Ich bin zurück. Wovon? Kranjska Gora. Es war das Paradies für meinen Oppa. Vermutlich ist er auch deswegen genau dort friedlich eingeschlummert und nie mehr erwacht. 35 Jahre ist das jetzt her. Mein Wunsch, diesen Ort aufzusuchen, liegt wohl nicht genau um diesen Zeitpunkt herum. Doch er ist früh gereift. Und irgendwie wurde er immer verschoben. Dabei wollte ich das unbedingt mit meiner Sis machen, die das auch wollte, aber für die ständig etwas dazwischenkam. Jetzt habe ich ihr quasi gedroht, wenn es jetzt nicht klappe, würde ich alleine fahren. Irgendwie hat es dann doch gepasst. Und es war goldrichtig.
In der Woche zuvor hatte es dort – wie schon bei uns – nur geregnet. Als wir letzten Sonntag losgefahren sind, hat es auch noch geregnet, was das Fahren nicht so lustig gestaltet hat. Aber ich war mir sicher: Nach einem der vielen Tunnel würde die Sonne auf uns warten. Und so war es dann auch. Der Herbst ist ja ohnehin meine Lieblingsjahreszeit und hat sich entsprechend in sein hübschestes Kleidchen geworfen. Es funkelte rötlich und gelblich aus allen Ecken. Einzig der Wurzenpass wollte mir kurzzeitig meine Laune verhageln. Es gibt ja diese tollen Autos, die Allradantrieb haben. Oder solche, die einfach nur fett sind und 250 PS unter der Haube haben. Ääääh, beides hat mein kleiner, alter Clio leider nicht. Und so mühte sich der gute Fökki bei 18 % Steigung ab. Mehr als den zweiten Gang konnte ich gar nicht befahren. Halleluja. Ich hatte schon Sorge, der Kleine würde das Rauchen anfangen. Aber er ist tapfer geblieben – genauso wie wir. Wir haben auch nicht schlecht gestaunt, zu registrieren, wie nah dieser Ort (von Stadt will ich hierbei lieber nicht sprechen) an Österreich liegt. Und doch taucht man in eine völlig andere Welt ein, weil wir außerstande waren, auch nur ein einziges Wort zu entziffern, das auf den Schildern stand. Klar, ist ja auch eine slawische Sprache. Aber Himmerherrgottsakrament: Wir können rein gar nichts aus dem Geschriebenen schließen! Und da es der zweite Oktober ist, sind wir komplett außerhalb der Saison gelandet, was wir im Grunde auch begrüßen. Nur die Hütten sind natürlich auch seit zwei Tagen geschlossen.
Das Hotel liegt recht nah am Jasnasee, der – wenn auch künstlich angelegt – einfach traumhaft ist. Ja, hier können wir Oppas Liebe nur zu sehr nachvollziehen. Das wirkt alles unwirklich…mit der bunten Farbenpracht der Bäume, dem spiegelglatten See, den Bergen ringsherum. Und da eben kaum was los ist, herrscht eine wunderbare Ruhe. Würde ich meditieren, wäre das hier genau der richtige Ort dazu.
Wir haben uns auch andere Orte angeschaut, die ebenfalls sehr schön waren. Allerdings konnte nichts an das Gefühl heranreichen, das ich an diesem See empfunden habe. Wasser ist eben auch mein Element. Auch der Höhenpass Richtung Italien hat uns spektakuläre Sichten ermöglicht. Dauernd haben wir gehalten, Fotos geschossen, uns durch tiefes Einatmen eine ordentliche Sauerstoffvergiftung zugezogen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes berauschend.
