dem ein oder anderen Kollegen aufzufinden seien. In der Pause kommt die „komische“ Kollegin zu mir und fragt mich, warum sie so weit weg von mir gemalt sei? Das verletze sie schon! Oh man. Genau deswegen hasse ich solche Übungen. Immerhin können wir das echt klären, weil sie den Mut hatte, zu mir zu kommen und ich den Mut hatte, ihr ehrlich und dennoch wertschätzend zu antworten. Dennoch kostet mich das – so gesundheitlich angeschlagen – viel Energie und Kraft. Auf der Rückfahrt am Samstag (ja, weil abends noch happy „get together“ sein musste) frage ich mich, ob ich so in Zukunft arbeiten möchte? Mein Chef hat mir als Rückmeldung gegeben, dass er eine große Distanz bei uns sehe. Das fänd er auch sehr gut. Ich bringe Eigenschaften mit, die es brauche. Ich hätte Fragen formuliert und Dinge thematisiert, die nicht mal in seinem Vokabular vorhanden seien. Das bräuchte es so sehr. Und doch stehe gerade das so zwischen uns, denn er wolle sich eigentlich gar nicht verändern – wohlwissend, dass es sein müsste. Daher würden wir ganz viel kämpfen in den nächsten Jahren. Äääääh? Ich will nicht kämpfen. Klar, es braucht Energie, Beharrlichkeit und dergleichen, wenn man einen Veränderungsprozess ankurbeln möchte. Aber ich mag keine Kampfansagen. Dabei bin ich gerade einfach nur unendlich müde. Doch darüber spaziert man hinweg.
Vor allem bekomme ich von allen gespiegelt, wie anders ich sei. Dann frage ich mich immer, ob ich ein Alien bin? Sie meinen es durchweg positiv, keine Frage. Aber es ist, als sei ich ein Pionier auf einem Gebiet, das sich Empathie nennt. Das finde ich zum Einen schräg, zum Anderen triggert es natürlich meinen wunden Punkt: Ich bin mal wieder anders, also passe ich nicht. So gut gemeint ihre Rückmeldungen sind, decken sie mein altes Muster wieder auf. Ich habe schon nicht in meine Ursprungsfamilie gepasst. Gefühlt zieht sich das durch mein Leben, was sich nicht angenehm anfühlt.
Den Rest vom Wochenende widme ich der Ruhe und Erholung. Meine Thaimasseurin, eine süße, ältere Dame, beackert mich regelrecht und fragt dann: „Du hast Mann?“ Ich verneine. Sie ergänzt: „Du brauchst Mann. Mann, der sich kümmert um Dich.“ Klingt lustig, vielleicht schon banal. Doch mir schießen die Tränen in die Augen. Ich habe gelernt (oder mir antrainiert), alles alleine zu bewältigen. In Zeiten von Zweifeln und Unsicherheit fällt mir das natürlich auf die Füße. Normalerweise bin ich zufrieden, wie es läuft und komme gut zurecht. Aber gerade würde ich mich gerne anlehnen und einfach durch Heulen Druck ablassen können.
Doch nein, es geht natürlich weiter. Zuerst in einer Niederlassung in Deutschland, wo ich wieder ein bisschen mehr verstehe, wie dringend sie wirklich diese andere Herangehens- und Umgangsweise brauchen, die ich so propagiere. Ich erkenne, wo ich ansetzen kann und bekomme leichten Auftrieb. Dienstag und Mittwoch habe ich dann Fortbildung in einem Bereich, den ich von den letzten fünf Jahren kenne und echt beherrsche. Ein Kollege hat es nett gemeint und mich mit angemeldet, was er mittlerweile eher amüsant findet: „Du kannst der Beraterfirma ja vielleicht erklären, wie es geht? Die können bestimmt noch einiges von Dir lernen!“ Und ich denke mir so: „Schön. Dann wird das mal nicht anstrengend, sondern leicht. Darf es ja auch mal sein.“ So fühlt es sich zunächst auch an. Inhaltlich lerne ich nichts Neues, sondern werde mir noch mal ein paar Dingen bewusst, was ich sehr gut finde. Mein neuer Kollege hingegen kennt so rein gar nichts von diesem Geschäft, weil er vorher was ganz anderes gemacht hat. Dahe erkläre ich ihm manche Sachen in den Pausen. Interessiert frage ich ihn dann, was er vorher so gemacht hätte? Aha. Und was wird sein Schwerpunkt in unserer jetzigen Firma sein? Und dann kackt er mich an. Im Vorfeld hatte er im Plenum darum gebeten, kein Fingerpointing zu machen und respektvoll Feedback zu geben. Weit gefehlt: „Ich komme mir ausgefragt vor! Es wird einen Grund haben, warum sie mich hier eingestellt haben. Du bist respektlos, das wollte ich Dir mal sagen. Ich mag ja jung sein, aber ich kann auch was.“ Kennt Ihr das Gefühl, wenn Euch heiß wird auf einen Schlag? Ich schaue ihn mit großen Augen an und entschuldige mich. Und blöd, wie ich bin, erkläre ich mich: Ich wolle ihn nur kennenlernen. Ich würde niemals denken, dass er nichts könne. Warum sollte ich so was denken? Er schaut mich von oben herab an und sagt: „Ist mir egal. Ich hatte keine Lust, das jetzt mit ins Zimmer zu nehmen. Jetzt weißt Du es.“ Ich bin völlig vor den Kopf gestoßen und ziehe mich in Zweifel. Auf dem Rückweg zum Hotel sagt mir eine Kollegin dann noch: „Ich finde Dich so erfrischend! Du hast echt was drauf und bist so schön klar. Ich gebe Dir nur einen Hinweis: Die Schweizer sprechen zwar dieselbe Sprache wie wir, sind aber völlig anders. Sie mögen weder Klarheit, noch Konfrontation. Wenn Du einen Schweizer per What´s App fragst, ob er mit Dir essen gehen will, kommt ein NEIN. Du musst voher sechs bis acht Nachrichten schreiben und Dich vorsichtig ranrobben. Das hat es mir am Anfang richtig schwer gemacht und tut es noch.“ In meinem Kopf wirbelt alles durcheinander. Was wollen die denn?! Mein neuer Attacke-Kollege ist Deutscher, aber sei es drum. Sie wollen Veränderung, sie sehen ein, dass es einen Kulturwandel braucht, aber sie haben Angst davor. Und statt vernünftig miteinander zu reden, wird man attackiert, werden Kämpfe angedroht und alles mit Füßen getreten? Mir ist nach Heulen zumute. Soll ich mir Stellenanzeigen anschauen? Soll ich einfach fliehen und niemandem sagen, wo ich bin? Ich komme mir wie ein kleines Kind vor. Abends bleibe ich im Zimmer, während die anderen zum Essen gehen. Schlafen kann ich nur sauschlecht und male mir mögliche, lächerliche Szenarien aus, wie ich meinem jüngsten Kollegen am nächsten Tag eine reinhaue (was ich nie tun würde).
Am nächsten Morgen sitze ich am Frühstückstisch mit meiner Kollegin, die mir sagt, wie leid ihr der gestrige Ausrutscher tue. Sie wollte mich nicht verunsichern, sondern darin bestärken, zukünftig gut auf mich zu achten. Sie würde meine Unsicherheit spüren und wolle mich unterstützen. Und dann bricht es aus mir heraus. Ich erzähle ihr, wie mein Start war, berichte von meinen Zweifeln und meinen Schockmomenten, während sie nur nickt. Und dann sagt sie: „All diese komischen Reaktionen zeigen deutlich, dass wir eine Veränderung brauchen, aber die Angst bei vielen noch sehr groß ist. Pass´ dabei auf Dich auf! Ich bin riesig froh, jemanden wie Dich in der Firma zu wissen. Du bist goldrichtig.“ Ich habe Pipi in den Augen und frage sie, ob sie mich einfach mal in den Arm nehmen könnte, was sie dann ganz lieb tut. Genau das brauche ich einfach gerade. Keine Attacke, keine Kampfansagen, sondern Menschlichkeit.
Zurück bei der Schulung bin ich bei einer Gruppenübung leider mit meinem neuesten Kollegen zusammengewürfelt. Wir sollen ausschließlich Beobachtungen mitteilen, keine Bewertungen vornehmen. Er kann es einfach nicht und wertet mich erneut ab. Heute bin ich aber vorgewarnt und habe meinen Panzer an. Zum Glück hört die Trainerin in diesem Moment zu und greift korrigierend ein: „Kann es sein, dass Du nicht gut beobachten kannst und alles bewertest?“ Er schaut sie an wie ein begossener Pudel: „Ääääh, kann sein?“ Sie formuliert meine Sätze nach und stellt sie neben das, was er gesagt hat und fragt: „Hörst Du den Unterschied?“ Pause. Pause, Pause, Pause und große Augen: „Ääääh…ja?“ Die Frage in dieser Antwort zeigt, dass er es nicht versteht. Sie trägt ihm auf, in den nächsten Wochen zu lernen, einfach mal zu beobachten und zuzuhören. Der kleine, verletzte, kindliche Anteil in mir jubiliert. Der erwachsene Anteil sagt innerlich: „Das nächste Mal regelst Du das hübsch selbst mit so einem Knallfrosch, klaro?!“

Ich bin immer noch nicht gesund und nutze das Wochenende, mich auszuruhen und schöne Dinge zu tun. Wie es weitergeht, weiß ich noch nicht. Wie ich mir ein dickeres Fell anzüchten kann, weiß ich auch noch nicht, bin aber für jegliche Anregung dankbar. Aus der Distanz ist für mich vieles klar. Aber ich bin kein distanzierter Mensch. Und da liegt ein Teil der Krux, schätze ich. Ich werde sehen, wie es mir in den nächsten Wochen gehen wird. Kurzschlussentscheidungen sind nicht meine Art. Attacken und Beleidigungen werde ich nicht hinnehmen – egal, von welcher Kultur. Wenn es mich zu viel Kraft kostet, suche ich mir was anderes. Wenn es besser wird und sich einrüttelt, habe ich ein großes Gestaltungsfeld. Scheint so, als gebe es das richtig Einfache nirgends, hm? Ehrlicherweise würde es auch nicht zu mir passen, wenn es zu einfach wäre. Aber ein bisschen leichter darf es schon werden…

verschiedene Welten und Perspektiven

Eine weitere Woche liegt hinter mir. Tatsächlich habe ich damit bereits den ersten Monat im neuen Unternehmen überstanden. Krass, wie schnell das jetzt ging. Meinen Platz gefunden habe ich natürlich noch nicht ganz. Während der eine Bereich für mich einem Spaziergang gleicht, weil ich darin jahrelange Erfahrung habe, ist der andere Bereich für mich umso undurchdringlicher. Meine Kollegin macht es mir da auch nicht unbedingt leichter – vermutlich gar nicht mit Absicht. Und trotzdem passt es natürlich herrlich in mein Konstrukt von der bösen, blöden Kollegin. Mit einem Freund habe ich am Wochenende darüber gesprochen. Er war schon behutsam, aber die Botschaft kam dennoch rüber: Mach´ es Dir doch nicht selbst so schwer. Ich meine ja auch immer, über jedes Stöckchen springen zu müssen. Und genauso, dass ich mich beweisen muss. Dabei muss ich das gar nicht. Nicht jeden werde ich in der neuen Arbeit lieben – und umgekehrt verhält sich das natürlich ähnlich.

