Gestern durfte ich an einem Vortrag teilnehmen. Es ging um Brunnenbau in Afrika. Ein Bekannter meiner Schwester und meines Schwagers begleitet dieses Projekt schon seit Jahren. Die Stiftung heißt „Neven Subotic Stiftung“. Ein Freund meiner Neffen ist im November mit seinem Chef dorthin gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Und darüber hat er dann gestern berichtet. Puh, ich muss sagen: Das ging mir richtig ans Herz. Es ist eine Sache, wenn man Zahlen, Daten, Fakten hört. Es ist eine ganz andere Sache, wenn man die Bilder dazu sieht. Und wenn man dann den jungen Kerl erlebt, wie er davon berichtet, dann muss ich gestehen, wie sich zwischendurch auch mal ein Tränchen aus meinen Augen geflüchtet hat.
Besonders gefallen hat mir, wie es gelingt, auch bei so jungen Menschen ein Bewusstsein zu schaffen. Wenn einer der ihren spricht, kommen sie natürlich auch zahlreich zu so einem Vortrag. Ich hatte den Vortragenden schon am Sonntag gesehen und gefragt, ob er bereits nervös sei? Er meinte nur: „Nervös? Ich??? Im Leben nicht! Ich scheiß´ mich nur gerade total ein!“ 🙂 Er hat seinen Vortrag umgestaltet, darum herumgefeilt und alles angepasst, dass es stimmig wird. Und genau das ist ihm gelungen. Es ist ans Herz gegangen und hat – zumindest mich – sehr beeindruckt.
Es geht um Wasser. Das ist schon der ganze Zauber. Einfach nur Wasser. Etwas, das für uns die größte Selbstverständlichkeit ist. In Äthiopien haben sie begonnen, dann kam Kenia hinzu, und derzeit arbeiten sie in Tansania. Die Menschen – in der Regel Frauen und Kinder – müssen kilometerweit laufen, um Wasser in 20-Liter-Eimern für das Dorf ranzuschleppen. Und das machen sie mehrfach täglich. Es war schon eindrucksvoll zu sehen, wie die Reisegruppe mit gestandenen Kerlen unter dieser Last ächzten, während daneben Frauen genau solche vollen Eimer auf dem Kopf trugen. Und dennoch sind die Menschen voller Lebensfreude und heißen die Fremden mit Tanz und Gesang willkommen.
Oh man, diese Bilder erinnern mich wieder mal an Peru. Da waren die Menschen ebenso bettelarm, aber voller Lebensfreude, wahnsinnig herzlich und freundlich. Wenn Dich hier jemand lachend, singend und tanzend begrüßt, musst Du aufpassen, nicht in eine Psychiatrie eingewiesen zu werden. Ok, manchmal quietsche ich schon auch, wenn ich Leute treffe, aber eben nicht so, wie es die afrikanische Landbevölkerung so selbstverständlich tut. Es berührt mich wirklich zutiefst, dass es Menschen gibt, die sich für so etwas Sinnstiftendes engagieren.
Die Lebensgefährtin von dem ehemaligen Fußballspieler Subotic (Gründer der Stiftung) stand dann auch noch Rede und Antwort. Und auch sie hat mich total beeindruckt. Sie hat die Dinge gut erklärt, alle Fragen ausgiebig beantwortet und war mit Feuereifer dabei. Aber sie war dabei nicht missionierend. Sie meinte (in etwa): „Es gibt in unserer Welt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wo wir helfen können, weil es einfach an so vielen Stellen schlecht läuft. Und eine Besserung scheint gerade nicht in Sicht zu sein. Egal, was Ihr machen wollt: Sucht Euch Euren Brand, den Ihr löschen wollt.“ Genau das mag ich. Ich finde missionierende Menschen, die ihre eigenen Ideen als die besten propagieren, einfach nur nervig. Anregungen, in der Welt auch etwas Sinnstiftendes zu tun, empfinde ich hingegen nicht als nervig, sondern als kleinen Hinweis darauf, sich wieder zu erden. Und das darf dann jede*r für sich selbst entscheiden. Möchte ich das? Brauche ich das?