Und doch gibt es ja immer auch ein Aber. Dieses Aber liegt in einer Begegnung der dritten Art begründet. Ich mag Menschen, die leidenschaftlich sind. Und jeder hat so seine eigenen Überzeugungen. Manchmal weiß man es ja schon im Vorfeld, dass etwas nicht ganz rund laufen wird. Und so war auch der Besuch bei einer Bekannten meiner Sis im Vorfeld schon bei mir mit absoluter Lustlosigkeit verbunden. Ich finde die Frau nämlich schon in Deutschland schräg. Wenn sie bei ihrer Familie ist, schwant mir dann noch Übleres. Doch gegen meine Überzeugung bin ich hingefahren. Omma hat dann erstmal allerlei aufgefahren und konnte nicht mal fünf Minuten auf dem Hintern sitzen bleiben. Sie hat mich an meine liebe Omma erinnert, die auch ständig was zu tun hatte. Der Bruder der Bekannten war auch ausnehmend höflich und freundlich…wenn auch ein wenig zu viel. Zwei seiner Söhne waren von Beginn an anwesend. Der Ältere war viel zu ernst für sein Alter. Mit 13 Jahren war ich anders drauf. Und trotzdem hat er mich fasziniert. Als dann der mittlere Bruder von der Schule kam, haben sie uns ein Konzert gegeben. Der Große hat Akkordeon gespielt – später sogar auch steirische Harmonika. Der Mittlere hat ihn mit einer Tuba begleitet. Der Kleine war etwas genervt, weil ihm die Aufmerksamkeit entzogen wurde, weshalb er seine Glocken herbeiholen musste. (Und ich musste ständig an den „Schuh des Mannitu“ denken und Christian Tramitz Spruch: „Mei, Sie ham aba schöne Glocken!“ Und sie antwortet: „Das sind die Glocken meiner Großmutter.“ Da bin ich dann dankbar für meine Körperbeherrschung, weil ich eben nicht loswiehern musste.) Nun ist das absolut gar nicht meine Musik, aber ich war dennoch total gerührt, wie der Große sich in seinem Spiel völlig zu verlieren schien. Er hat wohl früher bei Wettkämpfen gespielt, und entsprechend war sein Repertoire riesig. Ganze dreimal habe ich ihn flüchtig lächeln sehen in insgesamt zweieinhalb Stunden. Und das kam nicht von pubertärer Coolness, sondern von einer für mich nicht fassbaren Traurigkeit. Erst im Nachgang haben wir erfahren, dass seine Mutter vor Jahren in einem psychischen Ausnahmezustand war, weil sie bei sich Zuhause nur Härte und Schläge gekannt hatte und plötzlich in Panik verfallen ist, wie sie ihre Kinder denn lieben könnte, wenn sie selbst diese Liebe nie erfahren hatte? Die zwei Jüngeren haben einen recht lockeren, leichten Umgang gezeigt. Im Gegensatz dazu kam mir der Große so vor, als trüge er die Last der gesamten Menschheit auf seinen Schultern. Nur beim Musizieren konnte er diese mal für eine Weile beiseitepacken.
Bis hierhin war es noch recht ok, wenn auch schon etwas eigenartig. Ich habe mir meine Neffen vorgestellt, wie sie dazu aufgefordert worden wären, fremden Leuten ein paar Stücke vorzuspielen. Der Große hätte eventuell noch mitgemacht, der Kleine eindeutig keinen Bock gehabt und dies auch entsprechend gezeigt. Und mein Verständnis hätte er dafür voll und ganz gehabt. Die Zeiten, in denen Kinder wie Zirkuspferdchen vorgeführt werden, sind aus meiner Sicht Gottseidank längst vorbei. Wenn sie es aus eigenem inneren Antrieb heraus machen wollen, bin ich damit völlig fein. Aber so?
Doch dann kam es zur nächsten Überraschung, die die Familie geplant hat. Die Kinder blieben Zuhause, so dass wir nur zu viert – meine Sis, ihre Bekannte, deren Bruder und ich – weitergefahren sind. Und zwar zu einem Wallfahrtsort. Wer mich kennt, hört mich an dieser Stelle schon seeeeehr tief einatmen, um meine Gegenwehr wegzuatmen. Vermutlich habe ich zu lange in diesem religiösen Konglomerat gelebt und zu viel Kraft gebraucht, mich daraus zu befreien. Die Überraschung war, dass wir an diesem Ort eine Kerze für unseren Oppa entzünden könnten, um so den Kreis zu schließen. Es gibt keinen Kreis, den ich schließen musste. Ich wollte mir einfach nur das von ihm sogenannte Paradies anschauen, in dem er gestorben ist. Und als wäre das nicht genug, war der Bischof und Franziskanerpater da, um uns zu segnen. Ich habe befürchtet, mit Weihwasser besprenkelt zu werden, das dann zischend verdampft wäre. Aber es kam Gottseidank nicht zum Einsatz. Und ja, ich weiß diese Geste durchaus zu schätzen, weshalb ich mich auch nicht kirchenfeindlich geäußert habe. Auch nicht, als der Bruder der Bekannten berichtete, dass er samstags immer dort als Lektor fungiere und der Bischof seine Söhne so gerne möge. Nein, ich hab´s mir verkniffen und den Blick gesenkt.
