Wir befinden uns erst in der dritten Januarwoche. Mir kommt es so vor, als hätten wir bereits die Jahresmitte erreicht. So macht das echt richtig viel Spaß…oder eben auch nicht. Zwischenzeitlich haben sie sogar mein Firmenhandy platt gemacht, dass ich nicht einmal mehr telefonieren konnte. Nun muss man nicht meinen, dass der oder die Verursacher*in sich dann entschuldigt oder gar bei der Wiederherstellung unterstützt. Nein. Anderer Leute Fehler darf ich hübsch selbst ausbaden. Und da schwillt mir dann doch ein wenig der Kamm zwischendurch. Es hat mich Tage und Nerven gekostet.
Dazu kommt dann meine wirklich brummelhohle Kollegin. Es schockiert mich nach wie vor, wie man sie einstellen konnte. Sie erledigt nahezu ausschließlich Orgaaufgaben. Etwas anderes traut man ihr nicht zu. Sie hingegen fühlt sich mächtig wichtig, was schon beim Zusehen Fremdscham pur entstehen lässt. Das ist so ein Effekt, wie bei „Deutschland sucht den Superstar“. Da gehen ja auch Menschen hin, die partout nicht singen können, aber glauben, die Welt habe auf ihre Gesangskünste gewartet. So was lässt mich immer staunen. Meine Kollegin passt da optimal rein.
Sie hat zu einem Netzwerktreffen eingeladen, das zwei Tage dauert. Den Ablauf haben andere Kolleg*innen erstellt. Die Moderation erfolgt durch einen externen Berater. Den Input, was es noch braucht, liefern wiederum andere Kolleg*innen. Fürs Catering, Raumaufbau und dergleichen hat sie einen Studenten, der echt auf Zack ist. Sie macht also quasi gar nichts – außer sich wichtig. Und das Traurige ist: Sie meint wirklich, alles geregelt zu haben und voll im Stress zu sein. Gut, ich muss schon sagen, sie hat ganze fünf Flipcharts gepinselt. Die brauche ich allein für einen einstündigen Workshop, aber gut. Und dann wimmeln diese Flipcharts vor Fehlern. Ich unterdrücke das hochkrabbelnde Fremdschamgefühl wieder. Ansprachen mit „Herrschaften!!!“ liebe ich dann mal so richtig. Dabei betont sie ja immer und immer wieder, Kommunikation sei ihre Stärke. Das wäre so, als würde ich behaupten, Geduld sei meine Stärke.
Mein ehemaliger Chef und Wortakrobat rettet zumindest den ersten Tag für mich. Er darf eine Gruppenübung moderieren und stellt anschließend die Ergebnisse im Plenum vor. Und dafür könnte ich ihm die Füße küssen. Andernfalls hätte ich nie Wörter gelernt, wie „Innovativizität“. Ich mag auch das „Porzfolio“, wobei ich es dann, glaube ich, „Potzblitzfolio“ genannt hätte, aber hey, jeder kreiert so seine ganz eigenen Neologismen. Eine Aussage von uns war, dass hin und wieder ein qualifiziertes „Nein“ durchaus was für sich hätte. Er macht daraus ein „qualifizierendes Nein“. Ich frage mich, was oder wen das Nein qualifizieren soll? Aber er ist so süß dabei mit seinem bayrischen Dialekt, dass es eine wahre Wonne ist. Ich habe mich später auch für seine Wortakrobatik bedankt. Da hat er nur lachen können und gemeint: „I woaß scho. Oba mia fällt´s net auf.“ Ach was! Er ist echt schnuffig. „Woaßt, heit´ würd´ i mia a Schein holn mit Legasthenie.“ Was soll man da für einen Schein bekommen? Das weiß er auch nicht so genau. Aber er hat eine Lese-Rechtschreibschwäche. Daher kommen manchmal auch die abstrusesten Sätze heraus. Das ist kein Auslachen, sondern ein mit-ihm-Lachen, was richtig Spaß macht und dem ganzen Sums Humor mitgibt. Andernfalls würde ich auch Amok laufen müssen.
