Der heutige Tag startet eigentlich besser. Zwischendurch plästert er draußen (=starkes Regnen), bevor dann wieder die Sonne durchkommt und sich verstrahlt gibt. Mein Elan ist nicht ganz so groß, daher lasse ich es gemütlich angehen. Doch gegen Mittag überkommt mich dann wieder der Eifer, weil ich unter anderem die CD-Schublade noch nicht aussortiert habe. Mal ehrlich: Wer von Euch hört noch ganz klassisch CDs? Ich nicht mehr. Ich konsumiere Musik nur noch über MP3. Ich weiß, dafür ernte ich jetzt wahrscheinlich einen Shitstorm, aber es ändert nichts daran, dass ich diese CD-Schublade bereits 2011 angelegt habe. Damals bin ich nach Germering gezogen. Dann habe ich diese volle Schublade von Germering nach Aachen mitgeschleppt. Dabei habe ich in Germering nur noch ein bis zwei CDs überhaupt im Einsatz gehabt. In Aachen habe ich dann gar keine CD mehr hieraus in den Player gelegt. Nostalgische Gründe oder weiß der Henker, was, haben mich dazu bewogen, sie dennoch nicht auszuräumen. Und nun öffne ich also die Schublade eines alten Schranks und packe die CDs in Tüten. Ich werde sie wegwerfen. Da ich sie in den Hausmüll werfe, was ja erlaubt und auch richtig ist (das würde ja kein Sperrmülldienst der Welt abholen), schaue ich schon noch durch, ob da nicht auch Foto-CDs dabei sind. Die und auch ein paar Datensicherungs-CDs sortiere ich natürlich aus. Und dann fällt mir plötzlich auf: Auf ganz vielen CDs steht hinten mein Vor- und Zuname drauf. Mein Ex, dessen Briefe ich vorgestern ja noch letztmalig gelesen habe, hat vor Urzeiten (die Bezeichnung verdient es, denn wir reden hier von einer Zeit vor ca. 24 Jahren) mal unsere CDs beschriftet. Einige mit seinem Namen, einige mit meinem Namen. Mir fällt gerade auch, das hätte ich mal mit unseren Möbelstücken, Porzellan und dergleichen auch veranstalten sollen. Da hätte er nahezu ohne alles in seiner Bude gehockt. Egal. Jedenfalls will ich natürlich nicht, dass im Hausmüll zwei Tragetaschen voller CDs liegen, die zur Hälfte meinen Namen tragen. Jetzt war mein Ex ein Mensch, der sehr….ääääh…akribisch war. Er hat nicht etwa das Booklet mit Edding verziert, sondern das Blatt, das hinter der CD steckt. Es reicht also nicht, die CD zu öffnen. Nein, ich muss auch noch alles einzeln auseinanderziehen, um an das beschriftete Blatt zu gelangen – nicht selten bricht da was aus Plastik ab. Wieder mal eine Arbeit, um meine Geduld zu üben. Bei den Datensicherungs-CDs packt mich dann doch die Neugierde, also schaue ich rein und lache mich über die Fotos schlapp. Mein Gott, wie viele Fotos habe ich allein von meinen Neffen gemacht??? In allen möglichen und unmöglichen Stadien. Ich könnte etliche Fotobücher von ihnen erstellen.
Und als ich da so sitze und vor mich hinlache, gibt es plötzlich einen Laut von der Balkontür her. Ein Vogel ist dagegengeflogen. Voller Panik laufe ich hin und sehe das arme Kerlchen am Boden liegen. Aber er ist nicht tot, sondern atmet. Allerdings liegt er auf dem Rücken. Ich bin vollkommen hilflos. Kennt Ihr das? Ich weiß, es ist „nur“ ein Vogel. Aber es ist ein Lebewesen. Da leide ich ja mit. Er bewegt seine Krallen und hechelt vor sich hin. Als ich ihm mit einer Pipette Wasser geben möchte, versucht er, auf die Beine zu kommen. Er schafft es kurz, kippt dann wieder auf den Rücken. Wie so ein alter Mensch, der sich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Und ich weiß, dass das manch einer lächerlich finden mag. Doch mir blutet das Herz. Entsetzt beobachte ich, wie der kleine Kerl sich abmüht, um dann irgendwann auf dem Rücken liegen zu bleiben, die Flügel kurz zu spreizen, bevor dann ein richtiges Beben durch ihn hindurchgeht. Danach bleibt er regungslos liegen und atmet auch nicht mehr. Ja, es klingt dramatisch…und ist es für mich auch. Mir rennen die Tränen nur so runter. So was kann ich gar nicht aushalten. Es wäre schon schlimm genug gewesen, wenn er gegen die Scheibe gedonnert und sofort tot gewesen wäre. Aber so? Das kann ich nicht ertragen. Ich weiß, ich vermenschliche ihn gerade. Doch weiß man ja mittlerweile, dass auch Tiere trauern können und auch Gefühle haben. Nein, nicht nur Affen. Dann denke ich: Da draußen wartet jetzt jemand auf ihn und erfährt nie, was passiert ist. Ja, völlig überzogen…und trotzdem fühlt es sich so an.
Ich bin so schlecht darin, Abschied zu nehmen. Vom wichtigsten Menschen in meiner Kindheit konnte ich das nicht. Auf der einen Seite bin ich sehr nüchtern und rational. Es gibt sogar Menschen, die behaupten, ich sei „digital“. Und das bediene ich durchaus auch. Und dann gibt es Momente, da bin ich so hochemotional, dass ich denke, mein Herz bricht beim Anblick eines sterbenden Vogels. Das war als Kind schon so. Alle Tiere, die ich tot aufgefunden habe, habe ich beerdigt – mit Gesang und gebührender Trauer. Schon bekloppt, ich weiß.
Irgendwann ruft dann meine Sis an, die was Positives nach all dem Mist der letzten Tage hören will. Aber ich kann nicht und plärre so richtig los. Zum Glück versteht sie es. In ihrer Einfahrt lagen zwei tote Vögelchen, die aus einem Nest gefallen waren. Da hat sie nur ihre Jungs beauftragt, die zu entsorgen, weil ihr das auch zu leid tut. Woher kommt so was? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es besser, als ich mal so richtig vor ihr rumgeheult habe. Dass Vögel gegen Fensterscheiben fliegen und sterben, passiert tagtäglich…auch wenn es das für den Moment nicht besser macht. Hoffentlich verirrt sich kein Vögelchen mehr mit Vollkaracho in die zweite Etage. Ich stehe solche Schluchzer nämlich nur alle sieben Pfingsten durch. Dabei haben wir gerade Pfingsten – wie passend. In meiner Welt soll einfach keiner sterben – weder Mensch, noch Tier. Stellt Euch vor, wie ich gerade auf den Boden stampfe. Ja, in etwa die Reife einer Fünfjährigen…so fühlt´s sich auch an. Ist wohl manchmal so.
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