Apropos Lieben: Mein „Date“ am Montag verlief recht harmlos. Da mein Kollege einen vorarlbergischen Dialekt nuschelt (ich denke an „Schuh des Manitu“: „Der spricht aan ganz aan komischen Dialekt“), muss ich ständig nachfragen, weil sich mir die Semantik nicht erschließt. Mittlerweile habe ich ja verstanden, dass „moal, moal“ als „ja“ zu deuten ist. Da soll mal ein normalsterblicher Mitteleuropäer durchsteigen! Zwischenduch verlässt er mich dann auch, weil er sich ein Lungenbrötchen reinpfeifen muss. Und dann tätschelt er meinen Arm immer wieder, dass ich mir denke: „Na, wenn´s Dir Spaß macht! Ich bräucht´s nicht, aber mei.“
Er ist im Grunde recht maulfaul, was mir schon vorher aufgefallen ist. Aber mit den richtigen Fragen, kommt er dann doch ins Plaudern. Und was er berichtet, weckt ein paar Seufzer in mir. Sein Vater dankt seiner Frau bis heute jeden Tag fürs Essen. Hääää? Mein Vater hat bis zuletzt jeden Tag am Essen meiner Mutter was auszusetzen gehabt – da verging kein einziger Tag, an dem er das ausgelassen hätte. Irgendwas fand sich immer, was er bemäkeln konnte, dabei hat sie richtig gut gekocht. Seine Eltern seien auch zu ihm und seinen beiden Schwestern immer lieb gewesen. Auf der einzigen Fahrt ins Ausland in seiner Jugend, sind sie nach Ungarn gefahren. Da er eine Blasenentzündung hatte, musste der Vater 17 Mal rechts ran fahren, damit er pinkeln konnte. Sein Vater hat das mit stoischer Gelassenheit erledigt und nicht einmal gemeckert. Wenn ich daran denke, wie lieb und brav wir uns immer verhalten mussten, wenn mein Vater zugegen war und was ihn alles so genervt hat. Meine Art zu essen war immer Anlass genug, mich Spastiker zu nennen. Eine Tatsache, die mich heute noch sehr oft verunsichert, wenn ich mit anderen Menschen zusammen esse. Und alles hatte zu geschehen, wie er das wollte. Selbst heute noch seien seine Eltern zufriedene, glückliche Menschen. Jeden zweiten Sonntag im Monat kommen zuerst sein Vater und später dann die Mutter zum Frühschoppen zu ihm rüber (sie wohnen direkt nebeneinander). Sein Vater sei auch sein bester Freund, mit dem er über alles sprechen würde – mit 53 Jahren! Ich finde es toll, wenn Eltern und Kinder so ein Verhältnis pflegen…nur kenne ich es so leider überhaupt nicht. Es ist dieses dämliche Mangel-Denken, was mich dann sehnsüchtig stimmt. Auf der anderen Seite wird bei ihnen wohl ständig gebechert. Und nahezu die ganze Familie wohnt in derselben Straße. Da bemerke ich schon, wie es mir die Luft abschnürt. Er berichtet auch von seinen Kindern, die ich gar nicht vermutet hatte. Geschieden ist er wohl auch schon länger, aber das Verhältnis zu den Kindern sei einwandfrei. Seine Tochter – und hier gerät er ins Schwärmen – sei einfach perfekt. Sie habe ihm nie Scherereien gemacht, würde in ihm immer noch den Helden sehen (mit 24!) und sei einfach ein Geschenk. Sein Sohn? Mei, das sei nicht so leicht, ihm dabei zuzuschauen, wie er die gleichen Fehler wie sein alter Herr beging. Aber der sei schon auch „a guada Buar“. Welche Fehler das seien, da will er sich lieber bedeckt halten. Dennoch klingt alles nach Harmonie pur. Zum Schluss bittet er mich nur darum, nichts davon in der Arbeit zu erzählen. Da wüsste niemand was von ihm privat. Mich wundert´s zwar, warum ich diese Dinge erfahre, aber ich muss ja nicht alles verstehen.

Tags drauf startet ein internationaler Tag. Kollegen aus aller Herren Ländern treffen sich online (wir vor Ort) zum Austausch bzw. um Prozesse zu optimieren – und das jeden Monat. Krass. Meine Ungeduld zeigt sich mal wieder darin, wie genervt ich von mir selber bin, meine Gedanken nicht schneller in englische Worte kleiden zu können. Nachmittags bin ich dann nur noch mit meinem amerikanischen Kollegen im Austausch, der im Sales-Bereich arbeitet und keinen wirklich Sparringspartner hat, weil sonst nahezu alle für die Produktion oder Administration tätig seien. Ihm fehlten Beispiele für seinen Bereich. Und so entspinnt sich ein Gespräch mit Ideen, die ich noch aus meiner Vertriebszeit aktivieren kann. Es macht riesigen Spaß, wäre da nur nicht regelmäßig dieser Knoten in meiner Zunge. Dafür entschuldige ich mich dann auch, was Craig sofort abtut. Ich komme aber nicht umhin zu bemerken, wieviel Weg da noch vor mir liegt. Andererseits habe ich in dem Monat schon einige neue Vokalbeln gelernt. Geuld, wo bist Du nur, wenn ich Dich brauche…also quasi immer?!
Abends treffe ich dann die Masterandin, die ich vom Onboardingprozess her kenne. Sie ist immer quirlig und unterhaltsam, aber heute etwas gedämpfter. Wir plaudern über Jan und Pitt, Hering und Torte. Über alte Jobs, weshalb ich auch von der Psychiatrie spreche, wo ich nur zwei Jahre gearbeitet habe, was mich aber nachhaltig geprägt hat. Ich spreche über eine polytoxe Klientin, über ein-fache Süchte, und plötzlich schwimmen Tränen in ihren Augen. Wo kommen die denn auf einmal her? Ihr Vater sei Alkoholiker. Puh. Sie musste sich immer schon allein durchkämpfen. Ihre Eltern seien getrennt, schon seit vielen Jahren. Immerhin würde ihr Vater trotz Alkoholsucht arbeiten und Unterhalt zahlen. Etliche Entzüge hätten nichts gebracht. Ihre Mutter hingegen sei genervt vom Leben. Mit 19 sei sie viel zu früh schwanger geworden, weshalb sie ausschließlich auf sich achten würde. Unterhalt für ihre studierende Tochter? Keine Chance. Sie müsste zwar, weshalb auch das Bafög recht gering ausfalle, aber sie tut es nicht. Auf Nachfrage stöhne sie immer, kein Geld zu haben. Und dann kommt raus, dass sie die nächste Botox-Behandlung hinter sich habe. Ihr Äußeres sei ihr immens wichtig, weil wohl sonst nicht viel mit ihr los sei.
Und da sitze ich und sinniere über die völlig verschiedenen Entwürfe an zwei Abenden hintereinander. Der Eine war niemals weg von seiner Heimat, hat auch niemals den Drang verspürt. Die Welt ist für ihn in seinem kleinen Radius vollkommen in Ordnung. Die Andere will nie mehr auch nur ansatzweise in die Gegend ziehen, aus der sie stammt. Sie ist taff, extrovertiert und kämpferisch – während ihr die Tränen nur so über die Wangen kullern. Einmal mehr zeigt sich mir: Gerade die Lauten, vermeintlich Starken tragen so unendlich viel Verletzung mit sich herum. Weil sie aber so selbstbewusst auftreten, denken andere, die halten schon einiges aus und hauen auch noch drauf. So ist es auch mit ihrem Betreuer bei der Arbeit, wie sie mir anvertraut. Wir erarbeiten mögliche Strategien für ein Gespräch, das sie mit ihm führen könnte. Zum Schluss schnieft sie und schaut mich mit roten Augen an: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie Du mit den Führungskräften arbeiten wirst. Die haben echt Glück.“ Puh…da bekomm ich fast Pipi in meine Augen.
Die Tapfere spricht wohl auch am nächsten Tag mit ihrem Betreuer – und ist völlig in Tränen aufgelöst. Er schickt sie heim, damit sie sich um sich kümmern könne und schreibt ihr anschließend noch mal eine Nachricht, in der er sich für das Gespräch bedankt. Sie würden das schon gut hinbekommen mit ihrem Projekt. Sie solle sich bitte nicht seine Sprüche so zu Herzen nehmen. Da sieht man, welche Wirkung ehrliche Worte haben können. Ich in verdammt stolz auf sie.

Was nicht ganz so gut läuft, ist meine Allergie, die mich massiv schlaucht. Ich weiß nicht, wie es Euch damit geht? Dieses Jahr soll wohl auch sehr krass sein, was den Pollenbefall betrifft. Wenn es weiter nichts ist, überstehe ich diese Phase auch noch. Heute Abend treffe ich dann drei alte Kollegen wieder und freue mich, mit ihnen zu lästern, zu schlemmen und zu lachen. Gestern hat mich ein anderer alter Kollege angeschrieben und nach meiner Einschätzung zu einer Person gefragt. Ich habe ihm einiges zurückgeschrieben, woraufhin er nur mit lachendem Smiley antwortete: „Wow. Wie machst Du das nur? Ich bin seit 13 Jahren im Unternehmen und habe nicht mal ein Hundertstel von Deinem Netzwerk.“ Schon spannend, oder? Mich interessieren Menschen und ihre Motive, Lebensgeschichten und Umstände einfach. Mir fällt es nicht einmal auf, was man mir alles von sich erzählt. So ist es allerdings häufig leichter, die Reaktionen der jeweiligen Menschen besser zu verstehen. Es ist eben meist eine Frage der Perspektive. So ein Perspektivwechsel schadet keinem von uns, denn die wenigsten Menschen machen irgendetwas aus purer Bosheit heraus. Sie haben ihre Gründe. Wenn ich diese besser verstehe, rege ich mich weniger auf. Da haben doch beide was davon, oder? In diesem Sinne: Happy weekend mit bunten Perspektiven bei diesem Schmuddelwetter.

wieder mal Anderssein

Nun habe ich bereits drei Arbeitswochen hinter mir im neuen Job. Es gleicht einer Achterbahnfahrt. Das Phänomen, das ich ja immer wieder bestaune: Es fühlt sich jetzt schon so gewohnt an und irgendwie, als wäre ich schon viel länger dort. Keine Ahnung, wie so was zustandekommt. Ich treffe zufällig eine Beginnerin aus der ersten Woche, die ich sehr sympathisch finde und frage sie, ob es ihr wohl auch so gehe? Sie nickt: „Voll krass, oder?“ Das ist es. Dabei bemerke ich, wie sich die Welt für mich weitergedreht hat. Bei meinem vorherigen Job war ich total euphorisch und dachte: „Hier könnte ich alt werden“, was sich dann nach zwei Jahren bereits verändert hatte vom Gefühl. Bei der jetzigen Firma komme ich mir abgeklärter vor…auch ein wenig nüchterner. Ich denke: „Schon schön hier, aber wer weiß, was noch so alles kommen wird?“ Da bin ich innerlich ruhiger.

