Heinz ist nicht in Hochform. Er schwächelt – und nicht nur, weil er seinen Skype-Zugriff auf dem Laptop zerschossen hat. Er ist völlig überarbeitet. Richtig, er arbeitet diese Woche auch nur zwei Tage, wie wir anderen auch. Erreichbar ist er telefonisch nicht, weil er schlichtweg absäuft. Ist klar, oder?
Derweil hab ich einen neuen Coachee übernommen, der nach 10 Minuten Telefonat sagt, ich wäre genau nach seinem Geschmack – er, der Ur-Bayer aus dem bayerischen Wald, der sich (O-Ton) „nix scheißt“ und sogar den Vorstand einfach duzt. Und auf der anderen Seite ich, die rheinische Kodderschnüss, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Es dürfte durchaus lustig werden. Ich hab schon viel von ihm im Vorfeld gehört. Immerhin ist er quasi schon Firmeneigentum nach 42 Jahren Betriebszugehörigkeit. Er hat nur noch zwei Jahre vor sich und haut mich dann um mit dem Satz: „I mog scho noch wos von Dia lerna – wenn i dorf!“ Und ich von ihm. Denn nur, wenn es meine Grundhaltung ist, dass ich immer und von jedem etwas lernen kann, kann doch erst was Tolles entstehen. Ich freu mich also riesig.
Zwischendurch fahre ich noch kurz einkaufen, weil ich morgen keinen Nerv auf übervolle Läden habe, da ja Donnerstag Feiertag ist, wo es ja danach nie mehr was zu kaufen geben wird. Es geht in der Tat auch, was die Menschenmenge betrifft. Ich hab wieder meine zehn Pfandflaschen im Korb und steuere direkt nach links Richtung Leergutautomat. Gerade kommt jemand von rechts angeschlappt und – kennt Ihr das? Ich kann sehen, wie er mich anschaut, dann meinen Korb mit dem Leergut erblickt und dann ein Ruck durch seinen Körper geht, weil er auf einmal gleich vier Gänge hochzuschalten scheint. Ich könnte mir vorstellen, der kriegt mit dem Einsatz schneller nen Job als Vettel. Zu köstlich. Ich nehme einfach den Leergutautomaten direkt neben ihm und bin vor ihm fertig. Schade, dass man unter der Maske mein Grinsen nicht erkennen kann.
Seit heute kann ich dann auch verstehen, dass die Maske keinen ausreichenden Schutz bieten kann. Im Laden rieche ich nämlich einen Mann mehrfach (der läuft noch chaotischer durch den Laden als ich) schon, bevor ich ihn sehe. Ich taufe ihn mal Stinke-Jupp. Und nein, es ist kein Schweiß, sondern so ein abartiges Aftershave der Marke „viel macht es auch nicht besser“. Vielleicht ist das aber seine Taktik, sich Corona vom Leib zu halten? Nehmen Viren eigentlich Gerüche wahr? Das könnte doch mal ein guter Forschungsansatz sein.
Mein Einkauf ist Zuhause weggepackt, also bringe ich noch zackig den Müll raus, bevor mein Webinar losgeht. Puh, Lust hab ich gerade wenig, weil… ja, einfach weil. Es ist warm, die Sonne scheint, ich hab schon genug am PC gesessen. Draußen begegne ich dann den Rotzigen aus den Häusern und Wohnungen rundherum. Und da sehe ich die Kleine von gestern. Ich frage sie, ob sie das wirklich gestern mit dem tollen Kleid gewesen sei? Sie nickt schüchtern. Ich bestätige ihr noch mal, wie zauberhaft sie darin ausgesehen hat. Das lässt sie strahlen – auch noch, als die Mutter von hinten ruft, was die Frau denn da gesagt hätte?
Und dann startet das Webinar. Wow. Ich merke erst, dass 1 1/2 Stunden rum sind, als die Trainerin sagt: „Welche Fragen, Rückmeldungen, Anregungen habt Ihr noch, bevor wir dann Feierabend haben?“ So kann man so ein Online-Dings also auch durchführen. Ich bin begeistert. Ein Fazit ist für mich eine ihrer Anmerkungen: „Nimm kein bestehendes Präsenztraining, das Du dann genau so im Online-Modus durchführst. Denk erst digital. Da gibt es ungeahnte Möglichkeiten. Tob Dich aus!“
Ich bin und bleibe der Präsenz-Befürworter. Aber die digitale Sperre ist vor allem in meinem Kopf. Da möchte ich sie abbauen. Wenn ich dann künftig eine gute Mischung aus Präsenz- und digitalen Veranstaltungen anbieten kann, wird es richtig rund und gut. Mal schauen, wie es weitergeht, aber verdammt gut zu wissen, dass es auch anders geht.
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