Manche Wochen haben es in sich. Während andere nur so dahindümpeln, kann man in solchen Wochen manchmal den Überblick leicht verlieren. Wenn die Tage zu wenige Stunden haben, ist das bei mir ein eindeutiges Zeichen: Zum Einen bin ich voll in meinem Element, zum Anderen resümiere ich danach immer ordentlich, wie sinnhaft es denn war – oder eben nicht. Dieses Mal war es wieder einmal nicht sinnhaft…
Die letzte Woche war übervoll. Schade, wenn ich dann erkenne, dass andere Leute den Vereinbarungen nicht nachgekommen sind. Ein Affront für mich. Und da haben wir es mal wieder: Ich messe mit meinem Maßstab, was natürlich auch daneben ist. Ich bin es gewohnt, Dinge zu erledigen, die ich zusage. Da gibt es gar nichts dran zu rütteln. Wenn jemand mein Wort hat, dann reiße ich mir lieber einen Arm aus, als mein Wort zu brechen. Im Privaten ist das schon wichtig für mich, im Beruflichen allerdings auch. Und so bin ich einigermaßen genervt, als ich montags erkenne, dass mein Kollege nicht die zwei Kleinigkeiten erledigt hat, die er im Dezember erledigen wollte. Da er die erste Januarwoche Urlaub hat, erfahre ich es erst montags – einen Tag vor unserem Aufschlag auf Management-Ebene.
Und hier entfaltet sich ja mein ganz eigenes Phänomen. Während die einen schlottern und vor Ehrfurcht erstarren, weil sie es mit dem Management zu tun bekommen, habe ich eine ganz andere Sorge: Alles dranzusetzen, ihnen nicht zu zeigen, wie wenig ich von ihnen und ihren Allüren halte. Mannomann, das ist gar nicht so einfach, wie das klingt. Ich erkenne mal wieder meine etwas eigenartige Sicht auf die Welt. Obrigkeitsdenken liegt mir nicht. Ja-Sagen liegt mir nicht. Mund-Halten liegt mir nicht. Was ich brauche, um mich wohlzuführen, sind Werte, wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit. Und die sucht man ab einer gewissen Ebene leider vergeblich.
Dann kommt noch meine Praktikantin ins Spiel, die bereits letztes Jahr Flipcharts anfertigen und mit und mit zu unserer Druckerei bringen sollte. Warum? Na, weil sie dort eingescannt und teilweise verfielfältigt werden müssen. Aufgrund eines Skiunfalls, Corona und anderer Themen wurde dies allerdings geschoben. Sie liefert sie einen Tag vor der ersten Veranstaltung ab. Zum Glück verstehe ich mich sehr gut mit dem Team der Druckerei, denn mal eben so 58 Flipcharts zu scannen und weiterzuverarbeiten, das geht nicht so einfach. Daher habe ich in der Woche zuvor schon alles in die Wege geleitet. Geistesgegenwärtig frage ich die Studentin noch: „Du hast sie aber schon in der richtigen Reihenfolge angeordnet, richtig?“ Große Augen: „Oh. Das…äääh…nö.“ Sie ist Studentin, sie ist jung. Ich kann es nicht erwarten…und bin dennoch etwas enttäuscht.
Der externe Berater, mit dem alles im November besprochen wurde und der mit meinem anderen Kollegen noch im Dezember Termine hatte, meldet sich dann auch noch. Wir sollten doch mal den Ablauf besprechen. Er wisse ja gar nicht, was geplant sei. Äääääh…das haben wir ja bereits getan, aber gut. Dann eben noch mal. Ich stelle ihm alles vor, und er ist begeistert. Na denn. Welchen Part würde er denn übernehmen? Ach soooo…ja, nee. Er überlässt die Veranstaltung ganz mir. Es gehe in seiner Company ja auch darum, den Kunden zu befähigen, es dann selbst umzusetzen. Das Konzept ist komplett von mir. Seine fehlerhaften Powerpoint-Folien sind vollkommen ausradiert, weil sie Null Anklang gefunden hatten. Aber nun gut. Für 150.000 € Beraterhonorar kann ich wohl erwarten, dass ich das hier alleine rocke, oder? Nur zur Klarheit: Er erhält das Beraterhonorar, nicht ich. Nicht, dass da was verwechselt wird!
