Der Eichelhäher ist nicht wiedergekommen. Vermutlich weiß er ganz genau, wie wirkungsvoll er gerade bei guter Dosierung zur Geltung kommt? Wenn er täglich auf meinem Balkon hocken würde, wäre das gewöhnlich. Und der Gute will vermutlich alles sein – nur nicht gewöhnlich. Ich verstehe ihn, denn wer will das schon?
Und trotzdem – auch ohne den Vogel – kann ich abends noch meine Stimmung drehen. Ja, ich habe mir ein Herz gefasst und meine Kritik wertschätzend, aber klar rübergebracht. Doch das dreht ja keine motzige Stimmung, die den ganzen Tag vorher in mir gebrodelt hat. Also setze ich mich auf meinen Balkon, ziehe mir eine Sauerstoffvergiftung rein und telefoniere kurz mit meiner Sis. Das allein macht es schon besser. Als wir auflegen, höre ich, wie unten drei Kinder spielen. Ja, die Kleinen halten sich an keine Abstandsregeln, sondern sind einfach froh, dass es gerade trocken ist und sie ihre Freunde wiedersehen können. Und da singt die Rädelsführerin mit ihren schätzungsweise fünf oder sechs Jahren: „Fang´ mich doch, Du Eierloch!“ Da muss ich dann doch lachen. Eierloch? Ja, ich kenne das Wort. Trotzdem. Ich stelle mir vor, wie ich das Heinz entgegenschmettere. Hätte was. Morgen muss ich ihn nämlich wieder in unserer Skype-Schalte erleben. Ach…einfach mal: „Na, Heinz, Du olles Eierloch“ zur Begrüßung zu schmettern, hätte doch was. Mache ich nicht. Aber amüsant finde ich es schon.
Heute Morgen habe ich wieder einen Termin in der Stadt. Anschließend gehe ich gemächlich nach Hause und „ströp´“ ein bisschen herum. In einen Laden gehe ich dann doch mal rein – einfach nur ein bisschen schauen, schadet ja nicht. Und schwups, kommen immer mehr Menschen herein. Komischerweise schaffen es Menschen nicht, sich an deutliche Hinweise zu halten. Da steht über einer Tür wirklich fett „NUR Eingang“, an der anderen Tür noch größer „NUR Ausgang“. Ist wohl schon überfordernd für einige. Mehrere müssen darauf hingewiesen werden, dass sie die andere Seite für den Eingang nutzen sollen. Ich weiß, es gibt Analphabeten in Deutschland, aber die tummeln sich nicht alle hier. Unter das Ausgangsschild muss man sich auch ducken, weil es so tief unten hängt. Trotzdem reicht das wohl noch nicht.
Irgendwann ist der Laden dann an der Grenze der erlaubten Einkäufer angekommen, weshalb die Verkäuferin ruhig zu einer Dame am Eingang sagt: „Warten Sie bitte noch einen Moment.“ Darauf keift die Frau los: „Warten Sie bitte?! Warten Sie bitte?! Sie können mich mal!“ Ääääh…und geht. Hallo? Da fällt mir das „Eierloch“ wieder ein…oder doch eher das Wort, das auch mit -loch endet? Puh, jetzt dürfen wir doch schon in ein paar Läden rein. Muss dann unbedingt der ganze Frust an einer Verkäuferin ausgelassen werden? Die Maske macht es natürlich auch leichter. Hat schon was von der Anonymität im Netz. Man wird da draußen ja nicht sofort erkannt, wenn man die Maske über die Hälfte des Gesichts gezogen hat. Da kann man sich mal richtig rotzig und asi aufführen, oder? Echt schräg.
Und so zieht ein recht ereignisloser Tag vorüber. Spannend ist eigentlich nur der Anruf einer alten Kollegin aus der Versicherung, die ziemlich desillusioniert ist. Ihr Regionalleiter fordert doch tatsächlich seit Wochen seine Außendienstler dazu auf, jetzt die günstige Zeit zu nutzen. Viele Leute seien daheim! Da könnten sie doch ohne Ende Geschäft generieren. Dazu muss man sagen, dass die Zielgruppe in der Sparte alte und kranke Leute sind, also solche, die ohnehin gerade am stärksten gefährdet sind. Macht doch nichts! Man solle vorher fragen: „Sind Sie krank? Nein? Ich auch nicht. Dann kann ich ja reinkommen.“ Keine Ahnung, spricht man da noch von Fahrlässigkeit oder schon fast von Vorsatz? Ich weiß es nicht und kann nur den Kopf schütteln. Was bin ich froh, in dem Metier nicht mehr unterwegs zu sein. Meine ehemalige Kollegin weigert sich aber auch, derzeit Menschen zu besuchen. Ihr Mann ist krebskrank und derzeit ein verdammt schlechtes Immunsystem. Nach zwölf Krankenhausaufenthalten allein im letzten Jahr, möchte sie nichts wagen – was ich so gut verstehen kann. Ihr Chef tut sich da allerdings sehr schwer und versucht, sie zu drängen, doch noch rauszugehen. Und wieder fällt mir das „Eierloch“ ein. Ach, Kinder können schon eine echte Inspiration sein, oder?
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