Trotzdem suche ich noch. Ich glaube, das ist etwas, das in mir angelegt ist. Eine Art Sehnsucht, die ich schlecht beschreiben kann. Es kommt dem nahe, was Cro singt:

„Manchmal träum´ ich nur von Dir. […]
Aha, ich hoff‘, dass es geschieht ich bin verliebt,
doch hab kein‘ Plan, ob es Dich gibt.“

Ich weiß nicht, ob es das Eine gibt, das mich völlig erfüllen wird und meine innere Suche beenden wird. Und keine Ahnung, ob es das überhaupt braucht? Diese Sehnsucht treibt mich auch an, Neues zu wagen, einfach mal alles auf Null zu setzen und neu zu starten. Ich bleibe also neugierig. Allerdings ist die Gratwanderung auch nicht ohne. Denn ich möchte schon einen Sinn sehen in dem, was ich tue. Ich möchte einen Mehrwert leisten. Und noch habe ich es nicht wirklich gespannt, was meine Aufgabe in dieser Firma sein soll. Ich fühle mich – wie so oft im Leben – einfach wieder mal anders als die anderen. Dieses Jagen nach Ergebnissen, das bin ich einfach nicht. Die Kollegin, die so anders ist als ich, ist so eine Jägerin und spricht diese Woche dann sogar auch von „Gib mir mehr Savings“. Ich kannte diese Redewendung nicht und weiß nicht, ob sie firmenspezifisch ist oder ich nur mal wieder nicht voll am Puls der Zeit. Und auch, wenn die Gute von der Jagd spricht, schafft sie es dann nicht, den Termin für mittwochs am Tag vorher entsprechend anzupassen. Morgens erfahre ich kurz vor dem Termin, dass sie ihn spontan kürzen muss – von sechs Stunden auch anderthalb. Uuupsi! Es findet dann auch nicht vor Ort statt, sondern online. Nach fünf Minuten hat sie sich immer noch nicht eingewählt und schreibt mir dann, dass sie in fünf Minuten käme. Wäre das ein Date, wäre ich jetzt schon weg. So was hasse ich ja wie die Pest. In Summe kommt sie dann ganze 15 Minuten zu spät, neigt den Kopf zur Seite, legt ihr Prinzessinnenlächeln auf und säuselt in Kleinmädchenstimme: „Sooooooory, ich musste noch was erledigen.“ Ich weiß, in solchen Momenten wird erwartet, dass das Gegenüber sagt: „Kann passieren. Halb so wild.“ Aber da sie mir ja schon den Stempel „die Soziale“ gegeben hat, will ich die Fronten direkt am Anfang geklärt wissen und schaue sie nur ernst an: „Lass´ uns einfach anfangen.“ Sie registriert meine Reaktion, was ich an einem aufrechten Hinsetzen und den Kopf wieder gerade Halten erkennen kann. Gut. Ihre Stimme ist jetzt auch wieder normal. Dann weiß sie ja jetzt, was ich davon halte, 15 Minuten zu warten. Ob das wohl bei den männlichen Kollegen klappt? Mir kommt es wirklich nach Grenzen Austesten vor.
Dadurch dass wir nur noch eineinviertel Stunden haben, gehen wir alles zügig durch. Und dann heißt es, mich zu beschäftigen. Es gibt genügend Dinge zu lesen, keine Frage. Nur lerne ich so eben nicht wirklich. Das frustriert mich und ich stelle mal wieder infrage, ob ich hier richtig bin?

Doch dann kommt der gestrige Tag. Ich darf einen Kollegen zu mehreren Stehungen begleiten und werde explizit von ihm aufgefordert, danach Feedback zu geben. Das ist ganz klar meine Spielwiese. Und dann erkenne ich auch sehr deutlich, warum sie mich unbedingt haben wollten: Es werden ausschließlich geschlossene Fragen seitens der Führungskräfte gestellt. Es gleicht eher einem Report und weniger einem Austausch, der Bewusstsein, Abstellmaßnahmen und Nachhaltigkeit schaffen soll. Lösungen werden durch die Bank vorgegeben, nicht einmal nach Ideen von den Mitarbeitern gefragt. Eine Kollegin fragt mich später, ob sie mich mal begleiten dürfe, wenn ich zukünftug irgendwo coachen würde? Sie hätte noch nie erlebt, wie jemand einfach solche Fragen stellen und aus seinem Gegenüber die Antworten rauskitzeln würde. Das wolle sie unbedingt lernen. Da bin ich dann ja immer baff, weil ich aus meiner Sicht gar keine Technik anwende, sondern einfach die Fragen stelle, die mir in den Sinn kommen. Mein Kollege, der mich mitgeschleppt hat, hält die letzte Stehung selber ab. Auch er bekommt ein Feedback, Ideen und Sichtweisen…und jede Menge Fragen. Das ist es, was es für mich ausmacht: Ich erkenne, wie es in seinem Köpfchen zu rattern beginnt. Er lässt das Gesagte sacken und geht es gedanklich durch. Nach der Mittagspause kommt er zu mir und fragt: „Wann kannst Du anfangen? Ich meine, wann kannst Du bei uns loslegen? Ich will das am liebsten sofort! Ich mache das seit acht Jahren und habe so was noch nie erlebt! Das brauchen wir an allen Standorten weltweit. Wie viel kannst Du reisen? Willst Du das überhaupt?“ Da bin ich dann doch sehr gerührt. Ich erlebe eher Ansagen von meinen direkten Kollegen, weniger Fragen. Sie wissen, was gemacht werden soll und kommunizieren das auch so an die Leute um sich herum. Das ist so gar nicht mein Stil, weshalb ich ja mal wieder an mir gezweifelt habe…nur um dann jetzt zu erleben, dass meine Vorgehensweise durchaus auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint. Ich gehe mit keinen Lösungen rein, sondern lass´ die Lösung sich entwickeln – am besten von meinem Gegenüber selbst. Und dann sagt dieser eher ruhige Typ: „Ich bin jetzt schon ein absoluter Fan von Dir! Toll, dass Du da bist. Ich hoffe nur, Du kannst bald bei uns loslegen.“ Da geht mir echt das Herzchen auf – und eben auch die Augen. Sie brauchen nicht noch mehr Jäger, sondern eben auch andere Leute, die eher gemeinsam gestalten anstatt vorgeben wollen. Und nicht falsch verstehen: Es braucht auch die knallharten Umsetzertypen. Nur kann und will ich mich dahingehend nicht verändern.

Zufrieden fahre ich nachmittags zurück und bin nicht mal vom Stau wirklich genervt. Ich erkenne einen Teil meines Wertes, was mich echt glücklich macht. Es ist gut, dass wir nicht alle gleich sind. Und ich darf mich wohl damit anfreunden, dass es vollkommen in Ordnung ist, anders zu sein. Es prägt einfach nachhaltig, wenn man das ein Leben lang als negativ vorgeworfen bekommen hat. Daher kommt dann auch mein Wunsch, wie die anderen sein zu wollen – was mir schlichtweg nicht gelingt, weil dann alles in mir drin auf Rebellion schalten würde. Wir Menschen sind schon sonderbare Wesen, oder? Wie oft habe ich nicht gehört: „Wieso kannst Du nicht wie … sein?“ Meine Schwester, die einfach brav, lieb und angepasst war. Johannes, ganz einfach, weil er ein Junge war. Oder auch andere Menschen, die besser ins Schema gepasst haben. Das sind gute Menschen (bei Johannes weiß ich das nicht so genau, weil er weit weg wohnt), keine Frage. Aber sie sind eben sie – und ich bin ich…mit allen Macken, aller Exzentrik, allen nachdenklichen Phasen, hinterfragenden Gedanken, verrückten Ideen und sauviel Humor.

Heute hole ich dann in aller Ruhe meinen neuen Perso ab, in dem ich endlich nicht mehr wie eine russische Ringerin ausschaue. Bei der Post muss ich dann noch eine Post-ID wegen einer Versicherung holen. Als ich beim Wechselgeld das Rotgeld zurückschiebe, weil ich weiß, dass immer mal wer gerade die kleinen Centbeträge nicht griffbereit hat, sagt mir die gut gelaunte Postbeamtin: „Des versauf´n ma, gä?“ Solche Menschen mag ich. Der Job ist bestimmt alles andere als lustig, aber sie ist dennoch gut drauf. Ddamit passt sie auch nicht so wirklich zur Allgemeinheit und fällt auf. Und genau das feiere ich gerade. Ein Hoch aufs Anderssein.

Frau Fürchterlich

Eine neue Woche, eine neue Woche. Ich komme mir schon vor wie so eine Losbudenbesitzerin: „Gewinne, Gewinne, Gewinne! Kommen Sie ran, hier können Sie nur gewinnen. Jedes Los ein Treffer!“ Oder so.