Und noch etwas anderes beeindruckt mich bei dieser Stiftung: Die Dame erklärt, dass sie vor Ort mit den Menschen zusammenarbeiten, weshalb sie es auch nicht Entwicklungshilfe, sondern Entwicklungszusammenarbeit nennen würden. Zu oft gab es schon das falsche Auftreten der „weißen Menschen“, die nach Afrika gegangen sind, um dort zu erklären, wie es richtig zu laufen hat. Sie arbeiten mit den Menschen aus Afrika zusammen, unterstützen beim und finanzieren den Brunnenbau und/oder sanitäre Einrichtungen. Dabei lehren sie alle die Dorfbevölkerung, wie die Einrichtungen zu warten seien, wie man sie reinigen sollte und überlassen es dann der Dorfgemeinschaft, diese Einrichtungen zu erhalten. Natürlich gibt es auch noch Ingenieure, die sich kümmern, wenn etwas nicht mehr richtig funktioniert. Immerhin reden wir von Brunnen, die bis zu 200 m tief gebohrt sind. Aber die kleineren Reparaturen und Beanstandungen können die Menschen vor Ort selber lösen. Da kommt wieder meine so hoch geschätzte Selbstwirksamkeit zum Tragen. Das hält Menschen in der Verantwortung und gibt ihnen auch ein verdammt gutes Gefühl. Und sie zahlen einen kleinen Obolus für die Nutzung, damit immer auch Geld da ist für kleinere Ersatzteile. Man stärkt also die Menschen vor Ort und ermöglicht damit unter anderem, dass mehr Kinder zur Schule gehen können – gerade auch Mädchen, die sonst den ganzen Tag Wasser schleppen mussten. Eine Dame fragte dann, was die Stiftung denn konkret für die Frauen tun würden? Innerlich rolle ich mit den Augen, aber die Antwort ist dann goldrichtig: „Wir schreiben doch nichts vor. Wir sagen, dass Wasser ein Grundrecht sein soll und unterstützen dabei, dies zu ermöglichen. Dadurch ist nach einem Jahr Brunnenbau und sanitären Einrichtungen in der Regel im Durchschnitt ein Zuwachs von ca. 40 Prozent in den Schulen zu verzeichnen – davon im Großteil Mädchen. Was die Frauen mit ihrer Mehrzeit anfangen, wie sie die Zeit gestalten, in der sie nicht mehr zum Brunnen gehen müssen, das liegt doch nicht in unserer Entscheidung.“ Ein Herr wirft kritisch ein, dass sie indirekt ja schon Einfluss nähmen. Und natürlich entstehen andere Nebeneffekte durch den Brunnenbau. Nur wer sind wir, dass wir angeblich wissen, wie es am besten für die Frauen dort aussehen sollte? Manchmal finde ich es schwer erträglich, den Gedankengängen mancher Menschen zu lauschen. Tut man nichts, ist es falsch. Tut man was, ist es das Falsche. Oder es ist nicht genug. Oder man könnte doch auch noch XYZ. Da denke ich dann wieder: Es gibt diejenigen, die es machen und diejenigen, die darüber diskutieren, es zu machen, aber nie was tun. Wie geht der Spruch noch gleich: „Tun ist wie Wollen, nur krasser.“
Ich gehe nachdenklich schlafen. Natürlich freue ich mich auf meinen neuen Job. Und natürlich ist es für mich auch wichtig, gut zu leben. Trotzdem gibt es so viele Dinge, um die ich mir einen Kopf mache, die unnötig sind. Wenn man dann diese Menschen sieht, wie sie leben und doch zufrieden sind, dann beschämt mich das. Das war nicht das Ziel der Veranstaltung. Trotzdem schwirren meine Gedanken durch den Kopf. Ich bin kein Ingenieur. Aber jede*r hat seinen/ihren Beitrag, den man leisten kann. Ich schwöre mir selbst, dass ich meine zwei- oder dreimonatige Entwicklungsarbeit in Afrika bis spätestens 50 durchführen werde. Die richtige Zeit ist nie, aber es ist immer richtig, sich Zeit für so was zu nehmen. Der Countdown läuft also für die nächsten vier Jahre. Ich werde berichten…
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