Gestern war ich dann tatsächlich vom Ärgern so müde, dass ich nicht mal die Meeeeedchen richtig schauen konnte und früh ins Bett gekrabbelt bin. Dafür bin ich heute Morgen dann einigermaßen ausgeschlafen. Und dann passiert die Katastrophe: Ich tippe meine Kapselmaschine an, die aber grundentkalkt werden will. Es ist morgens früh, Herrgott! Ich würde gerne zuerst den Kaffee trinken und dann die 28-minütige Prozedur hinter mich bringen. Ob es wirklich 28 Minuten sind? Ja, das habe ich sogar schwarz auf weiß in der Bedienungsanleitung. Das nervt, aber es bringt ja nichts. Dafür ist der Kaffee im Anschluss wieder etwas heißer, als er noch vor der Entkalkung der Maschine war. So früh am Morgen und schon soooo ein Stress.
Ich habe wieder mein „Coaching abseits des regulären Weges“. Es ist getarnt als ein Methoden-Coaching, aber im Grunde hat der Coachee immer andere Anliegen. So auch heute. Er berichtet davon, wie er sich – sein Wortlaut – regelrecht „einscheißt“, wenn er eine Präsentation vor einigen Leuten halten müsse. Und das wolle er einfach nicht mehr. Sein Hirn sei dann im Gorilla-Modus. Habe ich auch noch nicht gehört. Er erklärt es mir: „Es ist eben, wie in der Tierwelt. Du kommst in eine Stresssituation und weißt nicht mehr, was Du tun sollst. Und weil Du ein Gorilla bist, kannst Du nicht wirklich die Flucht antreten oder Dich tot stellen. Das geht einfach nicht. Also brüllst Du los. Da fehlt einfach ein Regulativ…in solchen Momenten ist das Hirn aus und nur noch das Reptilien-Hirnareal angeknipst. Ich kann dann nicht mal richtige Sätze bilden. Daher sage ich einfach gar nichts und hadere mit mir.“
So kenne ich ihn nicht und habe ihn auch nie so erlebt. Und dann kommt die Frage, die ich mir ja letztens auch gestellt habe: „Wieso kann ich nicht so leichtsinnig und unbedarft sein, wie ich es in meiner Jugend war?“ Naja…da gibt´s mehrere Gründe. Er hat Kinder, eine Frau, ein Haus. Da haben wir es ja schon. Alles, was er macht, würde auch Konsequenzen für seinen Anhang bedeuten. Und er hat eine äußerst schwierige, brenzlige Krebs-Erkrankung hinter sich. Und wir haben Corona…seit Monaten sind wir im unsicheren Modus und wissen nicht, wie es weitergeht. Er dementiert zwar, dass das für ihn ein Problem sei, aber es beschäftigt uns im Hinterkopf dennoch alle irgendwie. Wie auch nicht? Wer kann sich denn entziehen? Gehst Du raus, siehst Du Masken. Willst Du zum Friseur, musst Du einen Schnelltest nachweisen. Seine Kinder haben Home Schooling und sind tagsüber irgendwie auch noch zu versorgen. In der Arbeit machen sich Kollegen Sorgen um Stellenabbau, manche Projekte wurden gestoppt. Und die Medien zeigen immer nur Fallzahlen, Schrei nach Freiheit, soundsovielte Welle, wer wurde vor wem geimpft usw. Da kann sich keiner rausnehmen, der nicht gerade in einer Einöde ohne Kontakt zur Außenwelt lebt.
Und dann fängt er an, von früher zu erzählen. Er ist 49 Jahre alt, also gar nicht so viel älter als ich. Aber was er so erzählt, da staune ich nicht schlecht. Er habe regelmäßig mit seinen Kumpels gekifft. (Etwas, wogegen ich mich immer aufgelehnt habe.) Alles, was auch nur aussah, wie ein Lehrer, habe er abgelehnt, weil er schon aus Prinzip gegen alles gewesen sei, was damals auch nur im entferntesten nach Staat gerochen hätte. Ein halbes Jahr habe er sich sogar geweigert, eine Schule zu besuchen. Klingt sehr links, oder? Heute ist er eher der Typ „angepasster, braver Bürger“. Und als er damals mitbekommen habe, wie ein Typ aus seiner Schule Drogen an Fünft-Klässer vertickt habe, sei er ausgetickt. Dafür habe wiederum er Ärger kassiert – von einem Lehrer, der die Drogengeschichte nicht glauben wollte und hervorgehoben habe, was für ein vorbildlicher Schüler dieser Drogen-Verticker doch in Wahrheit sei. Meinen Kollegen habe das nur noch mehr aufgeregt, wofür er auch lautstark eingetreten sei. „Es war eine Zeit, als einem die Konsequenzen egal waren.“ Stimmt. So war es bei mir ja auch. „Das hätte ich gerne wieder…“ Ich schon auch. Aber wir sind eben keine 16 Jahre mehr.
Nur heute ist davon bei ihm gar nicht mehr viel übrig. Er schlucke meist seinen Ärger runter und unterlasse es, auf den Tisch zu hauen, wenn es notwendig wäre. Warum? Weil er Sorge habe, dann wie ein Gorilla zu sein, zu brüllen und keine geraden Sätze herauszubringen. Und dann bringt er tatsächlich meine Lieblings-Redewendung: „Dabei will ich doch einfach nur funktionieren!“ Aha. Provokant frage ich: „Du bist also eine Maschine?“ Das ist echt eine typische Aussage von Deutschen. Andere würden das Wort „funktionieren“ niemals mit sich selbst in einen Zusammenhang bringen, aber die Deutsche sind darin Meister.
Aber ich bin natürlich schon eine blöde Kuh, wenn ich so was sage. Denn ja, ich handle selbst oft nach diesem Maßstab. Ich gehe auch hart mit mir ins Gericht, schwanke in meiner Überlegung, Führungskraft werden zu wollen. Da kommen dann die Glaubenssätze, wie: „Was glaubst Du denn eigentlich, wer Du bist?!“ Oder auch dieses Gefühl: „Du bist doch nur ein Blender. Und irgendwann werden sie Dich entlarven. Was dann?“ Bei anderen fällt es mir leichter, die Dinge klar zu sehen. Und ich lenke seinen Fokus auf alles, was er gut macht – und das ist eine Menge.
Doch ich frage mich wieder einmal: Warum hadern wir so oft? Während andere, die wirklich wenig Sozialkompetenz vorweisen und nur um sich selbst kreisen, vermeintlich leichter durchs Leben schreiten? Warum trauen wir uns nicht, uns mal zum Affen zu machen und stehen zu uns und unseren Überzeugungen? Das war früher doch auch möglich. Schon blöd…ich glaube, ich werde nächste Woche einfach mal zum Gorilla, denn mein Chef hat sich auch heute den ganzen Tag über nicht gemeldet. Er ist und bleibt ein Depp. Da kann ich auch Gorilla sein, oder?
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