Ich habe eine tolle Entdeckung gemacht: Der vergangene Montag war der letzte Montag, an dem ich bis Juli in der Firma anwesend sein werde. Wenn das kein Grund zum Feiern ist, weiß ich es auch nicht mehr. Das heißt: Keine blöden Montags-Meetings in den nächsten Wochen mehr. Keine anschließenden Ganztages-Workshops mit blödem Rumgelaber mehr. Das gibt mir so einen Schub, das kann ich kaum in Worte fassen. So beseelt, trete ich dann auch mit voller Energie auf. Es gibt drei Module, wie wir unsere Qualifizierung aufziehen wollen. Wir dürfen sie aber nicht Module nennen, wie alle das tun, sondern Phasen. Keine Ahnung, was gerade Phase ist bzw. en vogue, aber mir ist es so was von schnurzpiepegal. Und wenn wir es Sauerkraut, Eintopf und Blutwurst nennen sollen.
Zunächst einmal müssen wir uns aber noch Fragen für Interviews überlegen, um unsere Stakeholder zu befragen. Warum das alles englische Begriffe sein muss? Weil es dann erst cool und richtig wichtig klingt. Die Fragen habe ich schnell formuliert. Richtig, ich. Die anderen nicken es ab. Irgendwie bin ich gespannt, was sich im Juli bewegt haben wird, wenn ich wieder an den Runden teilnehmen muss… Als nächstes heißt es, wir sollen alle zwei Interviews pro 60 Minuten durchführen, womit ich vollkommen einverstanden bin. Allerdings kann ich diese erst im Juli starten. Der ältere Kollege, der nicht mal weißt, wie man Empathie schreibt, blafft mich direkt an, dass das gar nicht gehe. Ich zucke mit den Schultern und sage, dass ich bis einschließlich 9.6. 10-Stunden-Arbeitstage habe – ohne Pausen dazwischen. Wohlgemerkt weist mich meine Chefin kontinuierlich daraufhin, dass mein Gleitzeitstand bereits sehr hoch sei (über 160 h mittlerweile), während ich sie darauf hinweise, die Arbeiten dann doch bitte anders zu verteilen. Komisch, dass andere Kollegen zeitlich sogar Minusstunden aufgebaut haben. Da mault mein Kollege rum: „Jeder kann abends mal eine Stunde dranhängen. Das ist immer möglich.“ *karatsch* Da ist er gerissen, mein Geduldsfaden. Ich wirble herum und fauche ihn regelrecht an. Ach ja, mein lieber, kleiner Feuerdrachen in mir wird aktiv. Mein Kollege zuckt zurück und korrigiert: „Ääääh, ich meinte das einzig und allein auf mich bezogen.“ Is klar, Junge.
Als die Jungs und Mädels dann mal wieder um den Pudding tanzen, trage ich kurzerhand am präsentierenden Laptop ein, dass ich Phase (oder Modul oder Sauerkraut) eins in Zusammenarbeit mit dem einen externen Berater übernehmen würde. Große Augen, Stille. Also mache ich weiter: „Gut, Ihr seid noch drei. Unsere Chefin scheidet ja aus, weil sie bald weg ist.“ Das bringt mir ein kures Zusammenzucken ihrerseits ein. Dabei hat sie ja selbst gesagt, ab Mitte/Ende Juli weg zu sein. „Wer übernimmt dann federführend Phase 2?“ Schweigen. Ooooooh, das liebe ich ja. Ich halte die Stille aus, dennoch tut sich nichts. „Also gut, falls ich genuschelt habe: Wer von Euch Dreien übernimmt Phase zwei?“ Wieder Schweigen. Ich schaue meine Chefin an und merke an: „Siehst Du: Wir brauchen nicht mal Remote-Arbeit, um sich einfach anzuschweigen. Das klappt auch hervorragend in Präsenz.