Der Freitagabend beginnt zu dritt – mein kleinster Cousin, meine bekloppteste Cousine und ich besuchen das „Regie“ in Heidelberg. Die Spiesekarte ist leider Mist, weil sie einen vor eine wahnsinnig geile Auswahl stellt. die überfordert. Ist das schwer! Letztlich wird es ein vegetarischer Burger mit Ziegenkäse. Mmmmh… Als der Kellner kommt, der seines Zeichens eine flotte Schnüss hat, fragt er, ob alles geschmeckt hätte? Ich kontere: „Nee, aber wir hatten Hunger.“ Er stutzt ganz kurz, sieht mich grinsen und entgegnet: „Das ist normalerweise mein Spruch. Wenn die Gäste sagen zögern, dann frage ich, ob sie doch nur Hunger gehabt hätten oder warum die Teller leer wären?“ Tja, da muss der Kleine eher aufstehen.
Es geht weiter mit Cocktails, weil es einfach so ein Abend ist. Kein geplanter Trinkabend, sondern einer, bei dem die Stimmung passt. Familienspinnereien werden zum Besten gegeben, ich quietsche wieder, weil ich erwähne: „sooooo klein war der damals“, weil ich früher bei dem Kleinsten babygesittet habe, und wir werfen uns die verbalen Bälle hin und her. Herrlich. Es tut einfach gut, so ausgiebig zu lachen. Der Kellner kommt später mit der Rechnung und bestätigt, was wir vermutet haben: Er ist Russe. Ich frage ihn, ob er mit Diskriminierung zu tun hätte? Nee, er wäre ja schließlich Heidelberger. Und schon geht die Diskussion los. Ich finde es so spannend, unterschiedliche Sichtweisen kennenzulernen. Zwar lehne er Putin ab, aber der Westen hätte auch viele Fehler begangen. Das sehe ich ähnlich, aber unser Verständnis ist dennoch ein anderes. Mein kleiner Cousin versucht es mit Argumenten, der russische Heidelberger eher mit Leidenschaft. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Der Kellner prangert allgemein an, wie gerade die Menschen, die immer „wir sind alle gleich“ skandieren, meist die Schlimmsten seien, wenn es dann um Ausgrenzung gehe. Syrer und Afghanen nein, Ukrainer auf jeden Fall. Auch das verstehe ich…und doch ist auch dieser Aspekt vielschichtiger. Solche Gespräche sind es, die mich total fesseln.
Zum Schluss gibt es noch einen Shot aufs Haus, der mit einem flambierten Stück Ananas aufwartet. Gekrönt wird das Stück Ananas mit reichlich Zimt, der Funken regnen lässt bei dem Feuer. Doof nur, dass das Handy meiner Cousine danebenliegt. Schmecken tut´s dann aber umso besser im Anschluss.
Am nächsten Tag sind wir eingeladen zur WG meines Cousins. Er wohnt mit sechs weiteren Menschen (obwohl das noch zu klären sein wird) in dieser Berufstätigen-WG. Das Prinzip finde ich total genial. Für mich wär´s allerdings nichts. Doch mein kleiner Cousin hatte mir schon im Vorfeld davon vorgeschwärmt. Ich denke schon, dass es den Horizont erweitert. Und garantiert wird man in Toleranz und Geduld trainiert. Wenn ich allerdings Feierabend habe, will ich meine Ungeduld und Intoleranz ausleben können, weil sie schon im Job derartig überstrapaziert werden. Zufuß latschen wir also zur Wohnung, die von außen (sorry) nicht den schönsten Eindruck erweckt. Die Lage direkt an den Gleisen, wäre nicht wirklich meins. Dafür ist die Wohnung, die sich über den fünften und sechsten Stock erstreckt, echt ein Traum. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in den tollen Räumlichkeiten zu leben – nur eben nicht mit sechs weiteren Leuten. Wir lernen als erstes Caro kennen (wenn Du das liest: Du bist echt eine Süße!). Ich beginne zu verstehen, was an so einer WG schön sein kann. Es ist ein Kommen und Gehen in dieser Bude. Man muss schon recht offen sein und damit umgehen können, dass eben fremde Menschen zu Besuch in der eigenen Bude sein können. Karin kann das an diesem Tag, glaube ich, nicht so wirklich. Sie hockt sich kurz an den Tisch, schmiert sich ihre Brote, mümmelt sie vor sich hin und verschwindet. Gut, wenn ich mir vorstelle, ich käme zu mir nach Hause und eine ganze Rotte wäre am Tisch versammelt, würde ich vermutlich auch erstmal…ääääh…irritiert sein.
