Kennt Ihr das, wenn es so aussieht, als würde alles peu à peu weniger? Ich meine den Arbeitsberg. So dachte ich das zumindest. Aber so sieht es leider dann doch nicht aus. Irgendwie werden die Aufgabenpakete eher größer. Naja, sollen sie. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich bald Urlaub habe. Und auch, wenn ich dachte, ich sei nicht urlaubsreif, merke ich in den letzen Tagen doch, wie sehr ich einfach mal Runterkommen benötige.

Mein Workshop mit den Kollegen läuft heute echt gut. Heinz ist ja auch nicht dabei. Er wollte uns zwar seinen Input geben, wie er das bereits alles erfolgreich macht, aber genau da wissen wir, dass es eben nicht erfolgreich ist. Wir wollen kreativ und offen Neues entwickeln. Da die selbsternannte Spaßbremse nicht wirklich fähig ist, sich und sein Verhalten zu reflektieren, habe ich es – ganz subtil natürlich – geschafft, ihn von dem Workshop fernzuhalten. Bei ihm ist es so einfach, die richtigen Knöpfchen zu drücken. Wenn nur alles so leicht im Leben wäre.
Der Nachteil an einem Haufen Beratern? Ganz einfach: Wir reden zu viel, springen zu schnell auf Lösungen und sind schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe. Irgendwie gelingt es mir dann doch, was aber schon eine Menge Energie kostet. Dafür steht am Ende aber auch was auf dem Papier, das uns alle zufriedenstimmt. Ist doch auch mal schön.
Was wir alle feststellen: Konstruktiver Austausch fehlt in diesen Zeiten total. Wir vereinsamen total. Und wenn kein Miteinander stattfindet, macht uns das das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon der Fall ist. Daher spreche ich meinen Chef auf direkt an, inwieweit es möglich sei, zukünftig mitzugestalten? Wollen tut er…aber das tut er ja bei vielen Dingen. Und dann frage ich, ob es eigentlich je anders war. Wir haben dieses Mal eine gute Erklärung, warum wir nicht dazu kommen: Corona mit den Folgen, wie Kurzarbeit, Home Office etc. Aber war es davor echt anders? Traurig, aber wahr: Es war auch vorher nicht anders. Höchste Zeit also für Veränderung.
In der Pause, die wir dann spontan zu fünft verbringen, haut meine Kollegin wieder einen raus. Die Männer kloppen Sprüche und berichten von einer Kollegin, die die männlichen Kollegen vor Jahren immer als chauvinistisch bezeichnet hätte. Ich zucke mit den Schultern und merke trocken an: „Seid Ihr ja auch.“ Und da sagt meine Kollegin so süß zu mir: „Das ist wieder so ein Wort! Ich kenne solche Worte nicht. Da musst Du mir noch mal helfen.“ Letztes Mal war es ja das Wort „gelinde“, wo sie so völlig auf dem Schlauch stand. Ich finde es toll, wie offen sie damit umgeht, auch wenn ich sie dann immer etwas foppe. Sie macht es umgekehrt auch mit meinem Alter. 😉 Nur sind das für mich alles noch völlig gebräuchliche Wörter. Aber da haben wir es wieder: Gehen wir nicht alle immer von uns aus, was wir als „normal“ oder „gebräulich“ erachten?

