Auch heute möchte ich mich nicht aufregen. Vielleicht hat der Oktopus doch ein Nachdenken bewirkt? Nein, nicht wirklich. Mir ist wohl einfach nur nicht danach, meinen Puls in die Höhe zu treiben – weder durch Sport, noch durch Aufregung. Beides gelingt mir, also kein Sport und keine Aufregung.

Mein erster Termin per Skype am Morgen bewirkt dann tatsächlich auch eher das Gegenteil. Ich lache – und zwar laut und viel. Ein Kunde (innerhalb der Firma, was sonst?) grantelt so herrlich auf Boarisch herum. Und wenn das einer so richtig macht, löst das bei mir immer Lachanfälle aus, weil ich dann durchweg die Bullyparade im Kopf habe. Irgendwie hat er alles zwischen – Anne Will, Lauterbach (da stehe ich voll hinter ihm), aber auch die Virologen. Er fragt sich, ob dies ein neuer Berufszweig sei? Es kommen alle möglichen Großkopferten mit in den Topf, genauso wie seine Vorgesetzten und überhaupt. Er macht einen Rundumschlag, während ich immer wieder lachen muss. Und dieses Lachen veranlasst ihn wiederum, etwas runterzukochen und bisweilen mitzulachen. Was ihm dabei so auf den Senkel geht, sind die sich überschlagenden Negativ-Schlagzeilen. Nirgends traut sich einer mehr, irgendwas Positives zu nennen. Die Fragen einer nne Will beispielsweise seien schon so formuliert, dass nur eine negative Antwort möglich sei. Stimmt…zumindest für mich. Deshalb schaue ich diese Art Format gar nicht mehr. Irgendwann hat er´s dann auch davon, dass sie all die hochdotierten Trainer aus dem Ausland nach Bayern geholt hätten, die „koa oide Sau net“ verstanden haben, es nun aber der Hansi gut bzw. besser hinbekäme. Aber jo, der sei ja auch ein Bayer (also kann man ihn auch verstehen). Daran hat er Spaß, das strahlt er aus. Dass er auch kein Hochdeutsch spreche, reibe ich ihm kurz unter die Nase, was ihm ein breites Grinsen entlockt (er hat die Kamerafunktion eingeschaltet). Darauf ist er auch noch stolz. Ich bedanke mich dann auch fein artig, dass er mich trotzdem akzeptiere, auch wenn ich nur „a bleeder Sau-Preiss“ bin. Aber da beruhigt er mich: Ich sei komplett respektiert – auch als Ausländer. Ich finde ihn putzig. Ja, das klingt ausländerfeindlich, was leider auch einige hier sind. Das ist er aber nicht. Er besitzt den Charme eines grantigen Bayern, der aber das Herz auf dem rechten Fleck hat.
Am Ende bedankt er sich sogar für das Gespräch mit mir, das ihm gut getan hätte – dabei hatte ich einen Redeanteil von etwa 15 Prozent, was zugegebenermaßen für mich ja eher untypisch ist. Ach, für solche Perlen bin ich dankbar, denn so lauthals lachen zu können, tut schon auch verdammt gut. Ihm hat´s auch nicht geschadet. Also passt´s ja. Und schon ist die Welt wieder ein bisschen heller.

Was in letzter Zeit immer häufiger passiert, dass ich zwar berufliche Rücksprachen habe, die Leute aber so voll sind, dass sie sich erstmal Luft verschaffen müssen. So ja mit dem ersten Skype-Telefonat, aber auch mit dem am Nachmittag. Da berichtet mir eine Kollegin von ihren Baustellen. Und da wundert´s mich dann wieder, wie das immer täuschen kann. Ich hätte sie immer als tough und selbstbewusst eingeschätzt. Aber Matsch am Paddel. Sie heiratet im Sommer und ist überkritisch mit sich selbst. Ich lerne heute auch ein neues, bayrisches Wort von ihr: „Schiach“. Denn so möchte sie auf keinen Fall aussehen. Es bedeutet hässlich. Hammer. Also, hätte mir ein Kerl irgendwo in einer Boazn (bayrisch: Kneipe) gesagt: „Du schaugst oba schiach aus“, hätte ich in meiner Verblendung vermutlich höflich: „Danke“ entgegnet. Knaller wär´s dann gewesen, wenn ich noch ein „Du aber auch“ hinterhergeschoben hätte. Wieder was dazu gelernt. Sollte also jetzt einer „schiach“ zu mir sagen, muss ich nur fest zuhauen.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Meine Kollegin brächte ich mit vielen Attributen in Verbindung, aber nie und nimmer mit diesem.Sie hat etwas elfenhaft Zartes, ist hübsch und grazil. Und so findet ein spezielles Phänomen, was vor allem bei uns Frauen so häufig vorkommt, mal wieder seinen Auftritt. Erst abends bei meiner Lernrunde höre ich es dann aber mal bildlich aufgedröselt und einleuchtend erklärt (in einem anderen Zusammenhang). Wir gehen immer wieder mit uns ins Gericht. Davon kann ich nicht nur Liedchen trällern, sondern ganze Enzyklopädien füllen. Die Frage ist nur spannend, wen wir da mit hineinnehmen? Wir schleppen den Richter mit in unser inneres Gericht und den Ankläger. Habt Ihr so was schon mal bei einem echten Gericht gesehen? Dass es keinen Verteidiger gibt? Wie heißt es so schön: „Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen einer gestellt.“ Wie können wir denn immer so hart mit uns ins Gericht gehen, ohne einen Verteidiger mitzuschleppen? Warum tun sich das so viele von uns an? Ich finde dieses Bild perfekt. Wenn ich überlege, wie gut ich im Niedermachen meiner eigenen Person bin, dann möchte ich mir zukünftig vorstellen, wie so eine Amazone neben mir herschreitet und mit mir mein inneres Gericht betritt. Was wir jedem anderen zugestehen, dürfen wir doch wohl auch bei uns. Schade, dass ich diese Metapher heute nachmittag bei meinem Skype-Gespräch noch nicht kannte. Ich habe trotzdem aufbauende Worte gefunden. Es hat mir noch einmal gezeigt, dass wir alle unsere Ängste und Sorgen haben – ob begründet oder nicht. Ich wünsche mir mehr Amazonen. Elfen, meinetwegen auch Trolle oder einfach gute Geister, die wir innerlich mit in unsere eigene Abrechnung schleppen. Dann wird das Urteil milder, und wir haben auch häufiger was zu lachen, was nachweislich Glückshormone ausschüttet.

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