Mein Kollege wird auch zwei Tage durchgängig anwesend sein, weil es ja ums Managament geht. Was seine Aufgabe ist (nachdem er die beiden anderen Aufgaben nicht erledigt hat)? Er wird gemäß Vorgabe alle 20 Minuten lüften. Muss ich erwähnen, dass dieser Kollege Fach-Führungskraft ist und fast das doppelte Gehalt von mir bezieht? Ich habe schon Muskelverhärtungen im Nacken vom dauernden Kopfschütteln. Immerhin muss ich erwähnen, dass beide Kandidaten – der externe Berater, als auch mein Kollege – nicht böse sind. Dafür muss ich in solchen Tagen echt schon dankbar sein.
Wir beginnen am nächsten Tag um neun Uhr. Der Berater und mein Kollege erscheinen um 8:45 Uhr. Bis dahin muss der Raum aufgebaut sein, zwei Flipchart-Ständer mit den richtigen Charts bestückt (die ich am Morgen noch von der Druckerei hole), mit vier Metaplanwände ausgestattet sein, Post its und Stifte zurechtliegen usw. Klingt alles unspektakulär. Wer das mal vorbereiten durfte, weiß, dass da der Teufel im Detail steckt.
Der Tag startet und verläuft sehr gut. Ich bin locker, komme allerdings mit der Zeit immer wieder in Konflikt, weil der oberste Boss mir regelmäßig widerspricht, wenn ich eine Diskussion beenden möchte…nur um mir zum Schluss zu sagen, ich solle doch bitte mehr aufs „timekeeping“ achten. Alle gehen, nur der Berater, mein Fenster schließender Kollege und ich bleiben mit dem obersten Boss zurück, der sich im Vorfeld immer hat verleugnen lassen, weil er keine Absprache zu dem Termin brauchte/ wollte. Und so zerpflückt er dann den Plan für den nächsten Tag. Ich koche. Mittlerweile habe ich eine Kerntemperatur eingenommen, die jeden Vulkan erblassen ließe. Atmen und weghecheln. Wenn das bei Schwangeren klappt, dann auch bei diesem Narzissten. Alle kennen ihn, alle wissen, wie er ist, fast alle lecken seinen Speichel. Ich kann das nicht. Ehrlich. Da bewundere ich andere ja schon, wie die das beherrschen. Ich würde beim bloßen Versuch vermutlich schon ersticken. Jaja, meine verdammten Hörner…
Während die Jungs munter philosophieren, baue ich den Raum zurück, schleppe allen Kram rüber in den anderen Raum für morgen und denke mir munter Foltermethoden aus. Meine Sis ist entsetzt, als ich ihr später eine Kostprobe verrate. Dabei sind es nur zwei Altbekannte, die ich anführe: Die eine mit der Ratte, die sich durchfrisst, die andere mit den hungrigen Haien und den angeritzten Fußsohlen. Sie ist aber auch empfindlich. Und nein, ich könnte keinen Menschen foltern. Mir reicht die Phantasie, um mich runterzukochen. Klingt krank, aber ich hab´s abklären lassen: Es ist noch recht normal. 🙂
Der oberste Boss geht, die beiden anderen Herren nehmen wohl den Dampf wahr, der aus meinen Ohren steigt. Sie gehen fast auf Zehenspitzen um mich herum. Wir entwerfen den Ablaufplan für den nächsten Tag, und schon bringe ich den Externen zum Haupteingang. Auf dem Weg sagt er mir, ich solle mich nicht entmutigen lassen. Ich habe es richtig toll gemeistert, habe die Leute abgeholt und begeistert. Der oberste Boss sei für ihn seit zwei Jahren auch nie erreichbar. Viele Bosse seien so, dass sie am Abend alles auf den Kopf stellen würden. Da habe er sich schon etliche Nächte in Hotelzimmern um die Ohren schlagen müssen. Ich schaue ihn an und frage vollkommen demotiviert: „Weißt Du, ich frage mich eher: Bin ich hier richtig? Ist es das Unternehmen, für das ich arbeiten will? Wir reden davon ´Der Mensch steht im Mittelpunkt´, und ich denke nur: So was von am Arsch! Hier wird gekrochen, was das Zeug hält, während der Obermufti nach unten tritt und beteuert, Hierarchien seien doch quasi gar nicht vorhanden. Das ist so eine Farce.“ Mein Gesprächspartner nickt: „Ich weiß. Und das Schlimme: Es ist an vielen Stellen so.“ Ich werde innerlich ruhiger und denke mir: Das heißt noch lange nicht, dass ich dieses Geschiss mitmachen muss, oder? Will ich für so einen Führungsstil verbrennen? Würde ich hier Führungskraft, müsste ich mit den Wölfen heulen. Ich müsste – zumindest in Teilen – faule Kompromisse eingehen, falschen Götzen huldigen und meine Werte verkaufen und verraten. Das will ich nicht. Und für diese Erkenntnis bin ich dankbar. Dankbar dem Egomanen, der scherzhaft zu mir sagt: „Du bist doch hier für die Standards zuständig. Ich habe ein Standard-Kündigungsschreibeen in der Schublade. Willst Du eins?“ Vor versammelter Mannschaft. Nicht lustig, sondern Drohgebärde. Nicht clever, aber ich: „Mach´ doch. Da schlägt mein Puls nicht einen Schlag schneller.“ Er erwartet dann eigentlich, dass man Angst bekommt und fortan den Mund hält. Da kann er lange bei mir warten. Und nein, er kann mir gar nicht kündigen. Er will damit nur sein Revier abpinkeln. Ist das nicht erbärmlich?