Der Tag läuft also gut, wenn auch engmaschig getaktet…bis mich der Chef des anderen Teams anmailt. Er wolle es mir persönlich mitteilen, dass er nun vorübergehend ausfallen würde. Ich habe ihn ja zuletzt noch darauf angesprochen, mir Sorgen zu machen und würde nun leider Recht behalten. Sein Arzt habe die Reißleine gezogen, er müsse erstmal Zuhause bleiben. Er hatte schon zwei Mal ein Burnout-Syndrom. Das Problem bei ihm ist eindeutig die vollkommen fehlende Achtsamkeit. Ich weiß, dass dieses Wort für viele schon überstrapaziert ist, was es aber kein bisschen weniger wichtig werden lässt. In dieser Firma – wie in vielen Konzernen – ist der Mensch einfach nur so etwas wie Material. Das mag im letzten Jahrhundert in Teilen noch funktioniert haben, doch auch da nur kläglich. Die Menschen brennen aus, sind völlig überfordert mit all dem, was auf sie einprasselt.
In dem Zusammenhang fand ich es gestern spannend, dass Angela Merkel von „vulnerablen“ Menschen gesprochen hat. Ich schätze ihre ruhige, diplomatische Art sehr. Aber ich dachte, wenn sie da mal nicht die falsche Vokabel verwendet. Als ich meine Kollegen heute dazu befrage, kann keiner etwas mit dem Begriff anfangen. Ich persönlich kenne es aus dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell – aber auch nur, weil ich mit aktiv mit diesen Themen beschäftige. Solche Begriffe sind nicht Standard. Auch da werden also Menschen abgehängt. Manche machen sich die Mühe, so etwas nachzuschlagen. Viele schalten aber einfafch ab. Schade…sehr schade. Hier müsst Ihr nicht nachschlagen: Vulnerabel bedeutet verletzlich oder anfällig. Und irgendwie verwenden wir das gefühlt immer nur in Bezug auf körperliche Verletzlichkeit. Dabei ist die Seele oder Psyche völlig vergessen, was aber so ungemein wichtig ist. Wer sich für diese Komponente interessiert, kann sich auf Youtube mal etwas aufschlauen:

http://www.youtube.com/watch?v=WcUBgrqXqfI

Nein, ich kenne die Autoren nicht und verdiene auch nicht daran. Ich finde nur, dass das Modell dort gut beschrieben ist und auch ein bisschen Verständnis dafür bringt, warum manche Menschen anfälliger für Stress sind als andere.
Es macht mich traurig, zu sehen, wie immer mehr Menschen leiden und so wenig Rücksicht genommen wird. In harten Zeiten wird der Führungsstil nicht etwa kooperativer, sondern direktiver. Irgendwie kann es das doch nicht sein, oder? Ich finde es schade…und den Leidensweg einiger echt tragisch.

Doch es gibt auch gute Erlebnisse. Heute Morgen schreibe ich der Voluntärin, die ich aus Peru kenne, alles Liebe zum Geburtstag. Sie antwortet mir mit einem Bild, das ein Ultraschallbild zeigt: Sie ist schwanger. Wow! Sie ist noch jung, ich meine heute 21 Jahre jung geworden. Ich stelle es mir herausfordernd vor, aber auch richtig klasse, so eine junge Mutter zu haben. Dazu ist sie so weltoffen, lieb und tolerant…man, das kann nur wunderbar werden. Ja, ich hätte dieses Erlebnis auch gerne gehabt. Aber ich kann auch von Herzen gönnen. Und hier? Da fühle ich einfach nur ein wohliges Gefühl in meiner Bauchgegend. Babys sind was Gutes. Und in den richtigen Händen können sich aus ihnen wunderbare, liebevolle Menschen entwickeln, die die Welt jeden Tag ein bisschen schöner machen.

3 Kommentare

  1. Ein sehr interessanter Aspekt … wie Worte ausgrenzen oder einbeziehen können. Ich habe die Rede von Merkel, auf die du dich beziehst, nicht gehört, bzw. davon nicht gelesen, schätze aber normalerweise ihre klare und bedachte, einfache Wortwahl, um alle zu erreichen. Ein Fehler bzw. Ausrutscher sei verziehen!

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    1. Hallo Anke,
      ja, das sehe ich auch so. Manchmal frage ich mich nur, sind das Wörter, die jeder kennt? Oder stelle ich mich nur an? In der Tat kennen viele dieses Wort nicht. Und genau: Ich schätze die unaufgeregte Art von Angela Merkel zu reden auch sehr. 🙂
      Und trotzdem gehen die Leute auf die Straße und schreien sich die Bläschen aus der Lunge. Alles sehr, sehr strange, oder?
      Schpnen Abend Dir!

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