Der krönende Abschluss ist aber etwas völlig anderes. Unsere Chef-Chefin, die es nur an einem Tag schafft, dabei zu sein, schaut die restliche Zeit fast ausschließlich auf ihr Handy. Auch hübsch, dass sie bei ihrer Führungsrunde erzählt, wohin ich wechseln werde und was meine künftige Tätigkeit sei, ohne je mit mir auch nur das kleinste Wörtchen darüber geredet zu haben. Sie erteilt mir dann im Lauf des Tages so etwas, wie eine Absolution. Wohin ich denn gehen würde, also wenn sie das fragen dürfe? Und ich denke nur: Du dumme Mistmatz weißt es doch längst. Und was die machen? Aha, aha…und dann: „Ich bin Dir auch nicht böse. Ganz im Gegenteil!“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch: „Im Gegenteil? Du freust Dich also?“ Zack, wird sie hektisch: „Nein…äääh…nein, das meine ich nicht. Ich…ääääh…freue mich nur für Dich, dass Du was gefunden hast, was Dir gefällt.“ Ich weiß, ich bin böse. Aber für ganz schlechte Führungsleistung bekommt sie kein Ei-Ei. Und dann strahlt sie auch schon wieder: „Ich bin ja mal gespannt, was Du dann später erzählst, wie es da ist. Vielleicht können wir das ein oder andere ja auch für uns übernehmen?“ Hossa! Sie glaubt ernsthaft, wir bleiben in Kontakt? Ohne mal nachzufragen? Und wenn ich ihr auch nur den kleinsten Tipp geben sollte, dann nur mit Beraterhonorar. Und überhaupt: So vieles, was ich einbringen wollte, wurde nicht berücksichtigt, weil wir ja ach so wichtigen anderen Mist erledigen müssen. Die Frau ist echt der Kracher – und so stumpf, wie kaum jemand anderes. Sie mag mich. Zu anderen ist sie richtig Scheiße. Aber sie merkt nicht einmal, wie vielen Leuten sie vors Schienbein tritt.
So dann auch das Highlight am Ende: Als Dankeschön überreicht sie meiner brummelhohlen Kollegin und dem fleißigen Studenten eine Tasse mit unserem Abteilungs-Logo drauf. Meine Freundin neben mir schaut mich an, während ich rüberflüstere: „Ich kann Dich nicht anschauen, sonst fange ich laut an zu lachen!“ Es ist ein verkacktes Werbegeschenk, das der Student es nachher vor mir passend kommentiert: „Weißt Du, da hätte sie besser einfach nur `danke´ gesagt und dann den Mund gehalten.“ Oooooh, ich verstehe genau, was er meint.
Dafür bekomme ich gestern dann noch Feedback von eben diesem Studenten, was mein Herz erwärmt. Er musste so viel dummen Kram für Kolleg*innen erledigen. Für mich hat er gar nichts machen müssen. Da wir aber einen Lehrauftrag haben, habe ich ihm letztes Jahr und dieses Jahr angeboten, zu Schulungen von mir dazuzukommen. Er hat beide Male begeistert zugesagt, sich richtig gut eingebracht und mitgemacht. Zudem sitzt er immer in all unseren Meetings – auch in denen von der Akademie. Letztens meinte er: „Du gehst auch gern dahin, wo es weh tut. Aber irgendwie ändert sich da trotzdem nichts, weil die anderen es nicht sehen wollen.“ Gestern hat er sich dann bedankt für die Einladung zu meinen Schulungen. Was er gelernt habe, wie ich sein Interesse geweckt hätte – er hätte sich nur einen einzigen Prof gewünscht, der das mit so einer Begeisterung gemacht hätte. Und dann kommt´s: „Durch Dich habe ich jetzt erstmalig die Idee gehabt: Das könnte ich mir vorstellen, später zu machen. Wenn man auch so Wissen vermitteln kann, dann kann ich mir das richtig gut für mich vorstellen. Danke für die Inspiration!“ Atmen…atmen und Tränchen weghecheln. Das erwischt mich echt eiskalt. Ich mag den Kerl eh und finde seine wertschätzende Art, seine Neugier und sein vorausschauendes Mitdenken einfach toll. Aber vor allem kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er Menschen schult, begeistert und mit ihnen Sachen entwickelt. Entsprechend versorge ich ihn mit allerhand Material aus meinem Trainer- und Coach-Fundus, was er begeistert annimmt. Und so ist es ja: Wenn Du nur einen Menschen wirklich erreichst, dann ist das schon eine Menge. Ich bin einfach selig.
Da kann mich auch diese Hetzjagd hier, noch möglichst alles von mir abzapfen zu können, gerade nicht mehr so ärgern. Zwischendurch ist es nämlich schon so, dass ich mir wie eine Kuh vorkomme, aus der man noch den letzten Tropfen abzapft. Da darf ich dann auch noch lernen, meine Grenzen zu wahren. Das gelingt mir maximal mäßig. Aber was ich schon auskoste, ist das Rauskrähen: „Ich habe übrigens gekündigt!“ Ach, das ist so befreiend! Meine Freundin und Kollegin hat eventuell einen anderen Job innerhalb der Firma in Aussicht, wofür ich ihr die Daumen drücke. Und einige Kolleginnen teilen den Frust, in dieser Abteilung unglücklich zu sein und sich permanent die Frage zu stellen: „Was arbeiten wir hier eigentlich? Wo ist der Sinn des Ganzen?“ Da kann ich nur tief durchatmen und sagen: Alles richtig gemacht. Es wird nicht alles golden sein in der nächsten Firma. Und doch wird es nicht so ein Kollektivfrust sein mit durchweg wegschauenden Verantwortlichen. Das ist doch mal ein Anfang.
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