Besagter Bischof machte trotz seines Alters (irgendwas über 80) einen aufgeweckten Eindruck. Der Bruder der Bekannten machte ständig leichte Diener vor ihm, was mich einfach nur befremdet hat. Uns wurde berichtet, dass der Bischof 25 Jahre im Vatikan gelebt hätte und dort Richter im Kirchengericht gewesen sei. Er selbst berichtete dann, wie er für Papst Johannes Paul II. Predigten geschrieben hätte. Vermutlich sollte mich so was ehrfürchtig machen. Allein, da regt sich nichts. Wir bekommen im Inneren des Klosters in der Privatkapelle des Ordens den Segen erteilt. Ich weiß auch hier wieder, dass das was Besonderes sein muss, denke aber: Was macht diesen Menschen so viel besser, dass er mir seinen Segen erteilen kann? Ich bleibe wohl ein Ketzer…aber aus meiner Sicht sollten Menschen sich nicht über andere erheben. Welchen Sinn soll das denn haben? Was macht einen Kirchenmann zu etwas Besserem?
Draußen werden wir noch zu Cappuccino und Apfelstrudel eingeladen, bis der Geistliche uns verlässt. Und dann hat Janez (so der Bruder der Bekannten) seinen großen Auftritt. Er ereifert sich, spricht von den Abgründen der heutigen Menschheit, von all den Verfehlungen, weil man Gott aus dem Auge verloren hätte. Wehe dem, der sich gegen Gott bzw. einen Menschen, der Gott im Herzen trage, auflehne. Der habe sein Leben verwirkt und würde ewige Verdammnis und dergleichen mehr erleiden. Mannomann, das kenne ich noch aus meiner Kindheit. Und es widert mich an. Er blickt mich direkt an und spricht ernsthaft von Exorzismus. Satan könne den Namen der Gottesmutter nicht aussprechen, weil sie so rein sei und so stark. Wir sollten morgens und abends den kompletten Rosenkranz beten und für uns und unsere Liebsten bitten. Das hat meine böse Omma auch immer gemacht. Ein besserer Mensch ist sie dadurch nicht geworden. Und die Suppe ist mittags bei nur einem Gesetz des Rosenkranzes auch kalt geworden.
Wenn dann ein Dämon daherkäme, könne dieser uns nicht mehr ins Herz dringen und bla bla bla. Er merkt wohl an meinem Gesichtsausdruck, wie sehr ich mich bemühe, nicht zu schreien. Das lässt ihn sich nur noch mehr ereifern. Erstaunt von mir selbst, sage ich dann sehr ruhig: „Ich glaube auch – nur eben völlig anders. Da ist nichts Bestrafendes. Ich glaube an das Gute im Menschen.“ Jaja, das tue er auch, aber… Und dann geht der ganze Summs von vorne los. Alkohol, Drogen, Pornographie. Ich stelle mir vor, wie sich langsam Schaum vor seinem Mund bildet und bedauere den ältesten Sohn. Es wird kein leichter Weg für ihn sein, diesem Fanatismus zu entkommen.
Als wir endlich fahren können, bin ich erleichtert. Und auch ein bisschen stolz auf mich, nicht offen rebelliert zu haben. Wenn das für ihn wichtig ist, darf er das gerne so handhaben. Es muss mir ja nicht gefallen. Meine Sis meint dann beim Losfahren: „Ok, zum Schluss hin war er ein bisschen zu religiös, oder?“ Ein bisschen?!?!?! Dann ist Putin auch nur ein bisschen autoritär. Dann ist das Klima auch nur ein bisschen im Eimer. Oh man, ich kann so einen gequirlten Schwachsinn immer schlechter ertragen. Angeblich sollten wir uns am nächsten Tag erleuchtet fühlen…irgendwie befreit. Ich spüre nix, nur Rücken, weil die Betten so mies sind.
Und auch, wenn mich einiges ankekst, was in unserem Land abgeht, bin ich froh, dass die Kirche nicht mehr den Stellenwert hat, den sie noch in solchen Ländern besitzt. In Südamerika hat sie auch noch sehr starken Einfluss. Jeder soll zu seinem Gott beten, wenn er das möchte. Aber niemand sollte anderen so was überstülpen.
In diesem Sinne: Habt eine angenehme Woche und macht, was Euch Freude bereitet!
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