Der nächste Tag beginnt. Ich starte schon um 6:40 Uhr, denn irgendwer muss jetzt den Ablaufplan abtippen und die Flipcharts malen. Wir beginnen schon um 8:30 Uhr, weshalb der Berater und mein Kollege immerhin schon um 8:15 Uhr eintrudeln. Mein Kollege, der ein echter Nerd ist, kommt mir mal wieder viel zu nah. Da kann er echt nicht für, aber es nervt trotzdem. „Welche Aufgaben hast Du für mich?“, steht er da und schaut mich mit Dackelblick an. Nein, heute möchte ich nicht die Mama eines verdammt gute Bezahlten spielen. „Was kann ich tun?“, fragt er wieder. Das ist gerade meine Welt. Krank, oder?
Der oberste Boss ist, wie er immer ist: Ein Arsch. Die anderen sind, was sie immer sind: Kleinlaut und eingeschüchtert. Da sind durchaus auch ein paar Nette dabei. Aber es widert mich an, wie die meisten von ihnen sind – und das bei dem Wissen, dass sie eine Menge Kohle nach Hause schleppen, während manche Werker bei uns rumkrebseln. Es geht heute unter anderem um Kultur. Unbezahlbar: Ich frage, ohne mir wirklich was Böses dabei zu denken: „Ok, dann lasst uns bei all dem doch mal schauen, warum die Mitarbeiter gerade für Euch und Eure Abteilungen arbeiten sollen?“ Entsetztes Schweigen und eigenartige Blicke. Einer wagt sich: „Wir schreiben ja gerade gar keine Stellen aus.“ Ich nicke: „Einverstanden. Wie wollt Ihr beim zunehmendem Fachkräftemangel denn dafür sorgen, dass die jetzigen Mitarbeiter bei Euch bleiben? Was zeichnet gerade Euch bzw. Eure Abteilung aus?“ Und ehrlich, ich frage das freundlich. Sie verstehen die Frage aber nicht. Ich mache hier keine Witze. Ein Einziger hat zwischendurch mal gesagt: „Bei all den Zielen, die recht und schön sein sollen, aber wo sind da die Mitarbeiter? Was ist mit den Menschen?“ Er wurde auch so eigenartig angeschaut. So stelle ich mir das im Mittelalter vor, wenn einer gefragt hat, wie Gott denn den König berufen habe…also wie genau der Prozess vonstatten gegangen sein soll? Vermutlich darf ich froh sein, dass ich weder geteert, noch verbrannt worden bin.
