Die Sonne scheint. Das Haar sitzt nicht. Es liegt nicht an 3-Wetter-Taft. Es liegt am Lockdown. Aber ich bin nun auf dem Weg, diesen Missstand auszugleichen. In meiner sozialsten Fürsorge unterstütze ich die Friseure. Jajajaja, ist schon gut, ich höre ja auf. Aber ich ziehe tatsächlich vor diesem Berufsstand den Hut. Sie stehen den ganzen Tag, dürfen jeden Doofkopp behandeln und verdienen sehr wenig. Meine süße Friseurin fragt mich – nachdem ich wieder alle Angaben gemacht habe – was sie denn tun solle? Ich schaue sie im Spiegel an und sage: „Tob´ Dich aus, und mach´, wozu Du Lust hast.“ Sie strahlt mich an, was ich zwar nur an den Augen erkennen kann, aber da eben sehr deutlich. „Echt? Freie Hand?“ Klar. Ich habe nur immer noch diese Stelle, an der keine Haare mehr wachsen wollen. Die muss natürlich bedeckt bleiben, aber alles andere? Ist mir wurscht. Und dann fängt sie auch schon an: Sie schneidet, schnippelt, kämmt und setzt auch das Messer an. Sie stuft mir alles komplett durch. Zwischendurch befürchte ich fast schon, sie sei in einer Art Rauschzustand. Aber mei, das Unkraut wächst doch eh nach. Also: Was soll´s?
Die Liebe ist türkisch-stämmig, aber schon seit Ewigkeiten in Deutschland. Und in manchem, wie sie redet, empfinde ich sie mal wieder deutscher, als ich selbst bin. Sie bemerkt, genau wie wir alle (schätze ich), die zunehmend aggressive Stimmung. Die Leute haben keine Lust mehr, sich an Regeln zu halten. Und was tut man, wenn man so richtig geladen ist? Man braucht irgendwen, bei dem man es entladen kann. Ich verstehe das zwar nicht so wirklich, aber nehme schon wahr, wie einige Leute immer heftiger unterwegs sind.
Ein Beispiel hierfür: Meine Nachbarin, die kleine, alte Omi. Sie mag auf den ersten Eindruck recht putzig erscheinen. Aber sie ist eben so gar nicht ohne. Vor ein paar Monaten hatte sie ein Paket für mich angenommen. Als Dankeschön hatte ich ihr Schoki gegeben. Ach, das sei doch nicht nötig! „Des is a koa Aufwand! Oba für die Ausländer im Haus, do nehm´ i nix an.“ Äääääh…ja, da war ich dann sprachlos. Ich weiß, wie ich normalerweise auf so was reagiere. Doch bei so einer alten Omi? Es wohnen hier keine Flüchtlinge – und der Spruch bzw. die Haltung wären da schon mehr als unangebracht. Aber wer einen ausländisch klingenden Namen hat, den lehnt sie von vorneherein ab. Bums. Das saß. Zuletzt hatte sie ja Probleme mit dem Handy, wo ich dann noch nachgeschaut hatte. Sie brauchte ein neues, was sie wohl auch irgendwie erworben haben muss, denn sie konnte mir jetzt wieder per What´s App schreiben. Allerdings bekam ich keine persönlichen Zeilen, sondern ein Video. Dabei handelte es sich um ein AfD-Video. Äääääh… Da war ich dann wieder sprachlos. Welche Missetäter sich in Deutschland auf Staatskosten finanzieren lassen würden. Und auch hier war (und bin) ich völlig zwiegespalten: Was soll ich tun? Ich habe es unkommentiert stehen lassen. Mit einem Kollegen habe ich diesbezüglich ja mal richtig gestritten, weil ich eine Null-Toleranz in puncto AfD pflege. Ein Freund meint – zu Recht, schätze ich – wir leben in einer Demokratie. Da dürfe jeder seine eigene politische Gesinnung haben. Dem stimme ich schon auch zu. Aber wie ist das bei so einer Partei? Mir fehlt da komplett die Toleranz.
Und so frage ich meine Friseurin, was sie mir empfehlen würde? Sie schüttelt den Kopf und sagt: „Bei älteren Menschen sage ich auch nichts. Ich habe gelernt, dass man da respektvoll zu sein hat.“ Genau so ist meine Erziehung auch gewesen. Aber so eine Dame richtet ihren Hass und ihre Intoleranz ja auch gegen jemanden, wie meine Frisuerin. Sie hat einen ausländisch klingenden Namen. Und man hört ihr an, dass sie nicht hier geboren worden ist. Also: Was tun? Ich bin immer für Zivilcourage. Aber ich bin andererseits auch für Demokratie…und auch für Respekt gegenüber älteren Menschen. Nur verspielen sie diesen nicht auch mit solchen Aussagen? Wo zieht man die Grenze? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich die Omi meiden werde. Wenn sie etwas benötigt, werde ich ihr auch helfen. Aber mehr möchte ich nicht mit ihr zu tun haben. Einen Kaffee würde ich beispielsweise verweigern. Klingt das unlogisch? Inkonsequent? Ich bin echt ratlos…
Und dann telefoniere ich mit meiner Sis, die völlig aufgelöst ist. Eine Bekannte im Dorf hatte einen Schlaganfall. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass sie voller Krebs sei. Puh…und da sieht man wieder, wie kostbar das Leben ist…jeder einzelne Moment. Ich sage es immer wieder: Mich nervt dies, ich ärgere mich über das – und dabei haben wir genau nur dieses eine Leben. Keiner kann mir sagen, ob es noch eines danach gibt. Also sollte ich mich mehr darauf fokussieren, was im Hier und Jetzt gut für mich ist. Ich möchte mehr wagen, mehr tun, was mir gut tut und weniger auf die ganzen Nörgelpitter hören. Die kann ich nicht ändern, sondern nur mich und meinen Umgang mit dem Leben. Ob ich dazu einer alten Omi den Marsch blasen sollte, ist fraglich. Viel zu oft laufe ich noch viel zu verkopft herum. Daran möchte ich arbeiten…und an manchem mehr…auch klare Kante zu zeigen, wobei ich das ja schon oft auch tu´. Nur bei Ömchen eben nicht. Das darf ich mir wohl auch noch angewöhnen, oder?
Na…ich schau´ mal, was das Wochenende noch so bringt. Erstmal feiere ich die positiven Dinge im Leben, wie: Ich habe abgenommen…ca. ein Kilo. Gut, es waren Haare, aber hallo?! So was zählt auch! In diesem Sinne: Immer schön kritisch bleiben.
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