Gestern durfte ich dann wieder gen Liechtenstein starten, was ja in der dritten Woche in Folge fast schon zur Routine geworden ist. Allerdings versuche ich es dieses Mal einfach nachmittags. Vorweg: Dem Verkehr ist es schisskojenno, wann ich fahre. Um München herum ist es fast immer voll. Aber wenn ich danach nicht mehr an den Schreibtisch muss, ist mir das so herum fast lieber. Der nette Mensch (keine Ironie) vom Autoverleih freut sich, mir dieses Mal einen Mercedes präsentieren zu dürfen. Blöd nur, dass er nicht weiß, wie wenig ich Mercedes mag. Ja ja ja, ich höre schon die Buhrufe. Tatsächlich bin ich ja mittlerweile ein Fan vom Automatikgetriebe geworden. Was habe ich mich lang erfolgreich dagegen gesperrt. Doch durch den schicken AMG seinerzeit habe ich meine Aversion, die einzig und allein durch pures Nichtkennen und demnach auch nicht Nichtkönnen zustandekam, endlich überwunden. Getreu dem Motto: „Watt der Buur net kennt, frisst er net“, habe ich brav übertragen: „Watt datt Landei net onger der Hängischte jat häät, füat et ooch net.“ (Übersetzt es frei, es wird schon das Richtige dabei herumkommen.) Aaaaber… auch wenn ich jetzt die Automatik lieben gelernt hab, mag ich das Gefiesel bei Mercedes immer noch nicht. Jede andere Karre (zumindest in Deutschland) hat immer noch so ein Knüppeldingens (in Ermangelung der korrekten Bezeichnung) in der Mitte. Nee, bei Mercedes – weil „wir sind ja was Besonderes“ – muss das an den Hebeln am Lenkrad geregelt werden. Aaaaaalter. Was machst Du da, wenn es plötzlich zu regnen anfängt? Richtig, jeder halbwegs begabte Mitteleuropäer betätigt mit dem rechten Hebel am Lenkrad den Scheibenwischer. Ein Automatismus. Blöd nur, wenn Frau dann mitten auf der Autobahn mal eben damit in den Leerlauf schaltet. Bei 160 Sachen halb so wild…örks. Auch sollte man dann nicht panisch einfach mal am rechten Hebel versuchen, den reinzudrücken, denn dann kommt nur die Meldung, dass die Parkposition gefunden sein muss, um die Handbremse betätigen zu können. Ich kann ein hysterisches Kichern nicht unterdrücken, weil ich mir gerade vorstelle, wie es beim Schaltgetriebe wohl wäre, wenn ich bei 160 die Handbremse zöge? Nicht soooo geil, vermutlich. Bevor jetzt tolle Tipps und Tricks kommen: Ich hab den verkackten Scheibenwischer schon noch entdeckt. Vielleicht wird ja dadurch meine Aversion Mercedes gegenüber klarer. Wenn nicht: Mir doch egal!!!

Irgendwann trudele ich dann auch noch im Hotel in der Tiefgarage ein. Mittlerweile bin ich ja voll versiert… dachte sie noch. In Ermangelung der leibhaftigen Menschen, gilt es nach wie vor, die Automaten zu bedienen. Kann ich… nur nicht erfolgreich. Ich gebe den Namen und „des ganze Zeig un Glump“, das es braucht, ein. Dann fragt die gefräßige Maschine nach meiner Kreditkarte. Das kontaktlose Zahlen ist deaktiviert, ich muss die Karte schon in den Schlitz schieben. Leider ist dies nicht bebildert. Leider stecke ich – Kopfschmerzen/ Staustehen/ Genervtsein geschuldet – die Karte falsch herum rein. Die Aufforderung, die Karte zu entnehmen, erscheint. Ich ziehe – nichts passiert. Ich versuche es erneut – nichts bewegt sich. Ich hole tief Luft, zähle bis zehn und schlage nichts kaputt, sondern wiederhole das versuchte Ziehen. Nix, nada, niente. Ich zücke mein Handy zwecks Anruf, suche brav die Nummer raus und wähle diese an. Nix, nada, niente. Mir dämmert: Klar, kein Empfang, weil TIEFGARAGE!!! Wenn ich jetzt außenherum hochlaufe, kommt eventuell jemand mit geschickteren Fingerchen als den meinigen. Und schon steigt das nächste hysterische Kichern in mir auf. Das darf doch echt nicht wahr sein!!! Ich atme die Panik weg, schaue bewusst in Ruhe noch mal, ob nicht doch irgendwo eine Klingel ist und entdecke den Hinweis auf eine Gegensprechanlage. Die muss ich allerdings etwas weiter vorne suchen. Die Dame ist auch freundlich: „Ich lasse Sie gerne rein.“ Ich lache: „Perfekt, aber nicht ohne meine Kreditkarte.“ Sie schickt jemanden runter. Ich schaue das wunderbare Mädel unter der dichten Make-up-Schicht an, dann auf ihre Nägel und sage: „Ich hab kurze Nägel, und es hat nicht geklappt.“ Sie antwortet blitzgescheit: „Ich hab lange Nägel. Da wird’s wahrscheinlich auch nichts.“ Gesagt, getan, bestätigt. Sie wackelt von dannen und schickt mir ihren starken Kollegen. Der fragt auch noch ganz clever: „Falsch umme eini g’steckt?“ Auch das, Du Held. Er braucht zwei Versuche, bis er mir die Karte stolz hinhält und ergänzt: „Bessa üba’s Kontaktlosfeld.“ Ich halte mich mit Mühe vom Schwitzerdütsch „des gaad niet“ ab, sondern sage es in meiner Sprache: „Das ist nicht aktiviert und darf es auch nicht.“ Ein verwirrter Blick, wie meine kleinste Cousine ihn damals hatte, als ich gestehen musste, Sailor Moon nicht zu kennen. Sie war damals nicht mal zehn. Der Typ vor mir ist erwachsen. Sei’s drum.

Heute fahre ich dann zeitig los Richtung Österreich, also zu dem Standort, wo ich vorletzte Woche war. Der anfänglich etwas knurrige, distanzierte Kollege hatte mich ja aufgefordert, ihn mal zu besuchen, damit er mir alles zeigen könne. Aus Erfahrung weiß ich: Wenn ich da nicht zeitnah reagiere, bin ich als dumme Nuss verschrien, die was verspricht, aber nichts hält. Da hab ich schon einige – vor allem Herren – in der Vergangenheit bei anderen Firmen geschockt. Ich halte, was ich verspreche und androhe. Heute ist er auch richtig nett und schäkert rum, wenn ich auch – dem Dialekt geschuldet – nicht alles verstehe. Irgendwann ist er sogar regelrecht touchy, also legt den Arm um meine Hüfte, tätschelt mir den Arm/ die Schulter usw. Da bin ich immer im Zwiespalt, ob ich was sagen soll oder es einfach lasse? Er gehört zur alten Schule und meint das keineswegs böse. Nur ist es eher schon flirty zu verbuchen, was ich auch nicht brauche. Zum Schluss fragt er mich, wie mein Eindruck von ihm sei? Ich erkläre ihm, dass ich ihn sehr distanziert empfunden hätte beim ersten Mal – vor allem zu Beginn. Er sei beobachtend aus der zweiten Reihe heraus und lasse sich nicht in die Karten schauen. „So isch es.“ Und sein Eindruck? Naja, die ersten zehn Minuten? Fürchterlich. Hääää? Naja, ich sei Deutsche. Deutsche wüssten alles besser, würden nur labern und nix zuwegebringen. Dann hätte er gefragt, ob ich mit raus zum Rauchen ginge. Meine Antwort war: „Ich rauche nicht… und es ist kalt.“ Da hätte er innerlich schon die Augen verdreht. Ich habe dann aber die Jacke angezogen und wäre mitgegangen. Welche Laster ich denn hätte, hat er danach gefragt. Ich hab mir einen Kaffee genommen, darauf gezeigt, dann auf die Schoki am Tisch und gemeint: „Alle weiteren dann später vielleicht mal.“ Ab da hätte er mich dann gemocht. Und heute sowieso. Ööööhm, jo. Ich grinse ihn an und sage: „Ok, dann bin ich also Frau Fürchterlich. Damit kann ich leben.“ Neiiiiiin, jetzt ja nicht mehr. Nur zehn Minuten lang am ersten Tag. Wann ich denn wieder da sei? Nächste Woche Montag bis Mittwoch, aber in Liechtenstein. Ob wir Montagabend essen gehen würden? Ääääääh… in solchen Momenten bin ich nicht so souverän und gebe klein bei. Auf der Autobahn zurück registriere ich dann noch, wie ein weißes Auto die Lichthupe betätigt, doch so was ignoriere ich gern geflissentlich. Kaum zurück, bekomme ich auch schon eine Nachricht per Teams, ob ich gut angekommen und flirtresistent sei? Das war dann also er. Und es wäre sehr schön gewesen, Frau Fürchterlich richtig kennenzulernen. Puh! Ich hoffe, da verspricht sich jemand nicht mehr, denn darauf hab ich gar keine Lust – zumal er auch Null mein Typ ist – und ich ihn regelmäßig bitten muss, halbwegs hochdeutsch mit mir zu reden. Trotzdem war der Rest lustig. Es gab keine weiteren Zwischenfälle mit Kreditkarten fressenden Automaten oder Scheibenwischern. Man wird so genügsam mit dem Alter… Ihr auch?

Kein „saving hunter“

„Alles neu macht der Mai“ heißt es doch, oder? In meinem Fall bin ich ein Frühzünder, denn bei mir hat´s schon im April begonnen. Ist schon eigenartig, wie groß kurz vorher die Sorge ist, doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Die Angst, völlig zu versagen, nagt da schon an mir. Ich frage mich, woher dieser Absolutismus immer kommt? Ich versage komplett. Ich kann gar nichts. So ein Schwachfug! Es gibt Dinge, die ich (noch) nicht kann…Dinge, die ich nie können und beherrschen werde…Dinge, die ich gar nicht erlernen möchte. Das ist vollkommen in Ordnung so. Ich liebe ja den Spruch:

„Kurz vor der Dämmerung ist die Nacht am dunkelsten.“

Der sagt alles so hübsch auf den Punkt gebracht. Immer ganz kurz, bevor sich was verändert, schießen alle worst-case-Szenarien im Kopf los. Dabei wird es nie so heiß gegessen wie gekocht. Oder der andere wunderschöne Spruch:

„Es ist das Ende der Welt“, sagte die Raupe.
„Es ist erst der Anfang“, sagte der Schmetterling.