Irgendwann schlurft Manu die Treppe herunter. Er wirkt schon ein wenig nerdig und sehr alternativ, aber das Gespräch entpuppt sich als…nun…wie sage ich es diplomatisch? Rohrkrepierer. Er wirkt völlig verstrahlt. Als ich ihn frage, was er denn beruflich mache, schaue ich in leere Augen. Ok, die Frage ist auch keine ganz einfache, das gebe ich zu. Meine Cousine versucht sich in Verständigung: „Vielleicht war das einfach ein bisschen schnell für ihn?“ Er schaut mich an: „Und ein bisschen zu viel…?“ Ich nicke, wobei ich innerlich 25 Fragen im Hirn herumspringen habe…aber gut. Ich versuche es erneut: „Ich wollte nur wissen, was Du beruflich machst?“ Es kommt immer noch keine Antwort. Stattdessen brabbelt er irgendwas anderes, während meine Cousine sich schon die Hand vor den Mund hält, um nicht laut loszuprusten. Ich nehme einen weiteren Anlauf – mittlerweile recht kleinlaut: „Du willst uns also nicht sagen, was Du beruflich machst?“ Er schaut mich an – kurzfristig mit klarerem Blick: „Hast Du mich das schon mal gefragt?“ Meine Cousine bebt neben mir. Das ist nicht hilfreich. Alter!!! Ich will eigentlich schon keine Antwort mehr. Aber gut, er macht irgendwas mit IT-Beratung. Als er geht und wir „tschüß“ sagen, antwortet er ähnlich: „Tschüß! Und Tschüß, Claudia.“ Jetzt zerreißt es meine Cousine. Ich kann nicht anders und giggel´ mit. Das schaffe ich keineswegs ohne Alkohol. Auf meine spätere Frage, ob Manu eigentlich gerne mal eine Tüte durchziehe, ernte ich ein Lachen…und die Bestätigung auf meine Vermutung. Mich wundert´s nicht. Innerlich trällere ich vor mich hin: „I believe I can flyyyyyyy…“ Ich kann mit Kiffen leider nicht wirklich was anfangen – mit verstrahlten Personen entsprechend auch nicht so viel.
Dann kommt unsere Lichtfigur…und Alter, ich hoffe echt, Du liest das jetzt auch! Sandro erscheint auf der Bildfläche. Er ist ein Freund von Caro und ebenfalls zu Besuch. Beide – Caro und er – sind Rheinländer. Besser geht´s ja wohl nicht! Wir sind zwar in Baden-Württemberg, aber gerade ganz klar in der Überzahl. Sandro hat allerdings zwei Mankos: Er ist a) verheiratet und b) schwul. Tja, Frau kann nicht alles haben. Ich will diese Kodderschnüss echt gerne adoptieren. Es gibt Menschen, die mag man einfach auf Anhieb. Und er ist so ein Exemplar. Und auch wenn meine Cousine direkt neben ihm sitzt und die meiste Zeit mit ihm quatscht, kann sie sich den Namen nicht merken. Sie schwankt in der Aufarbeitung (ja, so was machen wir…sonst würden wir solche Tage nur noch mit einem Psychiater überstehen) zwischen Salva (Kurzform von Salvatore) und Silvio. Salva ist der Ex einer ihrer Freundinnen. Silvio ist der Freund meiner Kollegin. Tja, wir sind nicht mehr so jung, gell? Ich schätze, wenn wir zukünftig Menschen mit dem Anfangsbuchstaben „S“ kennenlernen, werden wir sie der Einfachheit halber einfach nur noch S nennen. Sandro ist ein Schätzchen, der die geilsten Sprüche raushaut. Ich beneide Caro fast schon um diese Freundschaft. Aber der Gute wandert mit seinem Mann nach Australien aus. Ganz schön unverschämt, oder? Ich könnte noch ein wenig Entwicklungshilfe seinerseits vertragen. Ich weiß nicht, ob´s am Lillet Wild Berry, meiner trainierten Blase oder einem Rest meines Anstands liegt, aber ich mache mir nicht in die Hose. Das ist bei Sandros Sprüchen echt reine Körperbeherrschung
