Mein Tag beginnt mit Heinz. Ich könnte ihn erwürgen. Um acht Uhr beginnt seine Schulung. Um 7:22 Uhr mailt der Depp mich an. Ich solle ihm bitte Screenshots mit genauen Anweisungen schicken, wie er die Gruppenarbeiten in Skype erklären könne. Verdammte Scheiße!!! Dafür hatte der Vollidiot doch jetzt genügend Zeit. Das ist es doch, was ich ihm letzte Woche haarklein erklärt habe. Und jetzt muss ich sofort springen, weil er nichts auf die Kette bekommt – bei seinem Gehalt. In mir macht sich Fassungslosigkeit breit. Leider bin ich so gar kein Kollegenschwein und zimmere ihm noch schnell alles zusammen. Aber ich ärgere mich maßlos – und ganz viel natürlich auch über mich. Wie kann er nur??? Aber auch: Wie kann ich?!?! Ich wäre wohl eine grottenschlechte Mutter, weil ich bei einem Kind auch nicht zusehen könnte, dass es vom Fahrrad fällt. Und so kann ich bei Heinz auch nicht sehenden Auges dabei zuschauen, wie er gegen die Wand fährt. Trotzdem rumort es in mir. Wenn ich jetzt nicht bald einen Riegel vorschiebe, werde ich nie mehr die Kurve bekommen.

Die nächste kurze Runde, an der ich teilnehmen darf, ist von einem Herren des Managements geprägt, bei dem ich immer denken muss: Bauer. Nicht „Bauer sucht Frau“, sondern einfach Bauer, wie Bauernschläue. In meinen Breitengraden würde man ihn auch als „Söckesöamer“ bezeichnen. Er erweckt den Anschein, man könne ihm unterm Gehen die Schuhe besohlen. Dafür ist er aber verdammt weit gekommen. Dieser Mensch ist überall dafür bekannt, dass er seine Sätze nicht vollendet. Eine Gebärdensprachlerin hat er damit mal in die Verzweiflung getrieben, weil er nach Halbsätzen gerne einfach so aufhört. Manchmal ergänzt er sie auch mit einem „oda oda oda“ oder „un un un“. Heute sagt er auch wieder einen herrlichen Satz: „Wenn moas so Ding“ – die Semantik erschließt sich mir nicht. Und das hat nichts mit dem Dialekt zu tun, denn all seinen Führungskräften geht es genauso, nur sind sie das gewöhnt. Ich schüttle mich dabei immer noch aus – vor Lachen. Er fragt mich explizit was und hofft wohl, dass ich seinen Standpunkt unterstütze. Da ich den aber aufgrund der Halbsätze nicht wirklich erkennen kann und sowieso nur sage, was ich wirklich denke, haue ich für ihn genau daneben. Wenn ich nur frage, um ein „Du bist toll“ zu hören, dann kann ich mir die Frage doch besser klemmen, oder? Seine Mannen haben eh bei ihm aufgegeben und machen, was sie wollen. Auch eine Möglichkeit, mit so einem Menschen umzugehen.

Dann beginnt auch schon mein mehrstündiger Workshop. Vorher habe ich meine Kollegin gefragt, ob sie meinen Termin am Donnerstag übernehmen könne. Sie antwortet auf meine Mail nicht. Im Privatchat frage ich noch mal nach, ob sie meine Mail bekommen hätte? Sie bejaht und verweist auf nachmittags, wenn wir einen Termin haben. Ich habe wiederum zwischendurch schon einen Termin mit unserem Kunden, wo ich ihm sagen muss, wie wir vorgehen werden. Und jetzt entsteht das, was so typisch ist: Interpretation. Ich liebe es. Ich denke mir: „So ein Aas. Sie will mich in die Lernzone führen und so erzwingen, dass ich die Entscheidung treffe. Gerissen.“ Dabei fühle ich mich nicht wohl, weil ich in dem Bereich völlig neu bin. Ich ringe mit mir und spreche es beim Kunden dann entsprechend an. Der Termin könne so nicht stattfinden, was mir wahnsinnig unangenehm sei, aber ich sei nun mal überbucht worden. Er ist absolut verständnisvoll und nett. Ich fühle mich dennoch blöde.
Als ich später die Rücksprache mit meiner Kollegin habe, eröffnet die mir: „Ich kann das übernehmen. Ich bin nur absolut nicht multitaskingfähig. Wenn ich in einem Training bin, bin ich voll in dem Training. Da denke ich nicht noch über andere Dinge nach.“ Und da hocke ich dann und denke mir: 1. Ich habe es falsch interpretiert, und 2. Ich darf noch soooo viel lernen. Sie ist immer noch 13 Jahre jünger und so viel besser in der Abgrenzung, wo ich total versage. Wenn ich im Training bin, habe ich immer mein Handy dabei und schaue in den Pausen darauf, um Anfragen zu beantworten. Pausen wurden ja nicht umsonst gefordert, nur ignoriere ich sie fast immer. Im Präsenzmodus bin ich da schon ein Vollpfosten, aber online? Da halte ich 80 Prozent der Pausen nicht ein. Ich kann nur froh sein, so eine Energie zu haben. Denn das gesteht mir meine Kollegin dann auch: „Ich mache das so, weil es mir gesundheitlich immer schlechter geht. Mein Energielevel ist da nicht so wirklich hoch.“ Sie ist völlig erschöpft, was aber nichts mit der Arbeit zu tun hat. Nur steckt sie da konsequent ihre Grenzen. Sie arbeitet an keinem Tag länger oder kürzer, sondern konsequent jeden Tag die gleiche Stundenzahl. Für mich ist das nicht vorstellbar.
Ein gravierender Unterschied bei ihr und mir ist dann auch noch: Sie geht zufrieden nach Hause und sieht in ihrem Job einen Sinn. Ich ballere mich zu mit Arbeit, um zu betäuben, wie sinnlos ich die ganze Kiste finde. Das ist doch alles verrückt. Zunächst kann ich daran nichts ändern, das weiß ich wohl. Aber der Zeitpunkt wird kommen, an dem ich mir meine Karten neu legen muss. Auf Dauer unzufrieden zu sein, kann doch nicht angehen. Da mache ich nicht mit, denn sonst werde ich auch noch krank. Und dafür? Pfffff…bin ich schlichtweg zu stur. Ach ja, ich respektiere und schätze meine Hörner.

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