Und so war der zweite Arbeitstag schon nicht mehr so aufregend wie der erste. Und mit jedem weiteren nimmt die Aufregung immer mehr ab. Sicherlich prasseln viele Dinge auf mich ein. Vor allem der ganze organisatorische Rotz nervt mich massiv. Dazu kommt dann ganz viel neues Inhaltliches. Manchmal sehe ich mir fast schon von außen dabei zu, wie mir die Augen zufallen – mitten am Tag. Meist am frühen Nachmittag. Klaro schlafe ich nicht so ruhig wie Zuhause, aber auch da habe ich die Gewissheit, dass sich das wieder einpendeln wird, weil ich das früher ja auch geschafft habe. Vor allem bemerke ich beim Kampf mit den sich schließen wollenden Augenlidern, wie mein Hirn ruft: „Hallooooo?! Ist genug für heute! Was willste mir denn da noch reinprügeln?“ Spätestens dann hebe ich aber auch die Hand und sage: „Ich bemerke, gerade passt nichts mehr rein.“ Das ist dann auch immer vollkommen in Ordnung. Für meine Kollegen ist es ja ihr tägliches Arbeiten, was sie nicht neu lernen müssen. Daher preschen sie vor ohne Ende. Wer nichts sagt, wird einfach weiter druckbetankt.

Was mir in der zweiten Wochen auffällt, ist vielfältig:
Ich spüre deutlich, dass es nicht mein Fleckchen Erde ist. Die Umgebung ist ein Traum für alle Bergfans, keine Frage. Es ist schon schön, diese majestätischen Berge um sich herum zu erblicken. Sogar Schnee kann ich noch liegen sehen. Allerdings bin ich ja ein Wassermensch. Wenn schon nicht Meer, dann bitte doch zumindest ein großer See. Die Leute, die hier wohnen, lieben Wandern, Mountainbiken, Skifahren und dergleichen. Alles Dinge, mit denen ich so gar nichts anfangen kann. Daher ist es eigentlich die größte Verschwendung, mich hierherzupflanzen.
Andererseits bemerke ich ebenso, wie sich die Strecke gen Liechtenstein immer zieht. Zunächst fahre ich ca. 20 Minuten, um meinen Leihwagen abzuholen. Soweit, so ok. Dann steige ich in ein durchaus netteres, schnelleres Auto. Laut Navi würde ich nun zwei Stunden und vierzig Minuten benötigen, was aber bislang nie der Fall war. Es gibt immer mal Staus, stockenden Verkehr oder – wie letzte Woche – einen Unfall in einem Baustellenabschnitt. Das treibt die Standzeit in die Höhe und strengt an. Die nächsten Monate werden zeigen, wie ich das löse. Montag fahre ich einfach mal erst nachmittags los und schaue, wie der Verkehr dann verlaufen wird. Spätestens in Feldkirch (Österreich) erreiche ich ein Nadelöhr, was nicht so lustig ist.
In meinem Kopf spukt es nur so herum – entgegen aller gut gemeinten Ratschläge, wie: „Lass´ Dir Zeit, schau´ es Dir in Ruhe an. Du musst ja nichts jetzt entscheiden.“ Das war ja noch nie meine Stärke. Alles muss immer sofort, jetzt und pronto entschieden sein. Mir geistert durch den Kopf: Ziehe ich an den Bodensee, der nun wirklich traumhaft schön ist, aber am Arsch de Brie liegt? Da ist einfach nichts los. Oder ziehe ich nach München rein, nehme die lange Fahrtstrecke inkauf und habe dafür ein riesiges Angebot an Freizeitmöglichkeiten? Oder pokere ich und schaue, ob ich im Ausland was finde?
Denn das ist ein netter, wenn auch sehr anstrengender Nebeneffekt: Englisch. Es war eigentlich vereinbart, erst später im internationalen Bereich zu starten und zunächst rein auf Deutsch anzufangen. Mein Chef eröffnet mir dann aber in seinem süßen Schwitzerdütsch: „Mach´ Dir gar nicht erst die Mühe, die Konzepte und Präsentationen auf Deutsch anzufertigen. Mach´ sie gleich auf Englisch.“ Ääääääh…but my english is not the yellow from the egg, wa? Einfaches Urlaubsenglisch ist ja mitnichten vergleichbar mit Business English. Sie seien darin aber alle nicht so dolle, weil alle keine native Speaker seien. Ich solle mir keinen Kopf machen und einfach tun.
So bin ich gezwungen, mich schnell komplett auf Englisch einzulassen, was für mich das Beste ist. Ins kalte Wasser zu springen, hat mir in der Regel immer am schnellsten dazu verholfen, einfach zu schwimmen, was dann auch irgendwie immer besser gelingt. So gerüstet ist es dann auch leichter, wenn ich wirklich mal in Kanada oder den USA tätig sein möchte. Das finde ich dann schon wieder sehr spannend. Ihr seht schon: Alles ist möglich, meine Gedanken feuern kreuz und quer, und ich hock´ bisweilen überfordert mittendrin.

Apropos überfordert: Diese Woche arbeite ich dann auch erstmalig live mit einer Kollegin zusammen, die laut meinem Chef das komplette Gegenteil von mir sein soll. Das Blöde: Ich übernehme ihr Hauptprojekt, das sie eigentlich nicht hergeben möchte. Sie sagt zwar, sie sei soooo froh, dass ich das nun völlig anders angehen würde und sie einiges lernen könne, aber dauernd spricht sie von ihrem „Baby“. Das macht es nicht gerade einfach. Dabei legt sie eine sehr fordernde, herrische Art an den Tag, was es nicht gerade einfach macht. Mit einer Führungskraft spielt sie regelrecht Pingpong in einem Meeting. Er sagt: „Wir machen das auf keinen Fall. Den Rest, darauf lasse ich mich ein. Das aber nicht.“ Sie: „Dann packen wir den Punkt mal auf Seite und diskutieren ihn später.“ – Er wieder: „Nein. Dazu ist alles gesagt.“ Sie: „Ok. Dann lassen wir das für jetzt so stehen. Wir reden ein anderes Mal noch mal darüber.“ Er seufzt: „Andrea, NEIN! Wir reden da nicht mehr drüber. Das ist erledigt.“ Sie: „Ok. Machen wir mal weiter, damit wir die Zeit gut nutzen. Aber wir reden über den Punkt noch mal.“ Ungelogen: Es geht bestimmt noch fünf Schleifen hin und her in dieser Manier. Später fragt sie mich dann allen Ernstes: „Meinst Du, er hat verstanden, dass ich noch mal mit ihm über den Punkt reden möchte?“ Herrlich. Wer das nicht mitbekommen hätte, bei dem hätte ein Vorschlaghammer auch keine Wirkung erzielt.
Mittwoch möchte sie gern mit mir abends noch was essen und reden, wo sie mir dann auf den Zahn fühlt. Das macht mir nichts aus, empfinde ich aber dennoch als anstrengend und unnötig. Ich registriere, was mein Chef meint, wenn er von Gegensätzen spricht. Sie will Dinge umsetzen auf Teufel komm raus. Sie ist genervt, wenn die Leute Widerstände zeigen und nicht sofort begeistert alles ändern, was sie ihnen sagt. Dabei fragt sie mich dann auch, ob mir so was nicht auch auf die Nerven gehe und ich nicht denken würde, die hätten ja wohl echt keine Probleme, wenn sie sich bei solchen Kleinigkeiten schon querstellen würden. Puh. Sie ist niemand, der auch mal einen Perspektivwechsel vornimmt, was ich schräg finde, wenn man in Veränderungsprozessen arbeitet. Sie mag Konkurrenz, Sport, bei dem man an seine Grenzen gehen muss und das Adrenalin durch einen hindurchrauscht. Wir werden keine Freundinnen, doch das muss ja auch nicht so sein. Mich triggert es allerdings, wenn sie – wie mittlerweile schon auch eine andere gemeint hat – mich vor anderen vorstellt mit den Worten: „Das ist Claudia. Sie ist die Soziale.“ Ääääääääh? Sie kennt mich kaum, was ich dann etwas irritierend finde. Und so sage ich dann auch prompt: „Damit wir eins mal klarstellen: Ich bin nicht die Sozialmutti, die für die Harmonie zuständig ist und ´ei, ei´ macht.“ Ooooh, nein, natürlich nicht. So war das nicht gemeint! Klar doch. Sozial wird belächelt und als exotisch verstanden. Und da kommen dann doch Gedanken in mir auf, wie: „Was will ich hier eigentlich?“
Am nächsten Tag, kurz bevor ich fahren möchte, nimmt mich dann mein Chef zur Seite und fragt, wie es mir gehe und welche Vorstellungen ich gewonnen hätte? Ich erkläre ihm meine Sicht: „Ihr habt da ein tolles Software-Tool, das aber nicht fliegen kann, weil zu viele Egos miteinander kämpfen. Technisch sind die Leute durchaus gut geschult, nur scheitern sie, weil es untereinander zu viele Befindlichkeiten gibt.“ Da strahlt er: „Perfekt zusammengefasst. Und genau da brauchen wir Dich! Wir können noch zehn Leute von meinem Kaliber einstellen, dann wird es immer eine klare Lösung geben…und wir werden immer an den gleichen Stellen scheitern.“ Hm, klingt logisch…und dennoch: „Weißt Du, ich bin jetzt schon mehrfach als ´die Soziale´ vorgestellt worden.“ Das quittiert er mit einem Grinsen: „Das gefällt mir gut!“ Mir aber nicht. Und das erkläre ich ihm auch. Ich bin nicht die Sozialarbeiterin und möchte auch nicht, dass ich wie eine Matetee trinkende Pädagogin rüberkomme. Nichts gegen diese Leute in den entsprechenden Branchen! Aber in einem Wirtschaftsunternehmen wirst Du da nur belächelt und abgestempelt. Und ich werde mir garantiert nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Das gefällt ihm dann sogar noch besser. Und vor allem erwähnt er: „Jetzt verstehe ich auch Deine irritierte Reaktion von letzter Woche besser! Ich will, dass wir so unterschiedlich wie irgendmöglich sind, damit wir eben alle Seiten beleuchten.“ Dennoch frage ich ihn, was er den anderen von mir erzählt habe…welches Bild er von mir gezeichnet habe? Seine Antwort: „Ich habe gesagt, Du bist kein ´saving hunter´. Was Du genau bist, kann ich auch nicht klar beantworten. Dein Ansatz ist coachingorientiert – meiner ist stures Umsetzen. Das wird doch spannend.“ Was zur Hölle ist ein „saving hunter“, frage ich mich – und ihn. „Naja, ich habe ein Ergebnis mit einer Einsparung von soundsoviel Schweizer Franken oder Mann-Tagen im Kopf. Und dieses Ergebnis jage ich bis zum Ende. Du nicht.“ Stimmt. Und da wird mir sogar warm ums Herz, weil ich das für mich als Kompliment verbuche.
Im weitesten Sinne bin ich, glaube ich, schon eine Sammlerin. Jagen tu´ ich wahrscheinlich auch bzw. kämpfe ich gerne darum, Menschen Gehör zu verschaffen. Aber im Grunde sammel´ ich gerne die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen, bringe das richtige Netzwerk zusammen und erschaffe gerne gemeinsam etwas Neues. Die Erkenntnis befriedet mich, auch wenn ich schon klar sehe, wie anstrengend die nächste Zeit werden wird – gerade auch mit meinem Chef, was ich ihm auch so sage. Er grinst noch breiter: „Oooooh ja, das wird anstrengend. Ist das nicht grandios?“ Und genauso meint er das auch. Er mag diese Herausforderung, so wie ich auch. Er ist vollkommen anders als die Chefs, die ich bislang hatte. Das freut mich total, weil ich weiß, dass ich unwahrscheinlich wachsen werde. Nur ist Wachstum auch häufig mit Schmerz verbunden, weshalb ich nicht so naiv bin, zu glauben, es würde ein Spaziergang auf mich warten. Pervers, aber genau das feiere ich gerade. Ich bin einerseits müde, andererseits wird in meinem Köpfchen ein Feuerwerk gezündet und die Leidenschaft in mir führt ein paar Tänzchen auf. Die Geister, die ich rief….gell? Schauen wir mal, wie viel weiterhin in mir tanzen, kämpfen und feuern wird. Ich werde berichten.