Meike (oder mit a? Also nicht Meika, sondern Maike?) und Verena komplettieren die Runde dann noch. Die beiden hocken sich aufs Sofa und fangen an, wie die Hühnchen zu schnattern. Der Geräuschpegel erinnert mich an alte Familientreffen. Es ist ein Gewirr und Gewusel, aber vor allem ein Schlagabtausch, für den man volle Konzentration benötigt. Wir ziehen uns gegenseitig auf…aber vor allem meinen kleinen Cousin, der uns gerade mal Pizza kredenzt. Die ist lecker, zweifelsfrei. Aber seinen russischen Zupfkuchen enthält er uns vor. Da jeder aus der WG diesen Kuchen kennt und ebenfalls mag, zieht ihn letztlich fast jeder mit dem Fehlen des Kuchens auf. Gut, ich oute den Kleinen dann auch mal als Schneider (und nein, nicht als Beruf gemeint, sondern als schnakenähnliches Insektenvieh) futterndes Baby, dem nur noch ein Beinchen aus dem Mundwinkel ragte, als meine Tante vom Klingeln an der Tür zurück in den Raum kam. Aber mal ehrlich: Welchen anderen Sinn hat Familie denn, wenn nicht den, die blödesten alten Geschichten wieder hervorzukramen? Eben. Da ich gesegnet bin mit einem grandiosen Elefanten-Gedächtnis, kommen die peinlichen Beiträge in der Regel von mir. Ich kann eben nicht nur auf der Massageliege meine Gedanken rattern lassen, sondern auch im Gespräch.
Verena ist dann aber auch noch so ein besonderes Exemplar. Sie schaut immer in alle Einkaufstüten, wenn jemand vom Einkauf kommt. Ich weiß ja nicht, ob sie das will, aber solche Zwangshandlungen könnte man therapieren. Die anderen ziehen sie damit auf, dass sie wirklich immer, immer in alle Taschen und Tüten schauen muss. Auch Sandros Tragetasche, die auf der Treppe steht, wird inspiziert. Das klingt ja ganz lustig, aber…äääh…würde mich zu einer Radikal-Therapie veranlassen, wäre ich die Taschenbesitzerin. Aber jedem sein Rititi. Ich sage ja: WG wäre nichts für mich. Dafür bringt die Gute Chicorée mit, den sie unten an der Straße gefunden hätte. Sandro witzelt noch, dass sie wahrscheinlich einer alten Omma in die Tasche gespinkst hätte und da fündig geworden sei – aber hey, jede(r) legt das für sich anders aus.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel und ausgelassen gelacht habe? Es war einfach völlig überdreht, schön, verrückt, locker. Das ist so ein Treffen, das man nicht planen kann. Und ich schätze, wenn dafür ein Drehbuch beim Film eingereicht werden würde, würde es zurückgewiesen mit den Worten: „Zu weit entfernt von der Realität“, aber das macht es umso wertvoller. Filme sind schön – das wahre Leben ist schöner. Heute Morgen waren wir dann noch zu viert (mein Cousin mit seiner Freundin, meine Cousine und ich) frühstücken, bevor ich wieder gen Dachau gedüst bin. Dieses Wochenende hat mich entschädigt und mir wieder manches vor Augen geführt:
1. Umgib Dich mit Menschen, die Dir gut tun.
2. Selbst mit Pandagesicht kannst Du flirten.
3. So ganz leicht kann man schwule, verheiratete Männer nicht adoptieren.
4. Genieße jeden Moment, wie er gerade kommt.
5. Kiffen macht manchen etwas lala im Kopf.
6. Wenn Du auf einer Massageliege liegst…
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