Wie sieht ein rundum gelungener Tag aus? Ich schätze, das ist für jeden von uns etwas anderes. Für mich hat es viel mit Harmonie zu tun. Wir sind gestern gemütlich gestartet und gen Neuschwanstein gedüst. Es war – trotz traumhaftem Wetter – kein Stau auf dem Weg dorthin. Wenn dann die ersten Berge sichtbar werden, hat das schon was Erhabenes. Und das sage ich, der erklärte Meer-Fan. Daran wird sich auch nichts ändern. Beim Anblick des Meeres und damit verbundenem Wind…mmmh. Wenn dann noch die Zehen den ersten Sand spüren dürfen, dann habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Komisch, zumal ich nie am Meer gelebt habe – zumindest nicht in diesem Leben. Das Meer ist ständig in Bewegung und bringt auch in mir manches in Bewegung. Und genau das bringt mich innerlich ins Gleichgewicht. Man, klingt das paradox. Und doch ist es genau das Gefühl in mir, was es auslöst. Es wird also Zeit, noch mal ans Meer zu kommen.

Doch zurück zu Ludwigs Spuren. So bewegt, wie das Meer ist, so verlässlich stehen die Berge in dieser Umgebung. Das ist einfach majestätisch. Wie man auf Idee kommen kann, hier ein Schloss hinzubauen, erschließt sich mir nicht. Umso faszinierter bin ich, als ich es sehe. Irgendwann in meinen ersten Lebensjahren waren wir wohl mal hier, um uns das Schloss aus der Entfernung anzusehen. Daran habe ich allerdings keinerlei Erinnerungen mehr. Ich kann mich schon noch daran erinnern, als wir meine Großeltern zu damaligen Urlauben mitgenommen haben. Meine böse Omma ist in den Erinnerungen nahezu gar nicht existent. Dafür mein Oppa umso mehr. Er war ein neugieriger, offener Mensch, der daran Spaß hatte, Neues zu entdecken und sich an meiner kindlichen Faszination ergötzen konnte wie kein Zweiter. Ich war vorwitzig und hatte schon früh eine blühende Phantasie. Ich glaube, das hat ihm gefallen. Er, der nie vom Krieg erzählt hat, aber mit Sicherheit viel zu viel Grauen gesehen hat neben seiner Enkelin, die sich über alles Mögliche freuen konnte. Wenn er mich nur angesehen hat, bekam er schon feuchte Augen. Und wenn meine Eltern mal wieder schimpfen wollten und er zugegen war, kam sein: „Loat datt Känk. Datt hau et net bös jement.“ Keine Ahnung, warum der Draht zwischen ihm und mir so besonders war? Ich war schließlich nicht sein einziges Enkelkind. Vermutlich war es diese gemeinsame Neugierde aufs Leben? Ich schätze also, er hätte auch gestern eine Menge Spaß gehabt, wäre er dabei gewesen. Ich hätte seine Gesellschaft auf jeden Fall sehr genossen.
Corona geht uns, glaube ich, kollektiv mächtig auf den Zeiger. Aber ein Gutes hat es dann doch: Es ist nicht proppevoll. Meine Kollegin kommt aus dem Allgäu und weiß zu berichten, dass es gut und gerne vier, fünf Stunden dauern konnte, wenn man ins Schloss wollte. Heute gibt es keine Warteschlangen. Es wird vorher gebucht. Und aufgrund des Reiseeinbruchs weltweit, ist es hier vollkommen entspannt. Wir wandern den Weg hinauf, worauf ich stolz bin. Alternativ hätten wir nämlich durchaus eine Kutsche nehmen können, wie das einige tun. Aber mir tun a) die Pferde leid und b) hat meine Kollegin ein Trauma bzgl. Pferden. Die Sonne scheint uns zwischendurch ins Gesicht und kitzelt nur noch mehr gute Laune hervor. Wir sind über eine Stunde zu früh oben und können daher in Ruhe das Wetter genießen…gut, und das Beobachten anderer Leute. Das macht doch immer am meisten Spaß. Es sind schon einige Leute hier, aber eben kein Gedränge. Zwei Mädels fallen und natürlich besonders auf, weil sie geschlagene 30 Minuten posen und sich dabei im Wechsel fotografieren. Dann werden die Bilder begutachtet und die nächste Runde geknipst. Aaaaah, was bin ich froh, nicht mehr so jung zu sein, mich nicht Influencer schimpfen zu müssen und auf Botox schlichtweg zu verzichten. So ein Leben stelle ich mir schon anstrengend vor. Von außen betrachtet dient es allerdings der guten Unterhaltung.
