Kennt Ihr diese Höhenflüge? Dieses Kribbeln und Hibbeligsein? Dieses Highsein vom Leben? Dieses Etwas, das berauscht, ohne dass es dafür eine richtig fundierte Begründung gibt? Wenn Ihr das kennt, kennt Ihr dann auch die Bruchlandung anschließend, die manchmal so abrupt kommt? Ich habe erst Anfang der Woche gesagt, dass ich meist positiv bin, gut gelaunt. Dass ich allerdings manchmal befürchte, zu stumpf zu werden, zu sehr an der Nulllinie zu verharren, ohne diese starken Ausschläge nach oben oder unten. Manchmal wagt sich dann aber doch etwas in mir, auch mal hoch hinaus zu schießen. Und dann werde ich da oben kurzerhand abgeschossen. So ergeht´s mir heute ein wenig. Zu hoch geflogen, zu viel gewollt, zu verbissen am Werk. Naja, auch das gehört dazu.
Vorhin kamen dann auch die netten Jungs vorbei, die jährlich meine Wasseruhr und den Heizungsverbrauch kontrollieren. Völlig dämlich, ist die Wasseruhr tatsächlich hinter dem Badezimmerspiegel angebracht. Das ist im Süden gar nicht so unüblich, für mich aber nach wie vor immer einen Aufreger wert. Beim ersten Ablesen hatte ich alles aus dem Spiegelschrank gekramt. Dann hatte ich – ohne den Strom abzustellen – das Beleuchtungskabel abgeschraubt, den unhandlichen Schrank alleine abgenommnen und dabei Blut und Wasser geschwitzt. Die Jungs hatten ihn mir nach dem Ablesen einfach zackig wieder aufgehängt. Dafür gab es dann einen Espresso meinerseits. Im letzten Jahr hatte ich dann das Kabel abgeklemmt, nachdem ich die Leitung rausgenommen hatte (nennt man das so? Klingt irgendwie komisch.). Die Jungs haben den Spiegelschrank abgenommen, die Uhr abgelesen, den Schrank wieder rangehängt und mir versichert, ich bräuchte da gar nichts abzuklemmen beim nächsten Mal. Es gab wieder einen Espresso. Dieses Jahr klingelt´s, aber der Hauptakteur hat nicht seinen sonstigen Gefolgsmann dabei. Es ist dieses Mal so ein ganz junger Bursche. Der Ältere grinst mich an, weil er sich erinnert. Ich deute nur in die Küche, was er mit einem Nicken quittiert. Den Kleinen muss ich tatsächlich noch fragen, ob er einen Espresso wolle? Er zögert. Warum? Es ist ihm wohl unangenehm, da er Zucker mit Kaffee trinke. Süß – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bereite alles zu, während der Schrank runtergenommen und die Uhr abgelesen wird. Der Ältere erhält sogar zwei Espressi und jeder noch zusätzlich ein Wasser. So überrascht, wie sie immer dabei reagieren, schätze ich, sie bekommen nicht viel unterwegs angeboten. Klar, das sind ja auch nicht die Sternsänger. Aber einen Kaffee/Espresso oder ein Wasser kann man doch wohl anbieten, oder? Der Kleine berichtet, dass er in einen normalen Kaffee sieben Löffelchen Zucker reingibt. Alter! Ich habe mich seinerzeit für meine drei Löffelchen schon geschämt. Da siehste mal wieder: Es gibt immer einen, der mich noch toppt.
Und dann berichten sie von Wohnungen und Menschen, die sie sehen. Ich kenne das noch von meiner Außendienstzeit, was den Satz geprägt hat: Et jibt nix, watt et nich jibt. Wenn früher die Außendienstler nach ihrer Anfangszeit zu einer weiteren Schulung zu mir kamen, konnte ich immer den Satz vernehmen: „Sie glauben gar nicht, was mir alles passiert ist.“ Ich habe dann immer hübsch gekontert: „Sie glauben gar nicht, was ich alles glauben kann!“ Und so war es auch. Es war echt alles dabei: Versiffte Buden, kranke Tiere, dahinsiechende Menschen, Arme, Reiche, Dekadente, Nette, Aggressive, Flirtende usw.
