Meine Nacht auf Freitag verläuft unruhig. Wenn ich daran denke, wie oft ich früher in Hotels übernachtet habe, ist das schon lächerlich. Ich werde (bin) halt alt. Ungewohnte Umgebung, da braucht die alte Frau eben ein bisschen Eingewöhnungszeit. Entsprechend halte ich es ab 7 Uhr dann gar nicht mehr im Bett aus. Doof nur, dass Cafés hier nicht vor 9 Uhr öffnen. Kaffee gibt es nirgends in diesem Hotel. Nicht mal Instant-Plörre zum selber Anrühren. Das grenzt schon an Körperverletzung! 🙂 Aber dann ist endlich die Warterei vorbei, so dass ich endlich meinen ersten Kaffee schlürfen kann. Auf dem Weg zum Café nieselt es in einer Tour. Welcome to Heidelberg…

Im Extrablatt werde ich fündig. Geh ich da echt allein rein? Das kommt mir schon ein wenig strange vor. Andererseits wäre es ja noch bekloppter, einfach irgendeinen wildfremden Menschen auf der Straße anzuquatschen, damit ich nicht allein ins Café muss. Obwohl…ich schätze, ich sollte das mal ausprobieren..?
Kennt Ihr das, wenn Ihr in einen Laden kommt, in dem Ihr früher öfter wart? Natürlich nicht in Heidelberg, aber das Extrablatt ist ja eine Kette. Ich war häufiger in Aachen in diesem Café. Was ich aber vor allem mit dem Laden verbinde? Enthüllungen. Ja, es gab auch Dates dort. Doch die waren jetzt nicht so spannend, dass ich sie erwähnen müsste. Ich erinnere vielmehr einen besonderen Morgen mit meiner lieben Freundin. Wir hatten uns gerade gütlich an Rührei und Speck getan und mampften unser Croissant mit Nutella, da schaut sie mich an und eröffnet mir: „Ich glaube, ich bin schwanger.“ Es ist, als würde bei Jauch diese dramatische Musik gespielt und der Spot auf meine Freundin geworfen. Mein Rührei-Bacon-Magengemisch bildet einen schweren Klumpen. Da sie schon häufiger damit zu kämpfen hatte, haue ich raus: „Es ist bestimmt nur eine Zyste.“ Wahnsinnig hilfreich, ich weiß. Sie war damals alleinerziehend und hatte sich von ihrem toxischen Freund getrennt. Hey, da spielen die Hormone schon mal verrückt und einem ´nen Streich. Doch sie blickt mich nur ruhig an: „Ich bin mir recht sicher.“ Da sie noch keinen Test gemacht hat, halte ich meine Variante für genauso wahrscheinlich. Doch der anschließende Besuch beim Arzt bestätigt, was sie schon richtig vermutet hatte: Eindeutig schwanger. Tja, was soll ich sagen? Die Zyste wird nächsten Monat 18 Jahre alt. Schon krass, oder? Ich kann irgendwie nicht ins Extrablatt zum Frühstück gehen, ohne an diese Geschichte denken zu müssen. Und so schreibe ich ihr dann auch, als ich mich fürs Frühstück dort entscheide – mit dem Hinweis auf die Zyste.

Später schlendere ich (bei lediglich einem Grad plus und Dauernieselscheeregengemisch) durch Heidelbergs Altstadt. Das Städtchen hat schon Flair. Auch die Häuser sehen nach besseren Verhältnissen aus. Eine Dame von Amnesty International quatscht mich an und argumentiert recht penetrant. Ich weiß, dass sie das machen müssen. Und ich weiß, dass das kein lustiger Job ist. Aber…ich habe jetzt mal frei und möchte mich damit gar nicht befassen. Die Gesprächsschulung merke ich ihr allerdings schon an, was ich ihr auch sage. Sie gibt unumwunden zu, dass sie da richtig gut geschult werden, weil es echt eine Menge Überredungskunst und Beharrlichkeit braucht, um Leuten Spendengelder aus dem Kreuz zu leiern.