“ Erst als ich einen Kollegen gezielt anspreche, dass er doch da der Experte drin sei, antwortet dieser, dass ihm die beschriebene Phase zwei nicht gefalle. Ich zucke mit den Schultern: „Dann verändere sie. Ist doch Deine Gelegenheit, das jetzt zu gestalten.“ Und dann jammert er (weil er nie etwas praktisch umsetzt, sondern immer nur meckert, was andere nicht geliefert haben), er wolle aber unbedingt in meiner Phase eins mitarbeiten. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, weil ich sauber meine Grenze ziehe: „Habe ich verstanden, machen wir aber nicht. Wir diskutieren seit ewigen Wochen um die ewig gleiche Scheiße. Jetzt teilen wir es auf und bringen endlich mal was auf die Straße, sonst sitzen wir Ende des Jahres noch ohne Ergebnis rum.“ Meine Chefin begrüßt es. Der Kollege nickt zögerlich und übernimmt das Thema. Er wird eh nichts machen, sondern machen lassen, aber nun muss er sich die richtigen Leute dafür ziehen. Bleiben nur noch der ältere Kollege und die Neue, die ihrerseits gerne Skaterklamotten trägt und auf dem Stuhl rumfläzt, als sei sie ein pubertierender Teenager, was meinen älteren Kollegen unwahrscheinlich auf die Palme bringt. Herrlich. Ich schaue die beiden an und frage: „Und wer von Euch übernimmt Phase drei?“ Schweigen. Ich lache: „Ääääh, wir können Euch sehen. Also: Macht das einer von Euch beiden oder trage ich einfach Euch beide ein?“ Grummelgrummelgrummel. Sie: „Na, dann trag´ mich halt mit ein. Aber ich habe ja Wirtschaftspsychologie studiert.“ Gut, das hat sie in vier Wochen auch erst 27 Mal erwähnt. Es könnte mir also wirklich durchgeschlüpft sein. „Ich würde schon auch gerne mit Dir an Phase eins arbeiten.“ Jetzt ist mein älterer Kollege auch erwacht: „Ich will auch mit Dir an Phase eins arbeiten!“ Es ist wie beim Kindergeburtstag. Alle wollen neben dem Geburtstagskind sitzen. Fakt ist aber, sie wollen nur mit mir arbeiten, um selbst nichts machen zu müssen. Das lehne ich aber mal kategorisch ab. Haben wir ja schließlich lange genug praktiziert. Als ich dem externen Berater am Mittwich davon berichte, strahlt er mich an: „Endlich! Das machen wir zwei schon. Endlich kommt mal Bewegung rein!“

Dienstag telefoniere ich dann mit dem externen Trainer von der internen Schulung. Ich benötige noch die Unterlagen, weil ich die Schulung übernächste Woche halten soll und habe keine drei Stunden, mich da reinzufuchsen, was mein älterer Kollege mit: „Ach, das machst Du doch locker“ quittiert. Irgendwann schlage ich ihn – ganz sicher. Als ich so mit dem Trainer spreche und er mir noch mal sagt, wie schade es sei, dass die Führungskräfte sich vorher nicht die Zeit genommen hätten, weshalb ich jetzt diese unliebsame Arbeit übernehmen müsste, sage ich im Scherzton: „Ach, weißt Du, ich hatte zwischendurch schon überlegt, ob ich Dir nicht meinen Lebenslauf mal zukommen lasse…?“ Daraufhin kommt prompt: „Wir werben niemanden aktiv ab, aber wenn Du natürlich mich fragst…dann ist das ja kein Abwerben. Wann setzen wir uns denn zusammen?“ Da bin ich dann doch etwas überrascht. Nach meinem Urlaub, stelle ich in Aussicht. Er freut sich…und ich mich wohl auch. Obwohl ich nicht mal weiß, ob ich das machen will? Aber anschauen und den eigenen Marktwert zu testen, kostet ja nichts.

