Heute bin ich megafauli und stehe erst spät auf. Auch mal schön. Ich bin nämlich gar nicht mehr an eine 5-Tage-Woche gewöhnt. Das klingt echt schräg. Ist aber trotzdem genau so. Erst Kurzarbeit, dann Urlaub – von einem geregelten Rhythmus kann ich da schon lange nicht mehr sprechen. Das Arbeiten im Home Office macht das Ganze nicht einen Deut besser. Nervig, so was. Nur: Wenn ich schon keine klare Struktur erkenne, wie muss es da erst meinem kleinen Neffen gehen? Seine Schule hat immer noch nicht wieder eröffnet. Normal sind die doch alle nicht mehr.
Irgendwann denke ich: Ha, ich habe Herrn Leckebusch ja schon lange nicht mehr gesprochen. Da versuche ich mal mein Glück. Der Gute ist mit seinen fast 82 Jahren zwar schon geimpft, aber Cafés sind auch für ihn nach wie vor nicht geöffnet. Es gibt ein freudiges Hallo. Darauf kann ich immer vertrauen: Egal, wann wir uns hören, er ist immer gut gelaunt. Und bei allen Widrigkeiten, kommt von ihm: „Kann ich et ändern? Nee. Also: Täsch lecken.“ Es ist schon ein Wahnsinn, mit welchem Gemüt er durchs Leben geht.
In dem Zuge berichtet er dann auch von seiner „Berliner Runde“. Ich horche natürlich auf und denke, es wird jetzt irgendwas Politisches kommen. Aber nee: Er ist Mitglied bei den Schlaraffen. Klingt immer noch komisch, ist aber wohl ein Alt-Herren-Bund. Mit Feuereifer ist er da schon seit ewigen Jahren dabei und treibt – wie alles in seinem Leben – immer aktiv voran. Das imponiert mir ja ungemein, wenn Menschen so unterwegs sind. Nun mussten sie ihr Domizil aufgeben, wo sie sich immer getroffen haben, weil es schlichtweg zu teuer in der Miete wurde. Da wurde verhandelt, ausgesucht, geplant – und das meiste davon unter seiner Federführung. Da merkt man die sechs Jahre Bundeswehr dann doch deutlich. Mittlerweile haben sie eine neue Burg (so nennen sie das) gefunden und auch schon einige Arbeiten erledigt. Aber es müssen immer noch manche Sachen geklärt werden, weshalb er sich im kleinen Kreis mit den Herren trifft, die mit ihm alle organisatorischen Entscheidungen treffen. Einer hat eigens dafür Berliner eingekauft, was nun zu einem Ritual geworden sei. Und so war schnell der Name für dieses Regel-Meeting getroffen: Berliner Runde. Klingt viel gewichtiger und nimmt so dieses Überkandidelte einfach nur hops. So was mag ich ja sehr gerne.
Er erzählt aber auch, wie arm manch einer seiner alten Kumpanen dran sei, weshalb er es sich zur Aufgabe gemacht habe, diese zu besuchen bzw. anzurufen. Diese älteren Herren säßen allein Zuhause und würden verkümmern. Da sein soziales Engagement das nicht zuließe, würde er sich um die „Alten“ kümmern – sagt der fast 82-Jährige. Humor nach meinem Geschmack. Sein ältester Bekannter ist 94 Jahre alt. „Müssen Se sich ma vorstellen, Mädschen: Immer, wenn ich da bin, nennt der mich ´mein Jung´. Dabei ist der ja grad mal zwölf Jahre älter als ich.“ Naja, mit 44 Jahren als Mädchen bezeichnet zu werden, ist da nicht so wahnsinnig viel anders. Doch es lässt mich immer schmunzeln.
Wie immer, berichtet er auch von alten Zeiten. Als er dann in Rente war und nur noch als Berater fungiert hat. Ich kenne ihn ja nur aus dieser Zeit. Dann durfte er hin und wieder nach Hamburg, um sich mit den oberen Herren auszutauschen, was denn geändert werden könnte. Im Gegensatz zu vorher, musste er keine Zahlen im Gepäck haben, sich nicht rechtfertigen, sondern konnte einfach entspannt anreisen. Und wenn dann die hohen Herren gefragt haben, wie er seine Produktion immer so souverän hatte steigern können, hat es ihm diebische Freude bereitet, zu sagen: „Ganz einfach: Ich habbet ma mit Arbeiten versucht, ne? Jackett aus, Ärmel hoch gekrempelt und jö!“
Seine Art der Mitarbeiter-Gewinnung war auch immer eine völlig andere. Bei Selbständigen ist das doch noch mal eine ganz andere Sache, als bei Angestellten. Er ist immer zu seinen Bewerbern hingefahren. Da konnte er sich ein besseres Bild von den Leuten machen, konnte die Partnerin quasi miteinbinden und hatte dadurch schon einige Pluspunkte sammeln können. Da er seine Filiale mitten in Nürnberg hatte, kam noch hinzu, dass eine Anreise zu dieser Stelle für manchen, der ländlich wohnte, einer anstrengenden Weltreise gleichkam. Sein Personalausbau war immer deutlich besser, als der jedes anderen Kollegen. Nur: Haben die Herren was aus all den Infos und Tipps gemacht? Nein. Es hagelte immer ein: „Das geht aber heute nicht mehr, weil…“ Und das ist natürlich frustrierend. „Wissen Se Mädschen, da sind wir zwei ja anders. Wenn wir watt wollen, dann tun wir auch watt dafür und gehn auch ma unkonventionelle Wege. Et gibt nich immer direkt ein Gegenargument, sondern wir probieren auch aus. Deswegen kommen wir auch besser jelaunt durchs Leben.“ Da hat er wieder einmal recht, der Gute.
Dazu habe ich unlängst einen Aritkel gelesen. Wir erstellen unsere Geschichten über uns selbst. Wenn wir immer schon wissen, was alles nicht klappt, kann dies auch nie funktionieren. Wenn wir hingegen unsere Geschichte über uns selbst mit mehr Möglichkeiten spicken, dann haben wir auch immer mehr von diesen. Klingt so einfach, ich weiß. Doch es stimmt auch. Wenn ich denke: „Das kann ich eh nicht, weil…“, wird sich diese Einstellung auch immer bewahrheiten.
Ich wünsche mir häufiger einen Austausch, wie die „Berliner Runde“ – mit Menschen, die ihr Leben aktiv gestalten, anstatt mit solchen, die nach dem Motto leben: „Der liebe Herrrgott hat es so gefüget.“ Wer anpackt, wird immer auch gestalten können. Amen. Ich habe fertig für heute!
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