Heute Morgen ist es schon so warm, dass ich mich auf den Balkon fläze und etwas lese. Es dauert nicht allzu lang, bis auch die Kinder aus ihren Verstecken gekrabbelt kommen. Wenn ich die kleinen Mädels dabei beobachte, wie sie hintereinanderherlaufen und dann auf diesen Schaukelgeräten (die Pferdchen mit der riesigen Feder darunter, die hin- und herwippen) rumtoben, dann freue ich mich über diese Leichtigkeit, Unschuld und unbändige Freude. Zwischendurch kreischen sie wie wild, wenn sie einander fangen wollen. Oh man, war ich auch mal so jung? Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie wir in unserem Dorf rumgeströpt sind. Da haben wir auch nichts anderes wahrgenommen, als den Moment. Der hat einfach allen Raum eingenommen. Schade, wie mir das verloren gegangen ist…

Dialoge, die es vor zwei Jahren so jedoch niemals gegeben hätte, vernehme ich dann aber auch noch: „Lass die Katze in Ruhe!“ Hatte ich erwähnt, gegen Katzen allergisch zu sein? Zum Glück hocke ich im zweiten Stock. Das andere Mädel entgegnet: „Aber warum? Flecki ist sooo süß!“ Die Erste stellt mal altklug fest: „Und wenn sie Corona hat?!“ Was zum Henker??? Das sind kleine Mädels. Aber da sieht man, womit leider auch Kinder tagtäglich konfrontiert werden. Ich hoffe sehr, dass wir nicht allesamt zu großen Schaden von dieser Zeit davontragen.

Gegen Mittag wird es mir dann allerdings doch zu heiß und stickig. Ich gehe rein und will noch etwas wuseln. Es gibt noch eine Kiste mit Briefen, die ich durchforsten möchte. Dann sollte ich wirklich alle meine Briefe und Karten mal erledigt haben. Oh man, ich habe sogar die Briefe von meiner ersten Lauferei von vor 29 Jahren! Auch nicht übel. Nicht besonders eloquent, der Gute, aber immerhin bemüht. Heute ist er Vierfach-Vater und – was ich so gehört habe – wohl ganz zufrieden mit seinem Leben als Hausmann, während die Frau Hauptverdiener ist. Ha, es gab sie also auch schon früher, die emanzipierten Männer!
Über manche Briefe muss ich mich dann regelrecht schlapplachen. Ich habe vor Uuuuuuuurzeiten mal einen Betreuerschein gemacht. Bei der Fortbildung wurde ich Krawallbiene getauft. Oder ein anderes Mal, als ich in Taizé war, habe ich auch wieder neue Leute kennengelernt und jahrelang Kontakt gehalten. Neue Menschen kennenzulernen, war nie ein Problem für mich. Und da ich immer gerne Spitznamen verteilt habe, wurde ich ebenfalls mit selbigen bedacht. Eine Reihe von Briefen wurde von einem Bekannten an „Diplom-Hektikerin Claudia“ adressiert. Herrje, ich scheine manch einen inspiriert zu haben, sich einen netten Namen für mich auszudenken.
Ich lese Briefe, in denen Menschen mir schreiben, was sie in mir sehen. Beispielsweise hatten wir vor gefühlt 120 Jahren ein rumänisches Flüchtlingspaar bei uns Zuhause. Zu ihr hatte ich ein besonderes Verhältnis. Sie war so völlig anders als das, was ich sonst in meinem Dorf so zu sehen bekam. Sie war eine Art Vorbild für mich – so klug, belesen, mutig und herzlich. Als ich ihre Briefe lese, sehe ich sie wieder ganz genau vor mir. Mein jüngster Onkel war damals nach Amerika in Urlaub geflogen – was ganz besonderes! Und er hatte ein tolles, französisches Bett. Irgendwie war er durch die beiden Tatsachen schon viel cooler als die anderen Spießer. In seinem Zimmer haben wir sonntags oft rumgelungert und Filme geschaut, als wir zu alt waren, im Keller mit den Kleinen zu spielen. Das Bett habe ich immer bewundert, weshalb ich es bekommen sollte, als er sich ein neues Schlafzimmer bestellt hatte. Ich weiß noch, wie aufregend ich das fand, endlich mein altes, grünes Kinderzimmer loszuwerden. Es kam mir so erwachsen vor, ein französisches Bett zu haben. Und dann sehe ich meine Mom, die sich zu mir ins Zimmer setzt und mir erklärt, mir stünde das Bett zwar zu, aber Roxana und Horea würden es doch dringender brauchen. Sie hatten nur einen Lattenrost und eine Matratze. Meine Eltern und die Familie hatten einiges zusammengekratzt, nur ein Bett war keines dabei. Ob ich mir nicht vorstellen könnte, doch auf dieses Bett zu verzichten? Puh…ich hatte so lange darafhin gefiebert, aber da gab es doch keine andere Möglichkeit, oder? Und so habe ich es ihnen überlassen. Sie haben es bei ihrem Umzug nach Wuppertal mitgenommen, wo sie dann Stipendien für ihr Medizin-Studium erhalten haben. Ich glaube, ich habe sie noch ein Mal gesehen…und ein paar Briefe mit ihr geschrieben. Ist das lange her!
Auch ein Brief von der schottischen Freundin meiner Sis ist dabei. Sie ist in etwa im Alter meiner Mom. Als sie zu Besuch war, hatte meine Sis nicht durchgehend Zeit für sie, weshalb ich manche Stunde mit der witzigen Mary verbracht habe. In ihrem Brief schreibt sie mir, wie sich mich ihrem Mann beschrieben hätte, der danach gefragt hatte: „She is a one-woman-party – all over!“ Das verbuche ich mal als Kompliment.

Und wie das so ist, wenn die Erinnerungen mit den Briefen kommen: Ich lache aus tiefstem Herzen, und ich vergieße manche Träne. Es ist schön, das zu lesen. Manche Briefe werfe ich aber trotzdem weg. Es hat alles seine Zeit…und jede war auf ihre eigene Weise schön, traurig, lehrreich, verrückt und herausfordernd. Ich wünsche den Mädels (und später kommen die Jungs dazu) da unten, auch tolle Begegnungen zu erleben, schöne Erinnerungen zu sammeln und ihre Leichtigkeit dabei nicht zu verlieren. Und dabei denke ich an den Satz, über den ich stolpere: „Der Mut, der Lächerlichkeit zu trotzden, ist es, den wir am meisten brauchen.“ Also: Seid mutig, und sucht Euch Eure Abenteuer!

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