Heute fahre ich zeitig los in die Arbeit. Immerhin hab ich ein paar Termine zu absolvieren, bevor ich nach Straubing aufbreche. Also: Maske auf und ab in den zweiten Stock. Und da treffe ich auf die Putzfee – eine, die ich noch nie gesehen habe. Ich lege einen Zahn zu, damit sie nicht vor verschlossenen Türen steht. Und dann haut sie mit griechischem Akzent raus: „Mach langsam, Schätzchen. Das passt schon!“ Ich schau sie verdutzt an und sage: „Schätzchen? Hat auch lange keiner mehr zu mir gesagt. Aber gefällt mir.“ Sie zuckt mit den Schultern: „Sage ich so.“ Dabei hat sie so was Mütterliches an sich, dass ich mich gern in ihre Arme werfen und mit Apfelkuchen füttern lassen möchte. Sie fragt, ob ich Schätzchen morgen auch hier sei? Nein. Schade, denn dann hätte unsre Firma ja erstmal zu. Hä? Nö?! Sie arbeitet bei einer externen Putzfirma. Kurzarbeit ist nicht. Wenn keine Arbeit da ist, müssen sie Urlaub nehmen. Elf Tage sind schon weg. Die komplette nächste Woche kommt dann auch noch dazu – weil bei uns geschlossen sei. Und da mecker ich… oh man! Sie verabschiedet sich süß, bevor sie wieder geht.

Und dann kommt mein Betriebsratskumpel. Ich möchte ja immer allen Dingen auf den Grund gehen, aber manches sollte man vielleicht besser nicht wissen. Ich erfahre wieder Zahlen, die meinen Kopf schwirren lassen. Rosig ist was anderes. Und doch gibt es wesentlich schlimmere Schicksale, die jetzt mit Kurzarbeitergeld schon nicht mehr über die Runden kommen. Erschreckend. Und nicht nur bei uns sieht es unlustig aus. Andere namhafte, große Firmen planen einen Stellenabbau im großen Stil. Gruselig.

In unserer digitalen Teamrunde geht es dann hingegen wieder eher lustig zu. Jeder soll berichten, was er/sie so arbeitet. Wohlgemerkt muss ich jeden Tag im Home Office nach Feierabend mailen, was meine Haupttätigkeiten waren. Arbeite ich in der Firma, muss ich das nicht. Bestechende Logik, oder? Und da das nicht ausreicht, soll jeder noch mal allen im Team davon berichten. Und – quelle surprise ! – ich wundere mich wieder einmal, wie manche es mit ihrem Einsatz noch nicht an die Weltspitze geschafft haben. Natürlich holt Heinz von Pontius nach Pilates über Andromeda aus. Ich bin dieses Mal mit Kamera zugeschaltet und kann mein Grinsen nicht unterdrücken. Hilft dennoch nicht. Bei einem anderen Kollegen, der gerade über einen Kollegen aus einer anderen Niederlassung berichtet, welche Kinderbetreuungsschichten der hätte, wird mein Chef dann doch noch aktiv: „Wer wann in Hannover welches seiner Kinder betreut – in der Tiefe müssen wir das nicht wissen.“ Und schon rauscht es wieder weiter. Aber immerhin, er hat es erwähnt, dass es uns so viel interessiert, wie ein Sack Reis in China.

Dann geht es auch schon los nach Straubing. Ooooooh, was bin ich gespannt, welchen Mietwagen ich heute bekomme. Bislang war ja so ziemlich alles dabei. Und so ist es heute ein 5er BMW Kombi. Ich schaue nicht nach, wie viel PS er hat. Wozu auch? Das merke ich dann irgendwann, als ich mich wundere, warum die anderen so schleichen. Uups, der Tacho zeigt 198 km/h an. Das merkt man aber nicht mal. Und das Pedal ist auch noch lang nicht durchgetreten. Huiiiiiii, nur Fliegen ist schöner.

Es ist toll, die lieben Kollegen aus Straubing zu sehen – leider ohne Umarmung, wie es sonst üblich ist. Wir reden über die Führung in der Krise – und auch schon in der Zeit davor. Mein Kollege Steve hat vor zwei Jahren seinen Vater verloren. Ohne Ankündigung stand sein Chef bei der Beerdigung am Grab. Zum Baby vor sechs Monaten ist er auch vorbeigekommen und hat gratuliert. Wenn eine Veranstaltung vor Ort in München zu anstrengend war, ist er auch schon an einer Tanke angefahren, um auf der Rückfahrt mit ihm ein Büchsenbier zu trinken. Ja, wir sind in Bayern. Da ist das Grundnahrungsmittel. Aber mal im Ernst: Das ist ein nahbarer Chef, der Anteil nimmt. Für so jemanden möchte man durch springende Reifen springen. Dabei macht er natürlich auch nicht alles richtig. Aber er weiß, was seine Leute umtreibt, welche Sorgen und Nöte sie haben. Und dann ist er da, schaut nicht weg.

Nur: Wer hat so einen Chef? Ich nicht und hatte es auch nie. Mein alter Kollege, mit dem ich früher Seminare gegeben habe, war vorher Regionaldirektor. Er hatte zu jedem Mitarbeiter einen Steckbrief angefertigt mit dessen Hobbies, Vorlieben, Geburtstagen, Familienstand und anderen wichtigen Infos. Sie waren eine eingeschworene Truppe, was man bis heute merkt. Dieser Mann ist vorgestern 81 Jahre alt geworden und mit 65 von seinem Posten weggegangen. Wenn er heute zu einem Treffen einlädt (das vorletztes Wochenende stattgefunden hätte, aber durch Corona dieses Jahr leider nicht), kommen sie in Scharen. Weil sich da der Unterschied zwischen Führung und Management zeigt. Er hat immer gewusst, was seine Leute bewegt, weil seine Maxime war: Nur glückliche/ zufriedene Mitarbeiter bringen Höchstleistung. Und dann haben doch alle etwas davon.

Von solchen Menschen können wir nicht genügend haben. Und wenn einer von Euch Führungskraft ist, übernehmt gern die Idee mit dem Steckbrief. Und für alle: Ein bisschen Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen tut keinem weh. Nein, ich will auch nicht alles von Heinz wissen oder ihm zu viel Aufmerksamkeit schenken. Und ich will auch nicht den Gutmenschen strapazieren. Doch so ein kleines, unerwartetes „Schätzchen“ reicht manchmal schon aus, um den Tag des anderen ein bisschen schöner zu machen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s