Halleluja, was für ein Tag. Die S-Bahn fällt – welch´ Überraschung – kommentarlos aus. Gottseidank checke ich vor vorher noch, ob es Verspätungen gibt. Jetzt muss ich mich sputen, weil ich eine komplette Station zufuß zurücklegen muss. Da es hier geregnet hat, ist es draußen wie in einer Waschküche. Bäääääh, wie ich so ein Wetter hasse! Ich marschiere im Stechschritt los und bin richtig angepisst, als ich feststelle, dass die Bahn erst in 15 Minuten einfahren wird. Geht’s noch?! Bis ich dann mal die Uhrzeit checke und registriere, dass ich wohl regelrecht geflogen sein muss. Das erklärt dann auch das Wasser, das sich meine Wirbelsäule entlanghangelt. Hatte ich erwähnt, wie sehr ich das Wetter hasse?! Ich könnte das im fünf-Minuten-Takt raushauen…geht aber auch häufiger.
Ich fahre bis zur Hackerbrücke und laufe noch fünf Minuten zum Augustiner. Da warte ich dann geschlagene 20 Minuten, bis die ersten drei erscheinen, denn die U-Bahnen haben wohl auch so ihre Probleme. Ob sich da wohl einer bei der Bahn denkt: Wieso eigentlich nur ein paar Fahrgäste nerven? Das wäre doch ungerecht. Schauen wir doch, dass wir möglichst vielen auf den Zeiger gehen können. Na dann: Mission geglückt!
Im Lagerkeller des Augustiner war ich noch nie und finde es toll. Da oben wohl alles gerappelt voll ist, bin ich froh, dass wir hier ohne Reservierung noch einen Platz erhaschen. Der Kellner ist auf Zack, und dann treffen die drei Kerle auch schon ein. Der Kellner kommentiert dies trocken: „Meine Herren, Ihr könnt doch die Dame hier nicht so lange warten lassen!“ Ach, das ist schon mal schön, wenn man sich mal zurücklehnen kann und andere das machen lässt.
Einer der drei ist ein ehemaliger Kollege aus meinem Studi-Job von vor 15 Jahren. Aber was machen die Jungs eigentlich gerade jetzt in München? Zur Antwort erhalte ich schockiert aufgerissene Augen und in herrlich rheinischer Manier: „Helene Fischer tritt doch heute Abend auf! Wenn datt ma kein Grund is?!“ Alles im herrlich rheinischem Singsang…oh Heimat! Zunächst hoffe ich allerdings noch auf einen Scherz wegen Helene, aber weit gefehlt. Die drei sind Hardcore-Fans. Auch von Michelle, die ich im Grunde noch schlimmer finde, und Maite Kelly. Ja, sie sind schwul, da darf ich ihnen das nachsehen. Ich wünsche ihnen später tapfer trotzdem viel Spaß, obwohl ich kotzen müsste. Sie sehen es mir nach.
Den Mann meines ehemaligen Kollegen kenne ich schon, ihren gemeinsamen Freund allerdings nicht. Kevin ist ein Unikum – von seiner Attitüde bis zu seinen Tattoos. Ist das ein jeckes Huhn! Köstlich. Wir wollen was zu essen bestellen, während die anderen beiden auch eintrudeln (die waren an einem anderen Augustiner…tja). Die Jungs fragen Kevin, ob er denn gefrühstückt hätte, wobei mir ihr Grinsen nicht entgeht. Er klärt mich auf: Naja, er habe im Internet einen Purser (quasi der erste Stewart an Bord) kennengelernt, der in München wohnt. Ganz kurzentschlossen hätten sie sich heute Morgen verabredet. Es sei nett zur Sache gegangen. Und es gab noch obendrauf einen Cappuccino und ein Croissant. Mein ehemaliger Kollege ergänzt: „Alles in einer Stunde erledigt. Das nenne ich mal Effizienz!“ Ich überlege, ob ich das Beispiel in meine Lean-Schulung aufnehmen soll? Kevin berichtet weiter: „Abba nomma seh isch den nisch. Is mir zu alt. Abba juut jebaut isser schonn. Willste ma sehen? Der hat mir die Bilder freigeschaltet.“ Und dann seh ich die Bilderfolge eines attraktiven Mannes und maule die drei Kerle an: „Ich will mal festhalten, dass Ihr mir das Leben ganz schön versaut! Dadurch schmälert sich die Auswahl ganz gewaltig!“ Ich kassiere nur Grinsen. Ach, Ihr mich auch! Derweil sehe ich ein Bild vom Frühstücks-Lover auf einer Wiese, dann eins in einem Restaurant, dann einen Schwanz….ääääääh? Und wieder in der Natur, Nahaufnahme vom Gesicht, Nahaufnahme des besten Stücks und seine nackte Rückseite, die aussieht, als würde er ein weißes Höschen tragen. „Kannste mir ma sagön, wie der datt mitte Bräune macht? Der is doch immer nur am fliegön?!“ Ich kann´s leider nicht beantworten – erstens, weil ich es echt nicht weiß und zweitens, weil ich mich schlapp lache. Die beiden anderen leben monogam seit 25 Jahren. Aber Kevin ist eben ein Tausendsassa. Beim Obazdn klagt er dann plötzlich: „Oh maaaan, jetz hab isch voll die Zwiebölfahnö!“ Ich liebe diesen Dialekt und lebe ihn viel zu selten aus. Ich frag´ mal nach: „Was denn? Musst Du heute noch was klarmachen?“ Er winkt ab: „Hab´ isch doch heutö Morgön schon gemacht.“ Na also. Und Helene wird´s auch nicht stören, würde ich mal schwer vermuten. Bis ganz nach vorne kommen sie wohl kaum. Wobei mir die Vorstellung schon gefällt, wie Kevin sie zwiebelatmig anhaucht: „Atemlos durch die Nacht…“ Man wird ja wohl noch träumen dürfen!
Irgendwann verabschieden wir uns von den Jungs und zuckeln noch Richtung Englischen Garten. Ohne Anstrengung schwitze ich trotzdem. Meine frühere Kollegin und ihrem Mann ergeht es nicht anders. Es dampft einfach nur. Und auch, wenn das ja mein Hasswetter ist, genieße ich es total, diese Leute zu sehen. Es ist wie immer, gibt keine Pausen oder wirkt krampfig. Der Mann meiner ehemaligen Kollegin hat mich geistig beispielsweise unter Anouk abgespeichert. Er kann sich nicht so gut Namen merken. Ich war damals vor 16 Jahren auf ihrem 40., wo nur miese Musik gespielt worden ist. Ich hätte gerne getanzt, weshalb er mich gefragt hat, zu welchem Lied ich denn tanzen wolle? Zu „Nobody´s Wife“ von Anouk, war meine Antwort. „A-watt?“ Und da er den Namen so toll fand, konnte er sich diesen merken. Also bin ich seit dieser Zeit für ihn einfach nur Anouk. Könnte schlimmer sein, finde ich. Wir schauen uns die Eisbach-Surfer an und schlendern dann langsam zu den Bussen bzw. Bahnen. Es gibt solche Menschen, die Du jahrelang nicht siehst, aber bei denen Du sofort wieder anknüpfen kannst und Dich wohlfühlst. Genau solche sind das. Ach, ist schon schön, oder? Da rückt das Wetter so was von in den Hintergrund.
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