Erste Eingewöhnung

Es ist viel. Allerdings habe ich auch noch nirgendwo vorher ein mehrtägiges Onboarding-Programm durchlaufen. Da sind sie schon sehr solide aufgestellt in der neuen Firma. Gestern Morgen gab es bereits die erste Überraschung: Wir hatten einen nicht Deutschsprachigen dabei, weshalb alles ins Englische übersetzt werden musste. Und da sein Chef krank war, war er auch bei den fachlichen Themen am Nachmittag bei mir. Puh. Am Abend habe ich dann nur noch englisch und deutsch gemischt, was mir einen Knoten in der Zunge beschert hat. Da sollte man doch meinen, anschließend ausgepowert schlafen zu können – was ich natürlich nicht konnte. Das Zimmer ist zu warm, und die nächtlichen Raucher leider immer im Rudel und entsprechend laut unter meinem Fenster, was ein frustriertes Schließen meinerseits gegen ein Uhr nachts nach sich zog.

Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich Worte wirken. Das hat schon viel mit jedem selbst zu tun… mit der Erziehung, Sozialisierung und auch späteren Erfahrungen. Mein nicht deutschsprachiger Kollege bringt beispielsweise noch eine völlig andere Kultur ins Spiel. Er ist Inder und – natürlich (seine Worte) – verheiratet sowie Vater zweier Kinder. Es irritiert ihn, weshalb er heute fragt – wenn auch mit dem Hinweis, dass es möglicherweise zu privat sei: „Warum hast Du keine Kinder?“ Jepp, da könnte Frau sich getroffen fühlen, wenn es denn beispielsweise jahrelang einfach nicht klappen wollte. Mich trifft es hingegen nicht. Ich zucke mit den Schultern und antworte wahrheitsgemäß, der Richtige sei bislang nicht dabei gewesen. Nun sei der Drops, was Kinder betrifft, gelutscht. Mmmh… das stellt ihn noch nicht zufrieden. In Indien müsste man sich selbst als Mann ab spätestens 30 Jahren von der Familie die Frage permanent stellen lassen, ob man denn nicht bald mal heiraten wollen würde? Und das fragt er mich dann auch. Da muss ich schon lachen und frage zurück: „Wen denn?“ Wenn ich einen Freund hätte, wäre die Frage ja realistischer, aber so? Naja, aber ob ich es kategorisch ausschließen würde? Nein. Das tu ich nicht. Doch damit rechnen eben auch nicht. Es ist ok, nicht zu heiraten. Zumindest bin ich fein damit. Er kann es dann irgendwie so hinnehmen, aber verstehen wohl eher nicht.

Demgegenüber ist er viel überzeugter von sich als ich von mir. Mein Chef erklärt mir gestern, welche Aufgaben ich von wem übernehmen werde. Speziell eine Lady wird mir einiges übergeben, was spannend würde, denn: „Wenn ich zwei völlig gegensätzliche Frauen beschreiben müsste, wärt genau Ihr das.“ Aaaah ja. Will heißen? Na, ich würde schon sehen. So was kann ich ja leiden, was ihn amüsiert. Und er macht es nicht besser, als er sie unter anderem als sehr präsent beschreibt, weil dadurch bei mir ankommt, ich sei das nicht. Mein indischer Kollege hört ganz andere Dinge heraus, nämlich dass die Kollegin wohl alles umsetzen würde nach Lehrbuch, bei mir aber mehr Kreativität und Innovation dabei seien. Davon habe ich nicht wirklich was mitbekommen, was er so kommentiert: „Du bist einfach selbstkritisch und zweifelst an Dir.“ Wow, das sitzt – weil er das bereits am ersten Tag erkennt. Heute lerne ich die Dame via Teams kennen, wo sie mir nach kurzer Zeit offenbart, sie habe ja schon von mir gehört und sei sehr gespannt, von mir zu lernen. Hääää? Ich würde ja mehr Fokus auf die Menschen legen, was sie dringend bräuchten, aber bislang einfach nicht so konnten. Und da würde ich ja sooooo viel mitbringen. Tue ich das? Und meint sie das so? Die Methoden seien bisher erstmal wichtig gewesen, doch jetzt käme es auf die Menschen an. Einerseits beruhigt mich das und steigert meine Vorfreude darauf, mich wirklich austoben zu dürfen. Andererseits bleibe ich doch etwas misstrauisch, weil ich dem Braten noch nicht recht traue. Die gestrigen Gedankenschleifen hätte es jedoch nicht gebraucht.

Wiederum spannend war gestern auch eine Feststellung meinerseits, dass ich mich nie auf die Stelle beworben hätte, wenn ich sie so irgendwo gelesen hätte. Spannend insofern, als mein Chef dazu genickt und kommentiert hat: „War klar.“ Sie müssten aktiv auf Frauen zugehen und sie ansprechen, während männliche Bewerber kämen und behaupten würden: „Kann ich alles. Wir können noch einige weitere Punkte ergänzen!“ Es verhält sich ähnlich, wie mit meinem indischen Kollegen und mir. Zwischendurch schaue ich ihn an und staune, was er alles sagt, was er könne… und ertappe mich bei dem Gedanken, was ich glaube, noch alles lernen zu müssen/ dürfen.

Heute haben wir dann unter anderem einen Entwickler kennengelernt, der uns die Arbeitsweise erklären wollte, nach der sie dort arbeiten. Als er realisiert hat, dass ich Scrum bereits kenne bzw. damit gearbeitet habe, war er direkt begeistert, weil das wohl hier noch in den Kinderschuhen stecke. Und schwups habe ich auch schon eine Kaffeeeinladung für nächste Woche zum Austausch erhalten. Darin wiederum bin ich ganz gut, nämlich im Netzwerken. Man muss nur die richtigen Leute kennen und sie zusammenbringen – dann kann man so vieles superschnell lösen.

Neu für mich ist, wieviel Freiheit ich so habe, was nicht ausschließlich gut für mich ist. Ich bin sehr freiheitsliebend, keine Frage. Aber ich gehöre noch zu der Generation, die meint, dann immer mehr tun zu müssen, damit man dieses Vertrauen auch wirklich verdiene. Ich darf immer nach Liechtenstein fahren, wenn mir danach ist. Es gibt bislang kein Limit. Was ich wie angehe, wieviel Zeit ich wofür benötige… liegt bei mir. Klingt echt verführerisch, birgt aber bei mir echt Gefahren. Es ist gut, die frühzeitig zu erkennen, doch sind sie dadurch nicht gebannt. Und daher sage ich meinem Chef auch klar, dass das ein Hinkefuß von mir sei. Ich habe reine Vertrauensarbeitszeit und muss daher weder stempeln, noch was aufschreiben. Wenn es für mich wichtig sei, die Stunden aufzuschreiben, könne ich das machen und nach Bedarf auch gern mit ihm diskutieren. Er benötige das seinerseits nicht. Das klingt sehr gut… aber ich sehe dennoch meine eigene Anspruchsfalle, in die ich tappen kann. Es bleibt also spannend. Doch heute war schon weniger Anspannung dabei als gestern. Wir sind eben einfach alle Gewohnheitstiere, gell?

… ich bin doch nur ein einfaches Mädel vom Land

Die Rückkehr aus dem Urlaub zieht sich, wie das immer so ist. Auf die S-Bahnen in München ist ja auch immer Verlass… nicht. Die Abfahrtszeiten springen wie Flummis innerhalb kürzester Zeit hin und her, bis ich mein Handy mit der dämlichen App einfach aus dem Fenster werfen will. Doch irgendwann komme ich doch noch Zuhause an und umarme mein Bettchen – natürlich erst, nachdem ich den Koffer ausgepackt hab. Das geht nicht anders, sonst würde ich kein Auge zumachen können. Ist das deutsch? Oder nur mein persönlicher Rititi? Entsprechend sieht aber auch mein Tisch aus: Chaos pur. Aber gut, dafür ist am nächsten Tag ja Zeit.

Und genau die habe ich ja, weil am Donnerstag mein Equipment von der neuen Firma kommen soll. So was kann ich ja leiden, wenn ich den ganzen Tag an mein Zuhause gebunden bin, weil irgendwann irgendwas geliefert werden soll. Mopper, mopper, mopper. Dabei klingelt es bereits kurz vor 12 Uhr an der Tür. Der UPS-Mensch entsteigt dem Fahrstuhl mit drei Paketen. Richtig, nicht Paketchen, sondern richtigen Oschies. Äääääh… will der hier wohl einziehen? Nun ist Technik ja nicht so richtig meins, weshalb ich erstmal in Panik verfalle. Die haben mir gleich zwei Monitore geschickt, Laptop, neuestes iPhone (als bräuchte ich so nen Firlefanz), Headset und so weiter und so fort. Soll ich hier etwa anbauen? Was denken die, was ich damit anstellen können soll? Der Blick in den Briefkasten macht mich dann noch blasser. Da liegt das Schreiben mit der Kreditkarte drin. Mein Herz wummert und wummert. Ich bin doch nur ein einfaches Mädel vom Land. Ich brauche gar nicht viel. Mein Hotel in Liechtenstein ist schon gebucht, der 3er BMW ebenso. Als am nächsten Tag die PIN per Post eintrudelt und ich erfahre, dass mein Kreditrahmen mal eben 6.000 Euro sind, wird mir wieder schlecht. Mich überfällt die Angst, dass die rausfinden, dass ich gar nichts kann. Wegatmen hilft irgendwie nicht. Ich gehe geistig die Gespräche durch, was ich gesagt haben könnte, dass so ein Aufwand hier gerechtfertigt wäre? Habe ich was verkauft, was ich nicht bin? Nee. Genau das fand ich ja so gut: Ich hab klar gesagt, was die von mir erwarten können, aber vor allem auch, was sie nicht erwarten können. Ich bin keine Zahlenfee, kein Technikmensch, kein Püppi im Kostümchen und werde ihnen nicht nach dem Mund reden. Und dazu haben sie ganz klar genickt. Ich suche und durchforste mein Gedächtnis systematisch, aber mir will nichts einfallen. Und auch, wenn ich noch nie eine Probezeit nicht überstanden habe, noch nie (außer beim Schlaganfall meiner Mom den Nebenjob) eine Kündigung erhalten habe, habe ich solche Versagensängste. Am Samstag treffe ich eine Vorstandsassistentin meiner alten Firma, die sich viel mehr für mich freut, als ich das gerade kann. Als ich ihr meine Bedenken erläutere, sagt sie: „Wenn Dir einer doof kommt – was nicht passieren wird – denk‘ dran: Die haben Dich gewollt! Du hast Dich nicht mal bei denen beworben! Wie geil ist das denn bitteschön?!“ Stimmt… und beruhigt mich ungefähr 30 Sekunden. Woher dieser innere Affenzirkus immer kommt, weiß ich absolut nicht.

