Meine Mom hätte ihre wahre Freude. Heute legen wir in Madeira an. Ich höre die spanische Sprache viel lieber als portugiesisch, aber Madeira versöhnt mich doch mit den Kanaren, auch wenn sie selbst keine kanarische Insel ist… oder versöhnt mich mit dem Urlaub auf der AIDA… oder einfach alles in einem. 

Nachdem der gestrige Tag ausschließlich auf See stattgefunden hat (heißt im Klartext: die meiste Zeit in meiner Leseecke), ist es heute vollkommen anders. Morgens um sieben Uhr ist noch alles dunkel, aber die Lichter der Stadt funkeln wunderschön. Ich entschließe mich, früh zu frühstücken, um nicht direkt vollstes Gewusel zum Tagesbeginn zu haben. Das schlägt nämlich weniger auf den Magen, als vielmehr aufs Gemüt. Und dann flaniere ich auch schon zeitig los. Im Shuttlebus platziert eine Omma kurzerhand ihren Ömmes neben mich. Er zögert noch, aber ich versichere ihm, nur zu beißen, wenn er explizit darum bitte. Das beruhigt ihn wohl, denn er setzt sich. Und dann macht er die Sabbel auf, wobei mein Herz aufgeht. Das ist so ne richtige Berliner Schnauze, die ich da vernehme, was mich natürlich an „meinen“ Mike (gestrippt hat er noch nicht für mich, also nicht Magic Mike) erinnert. Er will auch nachher gar nicht aufstehen und wieder zu seiner Holden zurück. Gut, ich bin auch bestimmt 20-30 Jahre jünger. Daran könnte es liegen. Was auch erklärt, dass ihr das nahezu egal zu sein scheint. 

Da es kurz nach neun Uhr ist, als ich die Seilbahn erreiche, ist alles herrlich entspannt. Ich habe fünf Leute vor mir und kann quasi direkt in die Gondel einsteigen. Mit mir in der Kabine sind ein englisches und ein Schweizer Pärchen. Die Engländerin fragt noch: „I hope you don’t mind if I scream?!“ Och, ich kann ja mitschreien, wenn das nötig sein sollte. Währenddessen philosophieren die Schweizer, wer wohl auf dieser riesenfetten AIDA da unten so mitfahre? Ich oute mich, woraufhin sie mich löchern. Die beiden sind zum Wandern hier. Hier ist alles mit Anstieg, weshalb das dann ein Fluchurlaub für mich wäre, aber gut, dass wir alle so verschieden sind. 

Und dann geh ich einfach mal so in den botanischen Garten, was im Grunde gar nicht mein Plan war. Aber einmal dort, ist es einfach wunderschön. Und da denk ich dann schon an meine Mom. Die wäre hier bestimmt auch mal gern hingekommen, wenn sie denn noch gesund wäre. Ich denke in der Tat oft an sie und wie schön es hätte sein können, wenn sie keinen Schlaganfall gehabt hätte. Immer, wenn ich bunte Blüten sehe, denke ich an sie. Schon komisch, oder? Ob das mit zunehmendem Alter normaler wird? Ich weiß, als wir damals in Ungarn waren und meine Mom einen Geigenspieler gehört hat, dass sie an ihren verstorbenen Vater denken und entsprechend weinen musste. Heute kann ich das verstehen… als Kind natürlich nicht. Ich war zwölf und überfordert, meine Mom so schluchzen zu sehen. Bei uns ging es nie sehr emotional her, weshalb das wohl umso krasser zu erleben war. Ich liebe Geigenmusik und muss dann heute sofort an meine Mom und Ungarn und all das denken – und hab dabei meist Pfützchen in den Augen. Ja ja, ich und mein abartiges Elefantengedächtnis. Kurzerhand sehe ich die ganze Blumenpracht und nehme meine Mom einfach geistig mit. Da wird’s mir schon ein wenig schwer ums Herz. Mit Rollstuhl wäre das einfach nicht so zu bewerkstelligen. Was hat die kleine Mutti Zuhause immer ihre Blumen gehegt und gepflegt. Von hier hätte sie bestimmt auch Blumensamen eingepackt und sich Zuhause daran ausprobiert. Den grünen Daumen hat sie mir allerdings nicht vererbt. Sie war happy, wenn sie ihre „Schuffel“ (kann ich nicht übersetzen) zur Hand nehmen und im Garten wühlen konnte. Ich hingegen hab ihre rauen, kratzigen Hände im Sommer gehasst. Jede Strumpfhose hatte es schwer, da halbwegs zu überleben. Ich habe mal vor ihr gestanden und gesagt, dass ich niemals so leben wollen würde. Habe ich auch nicht. Rückblickend weiß ich nicht, ob es wirklich ihr Wunsch war, so zu leben… immer zu arbeiten, immer anderen zu dienen. In mancherlei Hinsicht hab ich natürlich schon einiges übernommen. Aber ich schufte nicht daheim für einen Despoten, dem niemand was recht machen kann. Ich habe nicht ängstlich zurückgezogen, sondern bin beruflich meinen Weg gegangen, was meine Mom auch gekonnt hätte, sich aber nie zugetraut hat. Sie hatte einfach gar kein Selbstwertgefühl. Schade… Ich glaube, sie hätte so vieles erreichen können, wenn sie sich nur getraut hätte. 

