Hurra, mein Zug ist pünktlich. Deutsche durch und durch, halte ich mich dann auch brav an die Vorgabe und zahle den höheren Fahrpreis. So ein NRW-Ticket hätte mich weniger gekostet, aber es gilt erst ab neun. Murphy’s Law tritt natürlich wieder ein: Es kommt kein Kontrolleur. Hätte ich die andere Variante gewählt, wäre einer gekommen. Das steht zu 1000 % fest. Nett finde ich dann auch das Gespräch, das ich vom treuen Enkel mitbekommen kann. Nicht nur ich habe ein Exklusivrecht darauf, sondern auch alle anderen in meinem Zugabschnitt. Der junge Mann ist eben rücksichtsvoll und spricht so laut, dass Omma ihn auch verstehen kann. Er rät Omma dringend, dass Oppa über ihre Medikamente wachen solle, weil: „is ja wichtig, ne Omma?“. Wenn sie es auch nicht verstehen sollte, wir sind alle seine Zeugen. Es geht übrigens nach Teneriffa. Interessiert nicht? Nö, mich auch nicht. Zuhören muss ich dennoch. Und dann legt er mit: „Tschüss, Omma, ne?“ auf. Anschließend erzählt er seiner Freundin noch mal, was Omma so gesagt hat. Wahrscheinlich hört die Gute aber auch nicht mehr so recht, denn die an Omma angepasste Lautstärke wird nicht verändert. Ihre Antworten hört man dann aber leider nicht, weil sie der Umgebung angepasst leiser spricht.
Mein heutiger Workshop ist als ok zu bezeichnen. Gestern war mehr Handwerkszeug dabei. Heute ist es eher mau darum bestellt. Und ich registriere mal wieder ganz stark, wie abhängig so ein Workshop vom jeweiligen Trainer ist. Die Dame gestern war mir sympathischer. Die heutige ist nett, aber der kühle, distanzierte Typ. Gestern war es nahbarer, freundlicher und auch informativer. Aber der Stachel der gestrigen Kritik des Besserwissers sitzt noch tief. All das Gute, Wertschätzende und Lobende steht im Hintergrund. Was zählt, ist der Kritikpunkt. Dieser Mensch, den ich auf Anhieb unsympathisch fand, hatte angemerkt, er fände meine Mimik übertrieben, und daher wirke ich nicht authentisch. Hm. Kleingeistig meinerseits, aber es pestet mich. Ja, ich habe eine starke Mimik, denn das bin ich. Das war ich immer schon. Auch schon, als die böse Omma meinte, ich solle mit dem Fratzenschneiden aufhören, da sonst das Gesicht so stehen bliebe. Ich habe das damals immer mit einem Schulterzucken abgetan. Die Falten, die ich bereits besitze, zeigen deutlich, wie stark meine Mimik schon immer gewesen sein muss. Nun fand ich den Typen ja gestern schon doof. Seine Meinung kann mir doch mal geschmeidig am Heck vorbeigehen. Tut sie aber nicht. Und das ärgert mich zu Tode – zumal ich ja weiß, dass ich ihn heute wiedersehe. Danach wohl nie mehr, aber wertvolle drei weitere Stunden meines Lebens. Gottseidank ist aber noch ein anderer von gestern da, was weder der Miesepeter noch ich wussten. Und neben wen setzt sich der Nette? Neben mich. Ha! Das kleine, zickige, mimisch-akrobatische Mädel in mir führt innerlich einen kleinen Hexentanz auf. Nur mit Not schlucke ich ein: „Nänänänänä!“ herunter. Ist kindisch. Ist Fratzenschneiden auch. Na und?! Der Nette und ich plaudern. Wie ist es auch anders möglich, wenn er mich mit den Worten: „Ach, die Rheinländerin!“ begrüßt? Wir haben Späßchen. Miesepeter hat sich ein paar Stühle von mir entfernt hingesetzt. Ich glaube, wir mögen uns beide gegenseitig herzlich….also herzlich wenig.
Die Theorie umfasst einen Miniteil. Was mich stört, sind die tausend „Äh’s“ der Trainerin. Hin und wieder darf sich eines einschleichen, aber nicht so viele…und erst recht nicht nach 15 Jahren Tätigkeit. Und dann gehen die Präsentationen der einzelnen Teilnehmer los. Die erste Dame ist sehr aufgeregt, aber dennoch sehr gut, wobei sie selber denkt, völlig verkackt zu haben. Die Kritik heute ist viel wertschätzender als gestern, was mir gefällt. Es ist nicht eine Präsentation dabei, die mir so gar nicht gefällt. Nur eines fällt auf: Alle sind eher ruhige Persönlichkeiten. Das meine ich nicht als monoton. Ich habe nur nahezu komplett in sich ruhende Persönlichkeiten vor mir. Und dann komme ich, der Hibbel? Unbewusst passiert es: Ich sage noch eingangs, dass ich bewusst das Sitzen auswähle, weil ich sonst immer im Stehen referiere und das weniger Herausforderung für mich sei. Ich würde daher das Sitzen wählen, um das für das Vorstellungsgespräch zu üben. Was passiert, ist, ich passe mich an. Ich sitze ruhig, ich Rede flüssig und schlüssig und höre von der ersten Dame: „Wenn Sie meinen, Sie können das gut im Stehen, kann ich Ihnen sagen: Im Sitzen auch.“ Das freut mich natürlich. Der Besserwisser sagt, nun sei ich authentisch gewesen, also nicht wie gestern, sondern dieses Mal stimmig. Und der Nette? Er sagt, dass genau das nicht der Fall war. Ich könne reden, keine Frage. Das war ja auch nicht heutiger Bestandteil. Aber ich hätte mich kontrolliert. Ich hätte meine Hand festgehalten, quasi wie um mich selbst zu bremsen. Mein Temperament zeichne mich doch aus. Ich solle es leben und dazu stehen. Ich spüre, dass genau dies der Fall war. Ich habe mich zurückgenommen, um a) in dieser homogenen Gruppe nicht aus dem Rahmen zu fallen und b) um dem Tünnemann was zu beweisen. Und was habe ich ihm bewiesen? Wie dumm ich bin. Er, der völlig unwichtig ist, hat mich dazu gebracht, an mir zu zweifeln und mir nicht zu trauen.
Ich bewundere Menschen, die so völlig in sich ruhen. Solche, die beruhigend auf andere wirken. Allerdings bin das nicht ich. Ein ehemaliger Kollege hat mal gesagt: „Sie sind ein Dynamo!“ Und damit meinte er nicht, ich sympathisiere mit dem Dresdner Fußballverein. Es heißt, ich habe Feuer im Blut, Pfeffer im Pöppes oder wie auch immer man das nennen mag. Egal wie: Ich muss lernen, mehr auf andere zu pfeifen, mehr Selbstsicherheit zu gewinnen und zu meinen Kanten zu stehen. Ruhig und kontrolliert kann ich auch – steht mir aber nicht so gut.

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