Um Punkt 13:35 Uhr werden die Einlass-Terminals für uns freigeschaltet. Und auch hier danke ich den Corona-Umständen. Normalerweise umfasst so eine Führung 60 Teilnehmer. Wir sind gerade mal 18. Mehr als 20 sind auch nicht erlaubt. Wir sind zwar immer noch zeitlich stark limitiert, doch es macht trotzdem Spaß. Wie kann sich ein Mensch so was ausdenken? Ich bin echt fasziniert. Beispielsweise eine Tropfsteinhöhle einbauen zu lassen, ist schon echt krass. Die Räume sind auch gar nicht so überdimensioniert, wie ich angenommen hatte. In der Tat könnte ich mich hier durchaus wohfühlen. Gut, dieses Treppengerenne würde mich schon nerven. Aber hier gibt es Hucken (Erker, ich weiß), die laden mich total zum Verweilen ein. Sie sind natürlich abgesperrt. Wenn ich mir vorstelle, hier auf der gepolsterten Bank zu hocken, ein gutes Buch zur Hand, einen Chai Latte oder Kaffee neben mir…ach, das fänd ich schon echt dekadent, aber genial.
Ganz oben nehmen wir dann auch den Sängersaal in Augenschein. Hier würde ich zu gerne mal Theater spielen. Schade, dass es nie zu Aufführungen gekommen ist, weil Ludwig da schon zu schwermütig gewesen ist. Das Leben hat ihn enttäuscht. Das Rütteln an der Monarchie hat ihn fassungslos gemacht. Irgendwie mag ich diesen traurigen und doch so kreativen Kopf. Er hat immerhin Wundervolles erschaffen, statt nur vor sich hinzuschmollen. Auch wenn er früh gestorben ist, hat er der Nachwelt seine bunten Träume hinterlassen. Wer kann das schon von sich behaupten?
Auf dem Rückweg verweilen wir eine geraume Zeit auf dem Balkon, der einen traumhaft weiten Blick ermöglicht. Die Sonne küsst uns dabei, was mich breit strahlen lässt. Das macht einen tollen Tag für mich aus. Inspiration, neue Welten, aber auch Ruhe und Verweilen. Dazu gute Gespräche und andere Menschen. Zwei kleine Jungs sind in unserer Führung dabei gewesen. Der Große ist vielleicht vier oder fünf Jahre alt, und man merkt ihm die Aufregung an. Ganz interessiert fragt er den Tourguide ein paar Dinge. Er ist so fasziniert, was mich total ansteckt und sofort wieder an meinen Oppa denken lässt. Im Rausgehen sage ich zur Mutter, wie toll ich ihre Kinder fänd, was sie unbändig freut. Auch dem Vater entlockt es ein stolzes Lächeln. Wieso vergeben wir eigentlich nicht viel häufiger Komplimente? Ich meine kein Geschleime, sondern einfach, wenn uns was positiv auffällt? Das kostet nichts, tut mir nicht weh und freut im bsten Fall mein Gegenüber. Eigentlich so einfach. Nur wenn ich im Hamsterrad renne, denke ich an diese einfachen Dinge oft gar nicht so richtig.
Nachdem wir unten angekommen sind, gibt es erstmal ein Radler, um den Durst zu löschen. Und ich bemerke einmal mehr, wie groß mein Durst wirklich ist. Natürlich meine ich damit nicht den Durst nach Flüssigem, sondern den Durst nach Austausch, neuen Eindrücken, Tieftauchen in andere Welten und einfach mal bewusstem Sein. Klingt wieder ein wenig esoterisch, ich weiß. Und doch fehlt mir das einfach mal Sein derzeit sehr. Da ich die Einzige bin, die daran etwas ändern kann, nehme ich mir das mal wieder verstärkt für die Zukunft vor. Ich möchte mir mehr Inseln schaffen, die mich beflügeln, um mir meine Welt zusammenzuspinnen. Auch wenn ich den Geist von Ludwig nicht gesehen habe, spüren konnte ich ihn wohl schon irgendwie.

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