Um all diesen sentimentalen Gedanken entgegenzuwirken, trinke ich tatsächlich um halb elf ein kleines Gläschen süßen Madeira. Mmmmmh. Das könnte ich häufiger machen. Ich lasse mir Zeit, bevor ich – allein in einer Kabine hockend – talabwärts fahre. Es ist gegen Mittag und die Schlange vor der Seilbahn zieht ums Gebäude. Das nenne ich mal Glück, denn da hätte ich mich nie angestellt. Obwohl ich im Vorfeld gelesen habe, dass die Bahn durchaus 800 Leute in einer Stunde transportiert. Nur bin ich sehr ungern Schlangensteher. 

Was mir auffällt: Alles ist sehr sauber. Und doch sitzen an vielen Ecken Bettler mit zum Teil grausam entstellten bzw. verkrümmten Beinen. Das ist schon ungewöhnlich… und für die Betroffenen tragisch. Aber es sind so viele, dass ich mich schon wundere und frage,  woher das kommen mag? Eine Antwort finde ich leider nicht. 

Ums Eck sehe ich dann meinen neuen Lieblingsbaum: Jacaramba ist sein Name, was ein alter Portugiese für mich in Erfahrung bringt. Ich mag die bläuliche Farbe, weil sie so herrlich in der Sonne leuchtet. Ein bisschen wie Blauregen, was mich an den Film „Hinter dem Horizont“ erinnert. Wer ihn noch nicht kennt: Unbedingt gucken… und Taschentücher bereithalten. Oh man, hier werde ich noch richtig emotional. Ich ströp‘ ein wenig durch die Gassen, bis ich mir was zu essen suche. Und naja, was soll ich sagen? Es ist Urlaub. Ich muss jetzt endlich mal dieses Poncha probieren. Es ist ein Nationalgetränk, was richtig lecker und fruchtig ist… nur nicht ganz so clever in der Mittagssonne. Das Karussell geht allerdings nicht allzu lang, daher kann ich es echt nur empfehlen. Und weil ich es so empfehlen kann, trinke ich später noch einen. Allerdings nennt mich der Kellner auch „my darling“ und fragt charmant, welchen Wunsch ich denn hätte? Ich kontere: „Call me darling again.“ Tut er auch. Geht doch!

Mein Tag neigt sich dem Ende zu. Morgen gibt es noch einen Seetag, bevor die Reise auch schon vorüber ist. Mittwoch laufen wir in Fuerteventura ein, wo ich dann mittags gen Bayern düse – so denn nicht wieder alles streikt. Ich bin froh, dass Madeira noch so schön war. Und ich bin froh, wenn ich wieder in meinem Betti schlafen kann. Die nächste Woche verbringe ich ja auch schon wieder außer Haus und bin gespannt, wie gut ich mich wieder mit mehr Reisetätigkeit einleben werde. Alles in allem wird’s schon schiefgehen, gell? In diesem Sinne schicke ich Euch Sonnenstrahlen vom Atlantik aus und hoffe, es geht Euch auch gut?!

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