Da einige Passwörter mitgeliefert wurden, war ich nicht sicher, ob ich jetzt schon alles im Vorfeld einrichten muss? Ich schiebe es, was normalerweise nicht meine Art ist. Dann versuche ich es kurz, aber scheitere. Da fehlt mir mal wieder das technische Verständnis… oder die Geduld… oder einfach beides. Was, wenn ich da Montag aufschlage und alle denken, ich sei brummelhohl? Alle anderen haben bestimmt alles schon perfekt vorbereitet. Ist wie früher zur Schulzeit, wenn man Zuhause gesagt hat: „Die anderen machen das auch alle!“ Was natürlich Mumpitz war. Rational weiß ich das auch alles. Emotional ist aber gerade Feuerwerk und Achterbahn und Springen durch brennende Reifen und überhaupt. Dann kommt der rationale Teil in mir durch, der sagt: „Haste se eigentlich nicht mehr alle??? Wer ist nach Peru gefahren, ohne spanisch zu können? Wer hat den Salkantay-Trail gemacht, ohne auch nur im Ansatz sportlich zu sein? Hä? Hääää???? Wenn et nix wird, bewegste Dich eben wieder. Bist ja kein Baum. Also: Arschbacken zusammenkneifen und jö!“ Das geht dann auch wieder ganz gut… bis ich heute noch mal versuche, mich einzuloggen bzw. erstmal mein WLAN zu hinterlegen, was auch schon nicht gelingen will. Und fürs Handy brauche ich eine E-Mail-Adresse von denen, die ich noch nicht habe. Also packe ich den Rotz wieder zusammen, dann in die Tasche, klappe den Koffer zu und düse los.

Die Autovermietung hat natürlich geschlossen, ist ja schließlich Sonntag. Ich hatte nach einem Code gefragt und diesen für den Schlüssel erhalten. Der Wagen von mir ist ums Eck geparkt… und nun suche ich das Mietauto. Nein, es steht nicht vor dem Eingang. Auch nicht an der Seite. Da irgendein Hansel gerade rauskommt, spreche ich den an. Seine Antwort: „Ach so… ja, die Autos stehen immer da hinten.“ Völlig logisch. Nicht ausgeschildert, ca. 200 m weiter weg, aber klar, hätte man bestimmt drauf kommen können. Aus den Unterlagen wird nicht ersichtlich, ob die jetzt schon die Mautgebühren drin haben oder nicht. Für Österreich ginge es ja digital, aber ein Nachweis liegt nicht im Handschuhfach oder sonst wo. Für die Schweiz gibt es wiederum nur Jahresvignetten, die ausschließlich geklebt werden können. Also darf ich die auch noch besorgen bzw. werde die Schweizer Mautstraßen umfahren, aber die Österreich-Vignette noch einkaufen. Wie gut, dass ich eine Kreditkarte habe…. die ich allerdings erst nach einer ausdrücklichen Unterweisung verwenden darf. Et löppt… Irgendwann komme ich dann auch an, sehe Berge (Gandalf!), blühende Magnolienbäume und dann auch mal ein Schild zu meinem Hotel. Doch dann finde ich nur das Casino. Ein Securitymensch kommt des Weges, den ich kurzerhand anhaue: „Können Sie mir helfen?“ Ich wirke wohl wie ein kleines Mädchen oder er fühlt sich cool als Helfer oder ist einfach nur ein hilfsbereiter Mensch – ist doch völlig wurscht. Er kommt jedenfalls nickend auf mich zu: „Hallo. Was brauchen Sie denn?“ Und dieser Schweizer Dialekt hat ja an sich schon was Runterfahrendes an sich, oder? Der entschleunigt einen sofort. Herrlich! Lässig hebt er eine Hand, um ein Auto aufzuhalten, das gerade aus der Tiefgarage rauffährt. Und ehe ich nachdenken kann, ist es auch schon raus: „Sie sind ja mal cool!“ Echt jetzt? So einen Scheiß sage ich? Immerhin kräuseln sich seine Lippen. Helfen kann er mir auch. Nur sitzt leider niemand an der Rezeption. Dafür lachen mich aber gleich zwei Automaten an, an denen ich mich anmelden kann – nicht jedoch, ohne meine Kreditkarte zu zücken und 500 Schweizer Franken für vier Nächte zu blechen. Und das ist kein Luxusressort. Welcome to Liechtenstein, gell? Kurz liebäugel‘ ich damit, mir eine Pizza in der nächstgelegenen Pizzabude zu holen, verwerfe den Gedanken an die Funghi-Pizza aber wieder, die schlappe 18 CHF kosten soll. Ich sag’s ja: Ich bin ein einfaches Mädel vom Land. Das kann ja was werden.

Der Plan ist, jetzt noch was zu lesen. Mittlerweile bin ich auch richtig ruhig. Es wird, was es wird morgen. Aller Anfang ist nicht unbedingt schwer, aber neu. Und da wir bekanntlich Gewohnheitstiere sind, meiden wir gerne alles Neue. Insofern bin ich gerade ein kleines bisschen stolz, dass ich mich dem doch stelle und wieder mal was Neues wage. In diesem Sinne: Möge Euer Start in die Woche ähnlich auf- bzw. anregend sein.

Jacaramba, Madeira und Poncha

Meine Mom hätte ihre wahre Freude. Heute legen wir in Madeira an. Ich höre die spanische Sprache viel lieber als portugiesisch, aber Madeira versöhnt mich doch mit den Kanaren, auch wenn sie selbst keine kanarische Insel ist… oder versöhnt mich mit dem Urlaub auf der AIDA… oder einfach alles in einem. 

Nachdem der gestrige Tag ausschließlich auf See stattgefunden hat (heißt im Klartext: die meiste Zeit in meiner Leseecke), ist es heute vollkommen anders. Morgens um sieben Uhr ist noch alles dunkel, aber die Lichter der Stadt funkeln wunderschön. Ich entschließe mich, früh zu frühstücken, um nicht direkt vollstes Gewusel zum Tagesbeginn zu haben. Das schlägt nämlich weniger auf den Magen, als vielmehr aufs Gemüt. Und dann flaniere ich auch schon zeitig los. Im Shuttlebus platziert eine Omma kurzerhand ihren Ömmes neben mich. Er zögert noch, aber ich versichere ihm, nur zu beißen, wenn er explizit darum bitte. Das beruhigt ihn wohl, denn er setzt sich. Und dann macht er die Sabbel auf, wobei mein Herz aufgeht. Das ist so ne richtige Berliner Schnauze, die ich da vernehme, was mich natürlich an „meinen“ Mike (gestrippt hat er noch nicht für mich, also nicht Magic Mike) erinnert. Er will auch nachher gar nicht aufstehen und wieder zu seiner Holden zurück. Gut, ich bin auch bestimmt 20-30 Jahre jünger. Daran könnte es liegen. Was auch erklärt, dass ihr das nahezu egal zu sein scheint. 

Da es kurz nach neun Uhr ist, als ich die Seilbahn erreiche, ist alles herrlich entspannt. Ich habe fünf Leute vor mir und kann quasi direkt in die Gondel einsteigen. Mit mir in der Kabine sind ein englisches und ein Schweizer Pärchen. Die Engländerin fragt noch: „I hope you don’t mind if I scream?!“ Och, ich kann ja mitschreien, wenn das nötig sein sollte. Währenddessen philosophieren die Schweizer, wer wohl auf dieser riesenfetten AIDA da unten so mitfahre? Ich oute mich, woraufhin sie mich löchern. Die beiden sind zum Wandern hier. Hier ist alles mit Anstieg, weshalb das dann ein Fluchurlaub für mich wäre, aber gut, dass wir alle so verschieden sind. 

Und dann geh ich einfach mal so in den botanischen Garten, was im Grunde gar nicht mein Plan war. Aber einmal dort, ist es einfach wunderschön. Und da denk ich dann schon an meine Mom. Die wäre hier bestimmt auch mal gern hingekommen, wenn sie denn noch gesund wäre. Ich denke in der Tat oft an sie und wie schön es hätte sein können, wenn sie keinen Schlaganfall gehabt hätte. Immer, wenn ich bunte Blüten sehe, denke ich an sie. Schon komisch, oder? Ob das mit zunehmendem Alter normaler wird? Ich weiß, als wir damals in Ungarn waren und meine Mom einen Geigenspieler gehört hat, dass sie an ihren verstorbenen Vater denken und entsprechend weinen musste. Heute kann ich das verstehen… als Kind natürlich nicht. Ich war zwölf und überfordert, meine Mom so schluchzen zu sehen. Bei uns ging es nie sehr emotional her, weshalb das wohl umso krasser zu erleben war. Ich liebe Geigenmusik und muss dann heute sofort an meine Mom und Ungarn und all das denken – und hab dabei meist Pfützchen in den Augen. Ja ja, ich und mein abartiges Elefantengedächtnis. Kurzerhand sehe ich die ganze Blumenpracht und nehme meine Mom einfach geistig mit. Da wird’s mir schon ein wenig schwer ums Herz. Mit Rollstuhl wäre das einfach nicht so zu bewerkstelligen. Was hat die kleine Mutti Zuhause immer ihre Blumen gehegt und gepflegt. Von hier hätte sie bestimmt auch Blumensamen eingepackt und sich Zuhause daran ausprobiert. Den grünen Daumen hat sie mir allerdings nicht vererbt. Sie war happy, wenn sie ihre „Schuffel“ (kann ich nicht übersetzen) zur Hand nehmen und im Garten wühlen konnte. Ich hingegen hab ihre rauen, kratzigen Hände im Sommer gehasst. Jede Strumpfhose hatte es schwer, da halbwegs zu überleben. Ich habe mal vor ihr gestanden und gesagt, dass ich niemals so leben wollen würde. Habe ich auch nicht. Rückblickend weiß ich nicht, ob es wirklich ihr Wunsch war, so zu leben… immer zu arbeiten, immer anderen zu dienen. In mancherlei Hinsicht hab ich natürlich schon einiges übernommen. Aber ich schufte nicht daheim für einen Despoten, dem niemand was recht machen kann. Ich habe nicht ängstlich zurückgezogen, sondern bin beruflich meinen Weg gegangen, was meine Mom auch gekonnt hätte, sich aber nie zugetraut hat. Sie hatte einfach gar kein Selbstwertgefühl. Schade… Ich glaube, sie hätte so vieles erreichen können, wenn sie sich nur getraut hätte. 

