Gestern Abend telefoniere ich noch mit meiner Ex-Schwiegermutter in spe. Ich weiß, krasses Wort. Sie hat Geburtstag, daher rufe ich sie an. Ihre Antwort kann ich schon voraussagen: „Ich wusste, Du vergisst mich nicht. Andere ja, aber Du nicht!“ Sie ist einsam…und ängstlich…und immer schon schwermütig. In einer Zeit, wie der unseren, ist das natürlich keine leichte Kombination. Auf der anderen Seite stellt sie aber schon auch ihre Forderungen. Da bleiben dann nicht mehr so viele Leute übrig, weil so was die meisten nervt. Altwerden ist nicht so einfach.
Ihr Mann hat ganz viele Entscheidungen getroffen, der nun allerdings auch bereits acht Jahre tot ist. Das ist so ein Phänomen, das ich schon häufiger beobachtet habe – vor allem in meiner Außendienstzeit: Es gibt immer noch einige Frauen, die ihren Mann schalten und walten lassen, weil es auch herrlich bequem ist. Der Mann kümmert sich um die Bankgeschäfte, Steuererklärung und anderen Schriftkram. Bei uns Zuhause war es umgekehrt. Dann stirbt der Partner plötzlich (oder erleidet – wie im Fall meiner Eltern – einen Schlaganfall). Von heute auf morgen sind dann da nicht nur die Trauer oder das Begreifen, was sich nun alles ändert. Nein, sie stehen dann plötzlich wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg und sind heillos überfordert. Es war ja immer bequem und nett aufgeteilt, da mussten sich ja nicht beide kümmern. Ich verstehe das schon in Teilen, aber man spricht hier nicht umsonst von „erlernte Hilflosigkeit“. Viele jammern und hadern mit dem Schicksal – vorzugsweise vor den Kindern, damit die sich erweichen lassen und das fortan übernehmen…und damit die erlernte Hilflosigkeit weiterbedienen. Nur ist damit niemandem wirklich geholfen. Der kleine, aber feine Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Effizient ist das schon, wenn der Sohn oder die Tochter so was übernehmen, denn dann ist es schnell gemacht, das Problem zackig vom Tisch. Effektiv wäre es, dem Menschen beizubringen, das fortan selbständig zu erledigen. Das dauert länger, kostet oft Schweiß, Nerven und Tränen, aber unterm Strich steigert es dann die Lebensqualität der betroffenen Person. Im von mir geschilderten Fall meiner Ex-Schwiegermutter in spe, ist das nicht mehr zu ändern, da alle Beteiligten mitspielen.
Als der andere obligatorische Satz dann kommt: „Ich sag´ ja immer wieder: Dich hätte ich mir als Schwiegertochter gewünscht“, kontere ich: „Ja, im Rückblick. Wer weiß, wie das heute wäre? Vielleicht ist es dann besser für Dich, dass ich es nie geworden bin.“ Ich habe dieses Spiel hinter mir, neben meiner Mom zu stehen und ihr dabei zu helfen, es selbständig zu regeln, während spezielle Tanten ihr einfach alles abgenommen und erledigt haben – und mich nebenbei noch böse und gemein zu schimpfen. Heute bereuen sie es, laut eigener Aussage. Entschuldigt hat sich dafür nie jemand. Dafür hat meine Mom fast alles wieder verlernt, was sie in mühsamer Arbeit in der Reha in Holland erlernt hat. „Nur gut gemeint“ ist eben nicht automatisch „gut“. Naja…öfter Mal dasselbe Spiel…
Heute fahre ich dann nach über einer Woche mal wieder einkaufen. Ich habe die Hoffnung, wenn die Sonne draußen schein, ein langes Wochenende vor uns liegt, dann sind die Menschen entspannter. Ich Depp! An der Kasse staut es sich zurück, weshalb eine Kassiererin eine zweite Kasse ausruft. Natürlich schwenken die zuletzt Angekommenen sofort zur neuen Kasse, denn: „Wir ham ja keine Zeit, ne?“ Ich bleibe brav in meiner Schlange stehen und rücke kontinuierlich auf. Die andere Kassiererin ist aber noch nicht eingetroffen. Die erlaubt sich aber was! Na, sag´ amol! Der Herr ganz vorne am neuen Band mault die Kassiererin an meiner Kasse an: „Können Sie nicht noch mal die Kollegin ausrufen?!“ Die erklärt dann ruhig und sachlich, dass sie den Knopf betätigt hätte. Daraufhin würde eine Durchsage erklingen, die wir ja alle gehört haben. Zudem blinke ein Alarmlicht auf, das erst beendet werde, wenn die Kollegin an der Kasse sitze und selbige aktiviere. „Ja, aber da können Sie doch noch mal ausrufen lassen?!“ Die Kassiererin bleibt immer noch ruhig: „Nein, das geht nicht. Der Alarm ist ja schon ausgelöst. Da kann man keinen zweiten draufsetzen. Da müssen Sie sich bitte noch kurz gedulden, denn die Kollegin kann ganz hinten im Lager sein, wenn sie diesen Aufruf erhält.“ Nein, das passt dem Mann nicht: „Aber Sie können doch wohl noch mal die Durchsage machen!“ Spätestens jetzt möchte ich dem Mann was ins Gesicht drücken, das nur seeeeeehr langsam da rauseitert. Die Kassiererin atmet durch und bleibt immer noch ruhig: „Ich kann keine Durchsage machen. Das wird automatisch erledigt, wenn ich diesen Knopf drücke, was ich ja getan habe.“ Der Mann mault weiter: „Na, wenn das schon zu viel verlangt ist…?!“ Alter, ich fange an zu lachen. Die Kassiererin schaut mich an und verdreht die Augen. Das kommentiere ich mit: „Sie wissen schon, manche sind wichtiger als wichtig, oder?“ Mittlerweile trudelt die Kollegin an der Nachbarkasse ein. Meine Kassiererin sagt mir: „Wissens, des geht den gonzn Tog scho so. I bin froh, wenn der Dog rum is…so viele Deppen!“ Ja, ich möchte ihren Job echt nicht machen. Wahrscheinlich hätte ich schon am ersten Tag die Kündigung auf dem Tisch, weil ich so einen Kunden fragen würde, ob er auch zu doof sei, ein Loch in den Schnee zu pieseln? Ob ich ihm das mit dem Knopf mal zeigen solle, den ich drücken müsste – allerdings nur mit seinem Kopf als Auslöser des Knopfs? Mir würden da immer wieder neue Beispiele einfallen – ganz individuell. Ich dürfte sie vermutlich nur nicht lange ausleben. Mei, man hat´s nicht leicht, aber leicht hat´s einen, gell?
Auf der Rückfahrt sammle ich Karma-Punkte, da ich dauernd irgendwelche Leute vorlasse. Das bringt mir mehr Ruhe und den anderen wahrscheinlich auch. Irgendwann fährt dann ein Auto vor mir, bei dem ich laut lachen muss. Dort prangt eine Klopapierrolle auf der Ablage, die liebevoll umhäkelt ist und auf der dann Arielle die Meerjungfrau trohnt. Ach ja, das ist Deutschland. Ich glaube, es gibt in keinem anderen Land der Welt umhäkelte Klopapierrollen auf der Hutablage. Das hat man ja auch letztes Jahr beim Hamstern gesehen. Ich mag unser Land. Das Meckern und Jammern auf hohem Niveau nicht unbedingt, aber dafür viele andere kleine Schrulligkeiten.
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