Gestern habe ich dann einen Ganztages-Workshop mitgemacht. Jajaja, ich kriege ja niemals den Hals voll, ich weiß. Es ging aber gar nicht um eine Fortbildung, sondern um systemische Aufstellung. Professionell betrieben, ist systemische Arbeit echt eine richtig gute Sache. Nun kommt das große Aber, richtig. Eine ehemalige Mitschülerin und Freundin hatte mich schon vor anderthalb oder zwei Jahren gefragt, ob ich nicht mal mitkommen wolle? Sie bräuchten immer Stellvertreter. Und jetzt passte es zeitlich mal. Die Leute vor Ort sind sehr unterschiedlich – von eso bis „normal“, was auch immer das heißen mag. Aber es ist so gar nicht meine Welt. Es geht bei der Arbeit nicht darum, sich als Stellvertreter selbst darzustellen, was einige wohl trotzdem meinten, tun zu müssen. Und irgendwie ist es ein einziges, großes Gewusel, zu viel Selbstdarstellung und für mich dann auch zu weit hergeholt. Ich will gar nicht zu sehr ins Detail gehen. Doch es war für mich eine einmalige Sache in dieser Gruppe. Schade eigentlich. Dafür saß eine 68-Jährige neben mir, die so gar nicht nach 68 Jahren aussah. Sie schiebt es auf ihre vegane Ernährung, die ich absolut gar nicht anstrebe. Dann lebe ich lieber mit Falten. Trotzdem zeigt mir diese Frau, wie völlig anders Lebensentwürfe aussehen können. Sie ist seit einigen Jahren mit einem Mann verpartnert, hatte aber nach ihrer Krebserkrankung das Bedürfnis, sich noch mal richtig auszutoben. Mit Einverständnis ihres Partners hatte sie eine Affäre mit einem 25-Jährigen. Sie raunt mir noch zu: „Und ich dachte, er sei 27, aber das hat er dann richtiggestellt.“ Ich schaue sie an und muss losprusten: „Klar, die zwei Jahre machen ja auch ´nen fetten Unterschied.“ Sie grinst verwegen. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits 64. Der Gute war also mal schlappe 39 Jahre jünger als sie. Und dann guckt sie mich an und sagt: „Weißt Du, Alter ist nur eine Zahl. Am Anfang habe ich gedacht, das geht doch gar nicht. Aber das ging wunderbar. Es war einfach nur berauschend und aufregend. Genau das habe ich gebraucht: Mich wieder lebending zu fühlen.“ Ich sitze so da und bewundere sie. Jüngere Männer gehen so gar nicht für mich. Oh je, das wär´s ja noch. Männer haben gerne deutlich jüngere Frauen, aber andersherum? Und dann denke ich: Warum eigentlich nicht? Warum soll es nur bestimmte Pfade geben, die uns vordiktiert sind? In der Mittagspause erzählt sie dann auch von einem Techniker, der ihr Ende der 80er immer helfen musste, weil sie ein Schreibbüro hatte. Da sie quasi ein Dauer-Abo bei ihm hatte, wurde daraus kurzerhand ein Verhältnis. Sie zuckt kess mit den Schultern und quittiert das mit den Worten: „Ich komme aus dem Zeitalter der sexuellen Revolution. Für irgendwas muss das doch gut gewesen sein, oder?“ Vieles unterscheidet mich von ihr, ganz klar. Aber ich bewundere sie für ihre Offenheit und auch den Mut, sich die Dinge zu nehmen, die sie braucht. Sie betreibt dies nicht heimlich, sondern trifft klare Absprachen mit ihrem Partner. Wir Frauen sollten öfter mutiger sein und für uns einstehen…und vor allem sollten wir das Leben so feiern und genießen, wie es ist bzw. es so zu gestalten, wie wir es uns wünschen.

In diesem Sinne: Auf in die nächste Woche, die mit meiner Graduation startet. Noch zwei Wochen, dann beginnt mein Urlaub. Und dann? Hält mich nichts mehr. 🙂

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