Weiter geht´s zum Studenten Karzer – eine Empfehlung meines „kleinen“ Cousins. Hier wurden sperrige, renitente Studenten in Arrest genommen. Was bin ich froh, dass solche Zeiten vorbei sind! Ich schätze, ich hätte da ein Dauer-Abo gehabt. Wobei…zu der Zeit waren es ja eh ausschließlich Kerle, die zum Studium zugelassen waren.
Da es mal so richtig usselig ist, schickt mir mein Cousin den nächsten Tipp: Ein Besuch bei der Thai-Massage. Und genau das gönne ich mir dann auch. Allerdings ist es nicht ganz so clever, wenn man dafür 2,5 km pro Strecke durch diese Eiseskälte marschieren muss. Noch schlimmer ist allerdings, dass ich mein Handy dafür non stop in der Hand habe, weil ich Google Maps benötige. Ich bin ja bekanntermaßen ein Orientierungs-Vollhorst. Gerade, als ich den Laden betrete, meldet mein Akku, dass er nun streikt. Schwarzer Bildschirm, rie ne va plus. Völlig tropfend und durchnässt stehe ich beim Massageladen im Eingang und stottere los: „Ich…äääh….mein Handy! Das ist platt! Echt jetzt! Da geht nichts mehr! Ich…oooooh, ich kann Ihnen ja nicht mal meinen Impfstatus zeigen! Und das muss man ja heute noch. Aber…“ Der gute Herr erlöst mich erstmal und nimmt mir meinen tropfenden Mantel ab. Aber ohne Nachweis geht doch nichts, oder? Naja, ab Sonntag wird die Regel ohnehin aufgehoben. Was das für ein Handy sei? Ach, ein Samsung? Und schwups hängt´s auch schon am Ladekabel. Kurz zögere ich noch, weil da immerhin auch mein Perso im Mäppchen steckt sowie ein kleiner „Notgroschen“ (oh man, ich bin echt fast Nachkriegsgeneration!!!), aber dann zucke ich mit den Schultern. Es wird schon passen.
Auf der Liege angekommen, denke ich an Karsten Dusse „Achtsam morden“. Wenn Du vor einem Fahrstuhl stehst, stehst Du vor einem Fahrstuhl. Wenn Du vor einem Fahrstuhl stehst und an das nachfolgende Gespräch denkst, dann bist Du nicht achtsam. Also: Ich will ja achtsam sein. Entsprechend lautet mein Credo: „Wenn Du auf der Massageliege liegst, liegst Du auf der Massageliege.“ Die Massage beginnt und ich denke: „Zurück nehme ich auf jeden Fall den Bus. Durch dieses Dreckswetter gehe ich auf keinen Fall zurück….aaaaaah! Stop! Wenn Du auf der Massageliege liegst, liegst Du auf der Massageliege!“ Ich seufze und entspanne mich….ganz kurz. Dann geht´s auch schon weiter: „Ich find´s ja gut, dass Louis van Gaal seinerzeit Müller so gefördert hat, den ich nett finde, obwohl er bei FC Bayern spielt. Aber wie kann dieser Schwachmaat van Gaal trotz positivem Coronatest einfach zum Spiel erscheinen und Müller nachher noch umarmen und erst später berichten, dass er noch positiv sei?! Hat der eigentlich noch alle Latten am Zaun?!?!?!? STOP! Wenn Du auf der Massageliege liegst, liegst Du auf der Massageliege.“ Ich hole tief Luft und nehme die kleinen pinken Crocks wahr, die von der Masseurin zu erkennen sind, weil ich mit meinem Gesicht ja in der Kopfaussparung nach unten liege. „Hat die aber kleine Füße! Kleine Füße…“ Da denke ich natürlich an meine schwangere Chefin, von deren Schwangerschaft ich ja noch nichts wissen darf. „Ob die am Montag wirklich schon wieder fit ist? Puh, wenn die externen Berater kommen, haben wir wieder einen pickepackevollen Tag. Um sieben muss ich spätestens bei der Arbeit sein und vorbereiten, denn um acht kommen ja schon die zwei Hansel. Um 17 Uhr wollen wir ja Feierabend machen. Das schaffen wir doch ohnehin nicht! Ich muss drauf achten, rechtzeitig auszustempeln…STOP! Wenn Du auf der verdammten Massageliege liegst, dann liegst Du Herrgottundzefixundzugenähtverdammtnochmal auf der Massageliege.“ Stille…Geht doch! „Wie soll ich Orientierungs-Vollhorst denn herausfinden, in welchen Bus ich mich nachher setzen muss? Weißt Du noch, wie Du in Cusco in den falschen Bus gestiegen bist? Gut, hier wirst Du bestimmt nicht in Richtung Berge gefahren, aber…HALT! STOPPPPPPPP! Verdammte Massageliege!!!!“
Jetzt klingt das so, als hätte ich die Massage nicht genossen. Das stimmt aber gar nicht. Es war total schön. Nur schaffe ich es nicht, mein Köpfchen einfach mal auf Pause zu drücken. Geht nicht. da rattert und rattert es in einer Tour. Immerhin bestätigt mir meine Cousine später noch, dass es ihr nicht anders geht. Juchuuuu, es gibt noch mehr Spinner! Inwieweit mir das bei der Entspannung hilft? Watt weiß ich?! Und immerhin ist mein Handy jetzt wieder zur Hälfte geladen. Ich kann meinen Nachweis also noch präsentieren. Feurioooooo!

