Verletzungen kennt jeder von uns ab einem gewissen Alter. Die Leichtigkeit der Jugend lässt man irgendwann hinter sich. Wenn ich daran denke, wie ich mit 16, 17 Jahren unterwegs war. Puh! Da habe ich echt gedacht, die Welt würde nur auf mich warten. Es gab einen Rock, den ich meiner Sis gerne gemopst habe…wenn ich den angezogen habe, konnte ich immer einen Flirt klarmachen. Damit meine ich wirklich einen harmlosen Flirt, wo man als Mädel merkt, da schaut Dich aber jemand länger an und versucht alles Mögliche, mit Dir ins Gespräch zu kommen. Dieses Gefühl war immer total berauschend. Ist ja auch klar, oder? Und irgendwie dachte ich auch, das wäre normal und würde immer so laufen. Dieser graue Strickrock reichte meiner Sis bis kurz vors Knie. Da ich längere Beine habe – die damals auch noch anders aussahen, klar – hörte bei mir der Rock in der Mitte des Oberschenkels auf. Oh Gott, was hat meine Mutter immer diskutieren wollen, etwas anderes anzuziehen. Aber ich hatte immer das bestechende Argument: Wenn meine Sis den hatte tragen dürfen, dann dürfte ich ja wohl auch. Gleiches Recht für alle. Denn dauernd musste ich mir anhören, was meine Sis alles niiiiiiiemals tun würde. Und das stimmte auch. Sie war eher schüchtern, hatte kaum Freunde, während ich ja dachte, die Welt gehöre mir. Ich hatte immer einen regelrechten Pulk an Leuten um mich herum. Dabei habe ich nie zu den Hippen gehört, weil wir eben aus einfachen Verhältnissen kamen. Markenklamotten waren schlichtweg nicht drin. Das fand ich nicht wirklich schlimm – bis auf Chucks. Die mussten es irgendwann doch sein, aber da war ich dann auch schon 16 Jahre alt. Ansonsten war ich nie ein Marken-Opfer. Und das habe ich bis heute beibehalten. Im Gegenteil: Mich regt es auf, viel Geld hinzublättern, um für die Deppen auch noch Werbung zu laufen, weil sie ihr Logo irgendwohin nähen oder aufdrucken. Ich weiß, ich hab´s bis heute nicht richtig verstanden. Doch das ist auch nicht weiter schlimm.

Worauf ich eigentlich hinaus will: Ich hatte nie Bauchschmerzen, in die Schule zu gehen, weil mich dort jemand gemobbt hätte. Das hätte sich auch mal einer trauen sollen! Dem hätte ich den Kalk aus den Augen gepustet. Wäre ja noch schöner! Krass…ich habe keine Ahnung, woher ich damals mein Selbstbewusstsein genommen habe? Das würde ich sonst heute bisweilen gerne noch mal anzapfen. Es war einfach eine Tatsache. Und da ich fürs Diskutieren bekannt war – ja, auch schon in jungen Jahren war das klar – hat sich auch keiner mit mir angelegt. Selbst mit dem Direktor der Schule habe ich diskutiert, wenn es denn nötig war. Ich habe nicht alles als leicht empfunden, keine Frage. Und die Zwänge im Dorf sind mir mächtig auf den Zeiger gegangen. Ich hätte im Dorf nichts anstellen können, ohne von irgendwem gesehen worden zu sein. Allein sechs Geschwister meines Vaters wohnten damals noch dort. In einem 800 Seelendorf kennt einfach jeder jeden. Aber in dem Städtchen, wo ich zur Schule gegangen bin, da wohnte keiner von denen. Eine Tante arbeitete dort im Drogeriemarkt gegenüber der Schule. Nur war die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie mich bei irgendwas hätte sehen können – denn der Laden befand sich ja schließlich drinnen.
So habe ich dann ab der siebten Klasse durchgängig die Messe (bischöfliches Gymnasium eben) geschwänzt. Das hätte meine Sis sich nie getraut. Dabei sind da etliche nicht hingegangen…nicht mal Lehrer – was auch mein Argument gegenüber dem Direktor damals war, der meinte, er müsse neuerdings die Pausenhalle abschließen, wenn die Zeit für die Messe war. Sein Aufforderung: „Du kannst ja wohl mittwochs morgens in die Messe gehen. Schließlich ist das ein bischöfliches Gymnasium.“ Mein Argument: „Ich bin Messdiener, Lektor und im Kirchenchor. Da komme ich auf genügend Messen pro Woche. Aber gut: Wenn Sie es schaffen, dass vom nächsten Mittwoch an sämtliche Lehrer an der Messe teilnehmen, gehe ich auch. Andernfalls erwarte ich, dass die Pausenhalle geöffnet ist, damit ich nicht im Regen stehend krank werden muss.“ Was soll ich sagen? Die Pausenhalle war fortan wieder geöffnet. Darüber staunt meine Sis bis heute. Ich fand meine Logik einfach bestechend. Hat doch auch geklappt!

Heute frage ich mich manchmal, wo dieses Selbstverständnis geblieben ist? Ich wehre mich schon, wenn es zu arg wird, klaro. Nur dieses locker Rotzige, diese Klarheit, die Welt zu sehen, das besitze ich nicht mehr. Dabei fänd ich das schon schön, wenn ich es wiederentdecken würde. Wenn ich mir weniger Kopf um Konsequenzen machen würde. Ich habe damals auch niemanden umgehauen, um zu meinem Recht zu kommen. Aber ich bin für mich eingestanden und habe drauf gepfiffen, ob das jemandem nicht passen könnte. Meine Lieblingspose waren ein fester Stand und Hände in die Hüften gestemmt. Meine ganze Haltung schrie förmlich: „Komm´ ran auf ´n Meter!“ Und dabei habe ich für vieles gekämpft – aber meist für andere. Meine Mutter hat mal gesagt: „Du warst immer schon der Beschützer der Lahmen und Krüppel.“ Klingt krass. Doch es stimmt: Ich konnte Ungerechtigkeiten nie leiden. Ich glaube, ich habe es schon irgendwann einmal hier geschrieben, doch es steht tatsächlich auf meinem ersten Schuljahreszeugnis: „Claudia hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ Den hatte sie…und hat sie noch. Manches ändert sich eben doch nicht. Aber die Furchtlosigkeit, die ist irgendwie auf der Strecke geblieben. Manche bezeichnen mich heute noch als mutig. Manchmal bin ich das wohl auch – oder vielleicht auch nur naiv? Egal, wie man es bezeichnet: Heute habe ich dabei allerdings Magengrummeln und Herzklopfen, was ich früher nicht kannte. Da mir ja die Welt gehörte, war ich mir meiner Sache immer sicher.
Ach…nicht nur drei ist ein gutes Alter, sondern 16, 17 ebenso. Und 44 auch. Alles zu seiner Zeit, oder? Im Rückspiegel sehen manche Dinge einfach leichter aus, weil man hinterher immer schlauer ist. Ach ja, die guten alten Zeiten…und jetzt freue ich mich auf die guten neuen Zeiten, auf die ich in 20, 30 Jahren auch lächelnd zurückschauen werde. In diesem Sinne: Genießt die Zeiten in vollen Zügen – und nein, damit meine ich nicht die Deutsche Bahn.

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