Neujahr ist irgendwie immer ein komischer Tag für mich. Das war immer so und wird wohl auch so bleiben. Dieser Tag hat immer etwas Ernüchterndes an sich. Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, wo es so richtig schön an Neujahr war… da bin ich nach Strasbourg gefahren. Ansonsten ist der Tag aber immer so was wie „der-muss-zwar-sein-weil-er-den-Jahresanfang-macht-aber-trotzdem-ist-er-saudoof“. Vermutlich kommt hinzu, dass ich wieder kurz vor der Mens stehe. Und zusätzlich reise ich morgen wieder ab. Das ist vollkommen ok. Immerhin bin ich ja auch schon einen Monat hier. Trotzdem hasse ich Abschiede.

Zunächst einmal wache ich auf und bin froh, keine Kopfschmerzen zu haben. Mein Nacken ist so hinüber, dass es gestern Abend noch so richtig hochgekrochen ist und mein Schädel wie Hulle pochte. Der Nacken ist nach wie vor im Eimer, der Kopfschmerz aber vorübergehend weg. Wir hatten gestern beschlossen, heute nicht zu frühstücken, sondern Raclette zu machen – quasi als Brunch. Guter Plan, oder? Um 10 Uhr sind wir zwar zu dritt startklar, aber die Jugend ratzt noch. Klar, bei denen war es ja auch immerhin 3 Uhr heute früh plus ordentlich Umdrehung on top. Gott im Himmel, das Silvesterfest, als ich 16 geworden bin, war auch mit einigen Umdrehungen und einer wilden Knutscherei mit David. Nachname wusste ich nicht, spielte auch keine Rolle. Ich hatte als Andenken ja immerhin diesen fetten Knutschfleck. Seine Nummer wollte ich nicht haben (er hatte sie mir angeboten bzw. nach meiner gefragt), aber ich wollte keinen Freund mit diesem Namen, weil er seinen englisch aussprach, also Deiiivid. Fand ich doof. Man, was hatte ich schon damals den Durchblick. Und stellt Euch vor, der hätte bei uns Zuhause angerufen, denn Handys gab es ja nicht: „Hallo, ich heiße Deiiiivid und hab mit ihrer Tochter rumgeknutscht. Ist die da?“ Da hätte meine Mutter den Exorzisten bestellt. Mit dem Erfahrungsschatz von damals kann ich nachfühlen, wie die drei sich heute Morgen fühlen. Wir warten noch ein Stündchen und starten erst nach 11 Uhr das Essen. Der Kleine liegt mit flauem Magen im Bett – angeblich vom Essen. Das hat sich wohl nicht so gut mit dem Alkohol verstanden. Das lernt er noch. Der Große hat – wie immer – Hunger und weiß, dass er dringend was in den Magen benötigt, das den Alkohol ansorbiert. Daran erkennt man den Profi. Seine Maus leidet hingegen noch ein bisschen. Es dauert, bis sie mit dem Essen beginnt. Da leidet mein Herz ja schon immer ein bisserl mit. Allein, es bringt ja nichts. Das haben wir ja alle mehr oder weniger schon erlebt.

Meine Sis und ich schauen die letzten zwei Folgen der Gilmore Girls…auch das ist ja was wie Abschied. Ich habe sie vor zwei Jahren bei meiner Cousine in Amerika gesehen – allerdings auf englisch. Zwischendurch müssen wir heute allerdings noch mal weg. Die Schwester meiner Mutter habe ich ewig nicht gesehen… das sind schon Jahre her. Wir hatten versprochen, uns zu treffen. Also fahren wir hin. Als ich meine Tante sehe und sie umarme, kommen uns beiden kurz die Tränen. Es ist schwer genug, nach zu vielen Verletzungen durch meinen Vater mit diesem zu brechen. Aber der Kollateralschaden, der dabei entsteht, ist auch heftig. Zu einigen meiner Cousinen und Cousins habe ich Kontakt, doch die Älteren… puh, da ist es schwer, weil sie immer gleich moralisch werden. Das System soll laufen. Sie wollen einfach heile Welt, auch wenn sie im Grunde wissen, dass sie absolut nicht heil ist. Und die Befürchtung hatte ich bei dieser Tante nun auch. Aber das haben wir vor ein paar Monaten telefonisch geklärt. Sowie wir da sind, ist gleich alles wieder wie früher. Wir blödeln herum, reden und lachen über alte Geschichten. Als wir gehen, drücke ich meine Tante noch einmal lang und ausgiebig, wobei sie mir sagt: „Du bist gut so, wie Du bist.“ Na prima, kann mal einer den Wasserhahn absperren? Puh!! Ich bin echt gerührt und dankbar. Zuhause zurück, schauen wir den Rest der Gilmores, wobei ich noch mehr flenne.

Morgen will ich früh raus und mich auf den Heimweg machen. Ich besuche noch eine Freundin auf dem Rückweg und muss ja vor 21 Uhr Zuhause sein. Der Kleine will morgen ausschlafen, also verabschiede ich mich jetzt schon von ihm. Der Große will zu seiner Freundin, also verabschieden wir uns auch jetzt schon. Und als er mich so ganz fest drückt, denke ich an das wunderschöne Lied: „Everytime, we say goodbye, I die a little“. Sie sind so groß, diese „kleinen Jungs“… Ich weiß, ich komme wieder, aber nichts ist absolut sicher. Ja ja, Sentimentalität pur, klar. Aber ich bin eben gerade etwas rührig. Auch das ist eben Neujahr: Ein Neubeginn von etwas, das man noch nicht kennt und überschauen kann. Es ist aufregend und schön, beinhaltet aber auch immer Abschiede und Schmerz. Es gehört alles dazu, sonst ist es nur ein Dümpeln an der Oberfläche, was ich ja so gar nicht mag. Also bin ich dankbar für die Zeit, die ich hatte und freue mich – mit etwas Wehmut – auf das, was noch alles auf mich wartet.

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