Ich hetze zurück ins Hotel. Das mit dem Bus ist mir zu ungewiss. Die Straßenbahn ist bestimmt noch komplizierter. Dann gehe ich eben diese verkackten 2,5 km im Dauerschneeregengemisch. Binnen kürzester Zeit bin ich wieder durchnässt. Dazu kommt das verrutschte Gesicht von der Massage. In dieser Gesichtsaussparung wird das Gesicht schon arg gequetscht – zumal wenn da jemand auf Deinem Rücken und Nacken rumkniet und knetet. Was einmal Wimpertusche war, wird zu Pandaaugen. Ich mag Pandas – nur eben nicht in meinem Gesicht. Aber auch egal. Ich muss ja hier keinen Schönheits-Wettbewerb gewinnen. Ich erspähe einen Müllmann, der gegen einen Mülleimer kickt, um diesen aus der Verankerung zu lösen. Das sollte er mich mal machen lassen, wenn ich gerade mal wieder auf 180 bin. Irgendwie verfüge ich wohl über Telepathie…oder der Gute tut es, denn er schaut auf, breitet die Arme aus und grinst mich an. Ääääh, na gut. Ich tröte ihm entgegen: „Da bin ich einmal in meinem Leben in Heidelberg und was ist los? Es schifft in einer Tour!“ Er grinst noch breiter: „Was? Du bist da erste Mal hier? Warum?“ Wieso gibt es Menschen, die behaupten, sie lernen niemals andere Leute kennen? Mir passiert das nie. Ich erkläre ihm, dass ich meinen Cousin besuche und vorher noch eine Cousine zu mir ins Hotel kommen wird. Und dann schmettere ich hinterher: „Also dreh´ mal gefälligst am Knöpfchen, damit die Sonne wieder scheint.“ Er strahlt mich an: „Mach´ ich. Und wenn es morgen besser ist, gehst Du mit mir einen Kaffee trinken?“ Sischer datt, Jung. Ich sage nur: „Aber klar!“ Und er: „Ok, wann und wo?“ Ich grinse ihn an: „Wenn das Wetter besser wird, treffen wir uns genau hier.“ Er lacht, wir verabschieden uns, der Schneeregen stört mich einfach gar nicht mehr. Nach 200 Metern hält ein Sprinter von der Stadt auf meiner Höhe. Mein Müllmann lässt die Scheibe runter und grinst: „Na, trinken wir jetzt einen Kaffee?“ Ich lache zurück: „Siehst Du, dass die Sonne scheint?“ Er lacht und winkt – ich tu´s ihm gleich. So was mag ich ja. Beschwingt lege ich die letzten 300 Meter zurück und überlege, zuerst ein Stündchen zu pennen und mich dann heiß zu duschen oder umgekehrt…? Aber da geht auch schon die Nachricht ein, dass meine Cousine eher da sein wird. Es geht also nur noch entweder oder. Ich entscheide mich für die heiße Dusche, bis es ein großes Wiedersehen gibt. Herrlisch…sach´ isch Eusch. Rheinisch in Heidelbersch – watt willste mehr?

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