In der Mittagspause erteilt mir der oberste Boss eine Lektion in Sachen Mathe. Ja, Mathe ist bei mir Brachland. Die Gleichung, die er allerdings aufmacht, ist eines Grundschülers würdig. Er erklärt mir, dass das IST immer ungleich dem PLAN ist. Daher würde man ein SOLL formulieren. Das SOLL ist allerdings auch immer ungleich dem IST. Also: Was ist dann gleich dem IST? Das IST natürlich. Und da soll ich mir nicht verarscht vorkommen? Er will mir damit sagen, wir müssten mit dem Material arbeiten, das wir zur Verfügung hätten. Als er dann zum wiederholten Mal über meinen alten Chef-Chef ätzt, muss ich was sagen. Ich konfrontiere ihn damit, dass er kein bisschen wertschätzend sei. Damit, dass der Slogan „Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt“ ein Lippenbekenntnis sei. Er möchte für die geringe Wertschätzung ein Beispiel haben. Ich bringe den Abschluss des vorangegangen Tages ins Spiel. Oh, er sei aber sehr froh, dass ich das jetzt mache. Ich entgegne, davon käme bei mir leider so rein gar nichts an. Wenn ich einmal in Fahrt bin, hält den Drachen ja nichts. Oh, und er erwähnt auch, wie gut er es fänd, dass wir kontrovers diskutieren könnten. Das könne man ja mit den Wenigsten im Unternehmen. Finde den Fehler, Du Volldepp! Ich sag´s anders: „Diskutieren ist ja schön und gut. Wenn Du aber am Ende immer Recht behalten musst, weil Du in der Hierarchie weiter oben stehst, ist so eine Diskussion für mich nicht gerade erhellend.“ Ich werde los, was ich loswerden will. Und dabei verwende ich keine Schimpfwörter, haue ihm keine rein, werde nicht laut. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie stolz ich auf mich bin. Für so einen verachtenden, demütigenden Menschen möchte ich nicht arbeiten. Meine Entscheidung macht mich einfach nur frei. Das Ende vom Lied ist sein Feedback am Abend. Da bekomme ich zu hören: „Claudia, burschikos durchmoderiert.“ Bevor er meinem Kollegen für die aufwendige Organisation dankt (die er gar nicht verantwortet hat) und dem Externen ganz herzlich dankt, der heute immerhin auch aktiv mitgestaltet hat. Innerlich feiere ich mich. Warum? Ich hab´s geschafft, dass er sich ärgert. Als er mittags meint, ich sei bestimmt angespannt und in meiner Lernzone (weil ich da beim Management rumturne), sage ich: „Nö. Ich bin nicht angespannt. Die einzige Herausforderung für mich hier, bist Du.“ Da hat er zumindest kurz gezuckt.
Mit meiner Chefin rede ich abends noch und dann freitags erneut. Ich bin ruhig. Sie berichtet mir von ihren Erlebnissen und erklärt, ich solle es mir genau überlegen, was ich bereit sei, aufzugeben. Wir seien noch sehr rückständig und hinkten locker 20 Jahre hinterher. Sie habe schon Wochen gehabt, in denen sie heulend nach Hause gegangen sei und sich gefragt habe, ob sie das so wolle? Ich sei noch idealistischer als sie. Sie lebe mittlerweile nach dem Motto: „Welchen Kampf will ich wirklich ausfechten und welchen lasse ich liegen?“ Wir sind uns beide einig, dass ich Kämpfe, wie diesen, immer angehen und niemals ruhen lassen würde. Und dabei arbeitet man sich ab…ständig. Und man verbrennt. Das will ich nicht. Ich darf noch mal drüber schlafen, darf noch nachdenken. Aber die Erkenntnis ist doch längst da: Ja, ich würde gerne gestalten und Menschen begleiten. Doch nein, nicht in diesem Unternehmen. Ich kündige dort nicht. Ab März oder April habe ich mir mal die Freitage geblockt. Überstunden habe ich allein in dieser Woche wieder viel zu viele angehäuft. Die baue ich dann freitags ab. Dabei kann ich dann schauen, welche Möglichkeiten ich außerhalb des Konzerns habe. Und da sind jede Menge. Die sieht man nur selten, wenn man brav im Hamsterrädchen rennt.
Ich bin wieder einmal dankbar, auch wenn manche das nicht glauben wollen. Doch ernsthaft, ich bin es. Menschen, die andere so geringschätzig behandeln, rütteln mich wach. Ich möchte diesen Apparat nicht befeuern. Ohne es zu bemerken, verbiegen sich viele von uns. Wir passen uns an, machen uns passend. Das passiert mir auch oft, weil ich ja schon auch gefallen will. Wenn es dann so radikale Vollidioten gibt, kommt das Ganze nicht schleichend zum Vorschein, sondern direkt auf den Punkt. Und dafür kann ich nur dankbar sein. Entsprechend starte ich mit einem Lächeln in die nächste Woche. Da werde ich wieder auf ihn treffen…und er darf wie Teflon an mir herabgleiten. Ich verbrenne nicht, ich verbiege mich nicht, ich buckle nicht. Eine tolle Erkenntnis.
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