Aber jetzt gibt es eben nur ein Thema: Corona. Der Ältere, der im Sommer sein Kiosk an einem See betreibt (und das letzte Jahr als sein mit Abstand erfolgreichstes beschreibt), räumt ein: „Zu Beginn war Corona für mich nur eine Grippe, nichts weiter. Ich habe mich gefragt, was der Aufriss soll?“ Seit er wieder ablesen geht und Menschen in ihren Wohnungen antrifft, wird er mit einem anderen Bild konfrontiert: Menschen, die krank waren, aber nichts gemerkt haben, gibt es zuhauf. Jüngere Menschen, die unter erbärmlichen Schmerzen gelitten haben, gibt es aber auch. Todesfälle von nicht Vorerkrankten, davon hören sie auch. Sie sehen die komplette Bandbreite. Und der Ältere hat seine Einstellung verändert, auch wenn er nach wie vor kritisch ist: „Normalerweise sterben 2.000 Menschen pro Tag. Jetzt „nur“ 1.000? Oder sind es insgesamt 3.000? Ich weiß es nicht.“ Ärzte, Pfleger und Schwestern sind auch bei den Wohnungsbesuchen anzutreffen. Sie lassen ihn wohl ernüchtern.
Und ich denke, genau das ist es. Eine Kollegin von mir schreibt, dass ihre Oma letztes Jahr verstorben sei, weil sie sich im Altenheim Corona eingefangen hätte. Gut, sie sei nicht mehr so taufrisch gewesen. Unwissentlich habe diese ihre Tochter angesteckt, also die Mutter meiner Kollegin. Die hat es völlig zerlegt. Sie habe Schmerzen gehabt, lange Zeit nur liegen können, immer noch Schwierigkeiten mit dem Atmen – von fehlendem Geschmackssinn ganz zu schweigen. Meine Kollegin hat Corona nie geleugnet, aber war auch nicht wirklich beunruhigt – bis jetzt. Betroffenheit verändert eben vieles – in allen Bereichen. Manchmal muss man erst schmerzlich erfahren, wie es einem selbst ergeht, bis man einsieht, dass nicht alles Mumpitz ist. Da darf jeder selbst entscheiden, wie er die Lage sieht. In Bayern ist es mittlerweile möglich, sich für die Impfung registrieren zu lassen. Und das habe ich getan. Mit den Angaben, eben keine relevanten Vorerkrankungen zu haben, und meiner Altersangabe, werde ich nicht so früh dran sein. Aber wenn ich informiert werde, gehe ich. Manche mögen das Herdenverhalten nennen, Naivität, Dummheit, mangelndes Nachfragen. Es ist mir wurscht. Ich bin es auch leid, mich mit Deppen rumzuschlagen und muss das trotzdem tun. Leben…und lassen, gell?
Du schreibst mir beinahe aus der Seele. Mir ist nämlich gerade heute etwas ähnlich Fürchterliches passiert. Ich wollte sie gern kratzen, beißen und keinesfalls unfertig liegen lassen, aber dann Puff, Pardauz, Funkstille. Dabei hatte ich gar nicht vor, ihr Lektionen über was auch immer zu erteilen. Nur plaudern. Meinungsaustausch mit Fakten geht ja seit Hitler, Ulbricht und Honecker manchmal nicht in kurzen Worten. Man ist ja schließlich nicht die tägliche Wiederholung einer Nachrichtensendung. Mein Tip. Gib den Deppen nicht allzu schnell auf. Womöglich ist es ein Märchenprinz. Man kann ja nie wissen, wer als Nächster im Koronazirkus auftritt. Bleib wie Du bist, vielleicht ne Spur weiblich sanfter und damit weiser als Deppen. Schreib‘ ihm ;-*
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