Um all diesen sentimentalen Gedanken entgegenzuwirken, trinke ich tatsächlich um halb elf ein kleines Gläschen süßen Madeira. Mmmmmh. Das könnte ich häufiger machen. Ich lasse mir Zeit, bevor ich – allein in einer Kabine hockend – talabwärts fahre. Es ist gegen Mittag und die Schlange vor der Seilbahn zieht ums Gebäude. Das nenne ich mal Glück, denn da hätte ich mich nie angestellt. Obwohl ich im Vorfeld gelesen habe, dass die Bahn durchaus 800 Leute in einer Stunde transportiert. Nur bin ich sehr ungern Schlangensteher. 

Was mir auffällt: Alles ist sehr sauber. Und doch sitzen an vielen Ecken Bettler mit zum Teil grausam entstellten bzw. verkrümmten Beinen. Das ist schon ungewöhnlich… und für die Betroffenen tragisch. Aber es sind so viele, dass ich mich schon wundere und frage,  woher das kommen mag? Eine Antwort finde ich leider nicht. 

Ums Eck sehe ich dann meinen neuen Lieblingsbaum: Jacaramba ist sein Name, was ein alter Portugiese für mich in Erfahrung bringt. Ich mag die bläuliche Farbe, weil sie so herrlich in der Sonne leuchtet. Ein bisschen wie Blauregen, was mich an den Film „Hinter dem Horizont“ erinnert. Wer ihn noch nicht kennt: Unbedingt gucken… und Taschentücher bereithalten. Oh man, hier werde ich noch richtig emotional. Ich ströp‘ ein wenig durch die Gassen, bis ich mir was zu essen suche. Und naja, was soll ich sagen? Es ist Urlaub. Ich muss jetzt endlich mal dieses Poncha probieren. Es ist ein Nationalgetränk, was richtig lecker und fruchtig ist… nur nicht ganz so clever in der Mittagssonne. Das Karussell geht allerdings nicht allzu lang, daher kann ich es echt nur empfehlen. Und weil ich es so empfehlen kann, trinke ich später noch einen. Allerdings nennt mich der Kellner auch „my darling“ und fragt charmant, welchen Wunsch ich denn hätte? Ich kontere: „Call me darling again.“ Tut er auch. Geht doch!

Mein Tag neigt sich dem Ende zu. Morgen gibt es noch einen Seetag, bevor die Reise auch schon vorüber ist. Mittwoch laufen wir in Fuerteventura ein, wo ich dann mittags gen Bayern düse – so denn nicht wieder alles streikt. Ich bin froh, dass Madeira noch so schön war. Und ich bin froh, wenn ich wieder in meinem Betti schlafen kann. Die nächste Woche verbringe ich ja auch schon wieder außer Haus und bin gespannt, wie gut ich mich wieder mit mehr Reisetätigkeit einleben werde. Alles in allem wird’s schon schiefgehen, gell? In diesem Sinne schicke ich Euch Sonnenstrahlen vom Atlantik aus und hoffe, es geht Euch auch gut?!

keine Palmen, aber anderes mit P

Heute nehme ich Euch mit nach Gran Canaria. Ich kann den Inselnamen nicht aussprechen, ohne an den Witz mit Honululu und Gran Canaria zu denken. Und das ist gar nicht so untypisch, weil es meiner Schwester nicht anders geht. Ich bin also nicht allein lala. So!

Gestern Abend durfte ich mein Essen übrigens an einem Tisch mit einem älteren holländischen Pärchen genießen. Sie waren so süß und für mich so typisch holländisch. Ob es mir auch so gut gefalle? Äääääh…nö. Warum das denn? Ich seufze und aktiviere alle holländischen Vokabeln, die mir zur Verfügung stehen. Übersetzt sage ich in etwa: „Zu viele Menschen und vor allem zu viele Deutsche!“ Die Frau fängt an zu lachen. Ja, in der Tat, es seien seeeeeehr viele Deutsche an Bord. 90 – 95 Prozent in etwa. Sie selbst seien aus Den Haag. Als sie sich zwei Stückchen Pizza holt, erklärt sie mir, dass sie nichts mehr rieche oder schmecke. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs, als ein Autofahrer seine Autotür geöffnet habe. Durch den Unfall habe es Blutungen im Ohr und Gehirn gegeben. In der Reha habe man ihr gesagt, es komme zurück, was zurückkomme – der Rest eben nicht. Durch den Unfall sei auch die Produktion von Endorphinen nicht mehr möglich. Deswegen nehme sie – Gottseidank gebe es diese – „happy pills“. Und jetzt esse sie Pizza und trinke Wein. „Ik proef niets meer, maar ik herinner het me nog. Nou, dat is iets, nietwaar?“ Und dann prostet sie mir zu. Wow, da kann ich wieder nur ehrfürchtig staunen, dass sie so positiv bleiben kann. 

Mein heutiger Ausflug geht in die Dünen von Maspalomas. Gar nicht so einfach, auf den Kanaren die Füße am Sandstrand ins Wasser zu bekommen. Überall sind diese fetten Steinstrände. Das soll heute anders werden. Und das wird es dann auch zum Großteil. Nicht überall, aber hier kann ich mal locker zwei Stunden durchs Wasser waten. Es ist gut voll am Strand. Ruhe, Einsamkeit… so was sucht man hier vergeblich. Aber gut, das hätte mir vorher klar sein müssen. Und so schlendere ich am Meer entlang mit so vielen anderen… und staune nicht schlecht, wie unterschiedlich die Figuren von uns allen sind. Mir fällt in der Tat nicht eine einzige Frau auf, die aussieht wie Gisele Bündchen, Heidi Klum und Co. Ich ziehe keinen Bikini an, weil ich immer denke, das will ja keiner sehen. Dabei ist das dieses verkackte Werbedenken, das ich im Kopf habe. Und hier ist wirklich alles vertreten. Und warum auch nicht? Es gibt genügend Männer, die auch durchaus propagieren, viele Frauen sollten besser einen Badeanzug tragen anstelle eines Bikinis. Und selbst? Tragen sie ihre dicken Trommeln mit Stolz vor sich her. Da stimmt doch was nicht, oder? Wir sind alle unterschiedlich, und niemand ist perfekt. Und gerade das macht uns doch so einzigartig, oder? Jede*r hat ihre/ seine Macken – innerlich und äußerlich. Es wird Zeit, dass wir das mal endlich als normal erachten und nicht diese gebotoxte Scheiße. Echt wahr…

Plötzlich wird mir klar, was mich hier so richtig irritiert: Da sind lauter nackte Menschen. Äääähm, da denke ich an meinen Ossi-Kollegen, der mir erst letzte Woche gesagt hat, wie prüde wir Wessis doch seien. Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich bin definitiv keine Nudustin. Er ist ohnehin anders unterwegs – in jeglicher Hinsicht. Die Woche über ist er im Süden und nur am Wochenende Zuhause im Osten. Das wäre nicht mein Leben, wenn ich Familie hätte. Ich kann ihn schon verstehen, weil im Süden nun mal die besser bezahlten Jobs sind. Familientechnisch ist es nur so, dass mit seiner Frau quasi gar nichts mehr laufe. Sie haben sich gern, aber das ist es dann auch. Irgendwie nicht meins. Dafür sei ich seins. Also sollte ich jemals wollen, er stehe zur Verfügung. Er und seine Frau hätten diese Vereinbarung, weil sie nun mal gar keine Bedürfnisse mehr in dieser Hinsicht verspüre. Ich weiß an so einer Stelle nicht, ob ich das als Kompliment oder Beleidigung sehen soll? Daher winke ich innerlich einfach ab, weil ich so was ohnehin nicht machen würde, und verbuche es unter Erfahrung. 

Genauso ist das hier so eine Erfahrung, die ich jetzt gemacht habe, aber auch nicht mehr brauche. Und damit bin ich fein. Mit den Penissen um mich herum jedoch gerade weniger. Ich komme mir vor wie bei Hugh Heffner, wo Mann ja von „Tittensuppe“ spricht, wenn er in der Grotte auf dem Anwesen planscht. Möpse, wohin das Auge reicht. Ich müsste blind sein, um hier eben keine Penisse zu erspähen – auch wenn ich das eigentlich nicht will. Da ist nämlich auch alles dabei. Und nahezu alle Männer stehen da und präsentieren sich regelrecht. Oh man… einer ist darüber tätowiert und trägt dazu noch ein Prinz-Albert-Piercing. Gar nicht so einfach, nicht zu lachen, sag ich Euch. Das ist nicht schön… ganz und gar nicht. Ich denke an das letzte Buch „Achtsam morden im Hier und Jetzt“. Die Ex-Frau des Protagonisten lässt sich darauf ein, ein Tantra-Workshop-Wochenende mit ihm zu besuchen, solange er sofort mit ihr abbreche, wenn sie einen baumelnden Penis entdecken würde. Als es passiert, ruft sie laut „Penis“ aus, woraufhin sie den Kurs abbrechen. Sie käme hier aus dem Schreien nicht raus, denke ich mir. Und dann frage ich mich, was in meinem Kopf schiefläuft, dass ich an so einen Kack denken muss. So ganz alle Latten am Zaun kann ich nicht haben. Muss ich ja auch nicht. So lebt es sich nämlich vermutlich lustiger. In diesem Sinne: Frohes Schwingenlassen!