Es ist viel. Allerdings habe ich auch noch nirgendwo vorher ein mehrtägiges Onboarding-Programm durchlaufen. Da sind sie schon sehr solide aufgestellt in der neuen Firma. Gestern Morgen gab es bereits die erste Überraschung: Wir hatten einen nicht Deutschsprachigen dabei, weshalb alles ins Englische übersetzt werden musste. Und da sein Chef krank war, war er auch bei den fachlichen Themen am Nachmittag bei mir. Puh. Am Abend habe ich dann nur noch englisch und deutsch gemischt, was mir einen Knoten in der Zunge beschert hat. Da sollte man doch meinen, anschließend ausgepowert schlafen zu können – was ich natürlich nicht konnte. Das Zimmer ist zu warm, und die nächtlichen Raucher leider immer im Rudel und entsprechend laut unter meinem Fenster, was ein frustriertes Schließen meinerseits gegen ein Uhr nachts nach sich zog.

Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich Worte wirken. Das hat schon viel mit jedem selbst zu tun… mit der Erziehung, Sozialisierung und auch späteren Erfahrungen. Mein nicht deutschsprachiger Kollege bringt beispielsweise noch eine völlig andere Kultur ins Spiel. Er ist Inder und – natürlich (seine Worte) – verheiratet sowie Vater zweier Kinder. Es irritiert ihn, weshalb er heute fragt – wenn auch mit dem Hinweis, dass es möglicherweise zu privat sei: „Warum hast Du keine Kinder?“ Jepp, da könnte Frau sich getroffen fühlen, wenn es denn beispielsweise jahrelang einfach nicht klappen wollte. Mich trifft es hingegen nicht. Ich zucke mit den Schultern und antworte wahrheitsgemäß, der Richtige sei bislang nicht dabei gewesen. Nun sei der Drops, was Kinder betrifft, gelutscht. Mmmh… das stellt ihn noch nicht zufrieden. In Indien müsste man sich selbst als Mann ab spätestens 30 Jahren von der Familie die Frage permanent stellen lassen, ob man denn nicht bald mal heiraten wollen würde? Und das fragt er mich dann auch. Da muss ich schon lachen und frage zurück: „Wen denn?“ Wenn ich einen Freund hätte, wäre die Frage ja realistischer, aber so? Naja, aber ob ich es kategorisch ausschließen würde? Nein. Das tu ich nicht. Doch damit rechnen eben auch nicht. Es ist ok, nicht zu heiraten. Zumindest bin ich fein damit. Er kann es dann irgendwie so hinnehmen, aber verstehen wohl eher nicht.

Demgegenüber ist er viel überzeugter von sich als ich von mir. Mein Chef erklärt mir gestern, welche Aufgaben ich von wem übernehmen werde. Speziell eine Lady wird mir einiges übergeben, was spannend würde, denn: „Wenn ich zwei völlig gegensätzliche Frauen beschreiben müsste, wärt genau Ihr das.“ Aaaah ja. Will heißen? Na, ich würde schon sehen. So was kann ich ja leiden, was ihn amüsiert. Und er macht es nicht besser, als er sie unter anderem als sehr präsent beschreibt, weil dadurch bei mir ankommt, ich sei das nicht. Mein indischer Kollege hört ganz andere Dinge heraus, nämlich dass die Kollegin wohl alles umsetzen würde nach Lehrbuch, bei mir aber mehr Kreativität und Innovation dabei seien. Davon habe ich nicht wirklich was mitbekommen, was er so kommentiert: „Du bist einfach selbstkritisch und zweifelst an Dir.“ Wow, das sitzt – weil er das bereits am ersten Tag erkennt. Heute lerne ich die Dame via Teams kennen, wo sie mir nach kurzer Zeit offenbart, sie habe ja schon von mir gehört und sei sehr gespannt, von mir zu lernen. Hääää? Ich würde ja mehr Fokus auf die Menschen legen, was sie dringend bräuchten, aber bislang einfach nicht so konnten. Und da würde ich ja sooooo viel mitbringen. Tue ich das? Und meint sie das so? Die Methoden seien bisher erstmal wichtig gewesen, doch jetzt käme es auf die Menschen an. Einerseits beruhigt mich das und steigert meine Vorfreude darauf, mich wirklich austoben zu dürfen. Andererseits bleibe ich doch etwas misstrauisch, weil ich dem Braten noch nicht recht traue. Die gestrigen Gedankenschleifen hätte es jedoch nicht gebraucht.

Wiederum spannend war gestern auch eine Feststellung meinerseits, dass ich mich nie auf die Stelle beworben hätte, wenn ich sie so irgendwo gelesen hätte. Spannend insofern, als mein Chef dazu genickt und kommentiert hat: „War klar.“ Sie müssten aktiv auf Frauen zugehen und sie ansprechen, während männliche Bewerber kämen und behaupten würden: „Kann ich alles. Wir können noch einige weitere Punkte ergänzen!“ Es verhält sich ähnlich, wie mit meinem indischen Kollegen und mir. Zwischendurch schaue ich ihn an und staune, was er alles sagt, was er könne… und ertappe mich bei dem Gedanken, was ich glaube, noch alles lernen zu müssen/ dürfen.

Heute haben wir dann unter anderem einen Entwickler kennengelernt, der uns die Arbeitsweise erklären wollte, nach der sie dort arbeiten. Als er realisiert hat, dass ich Scrum bereits kenne bzw. damit gearbeitet habe, war er direkt begeistert, weil das wohl hier noch in den Kinderschuhen stecke. Und schwups habe ich auch schon eine Kaffeeeinladung für nächste Woche zum Austausch erhalten. Darin wiederum bin ich ganz gut, nämlich im Netzwerken. Man muss nur die richtigen Leute kennen und sie zusammenbringen – dann kann man so vieles superschnell lösen.

Neu für mich ist, wieviel Freiheit ich so habe, was nicht ausschließlich gut für mich ist. Ich bin sehr freiheitsliebend, keine Frage. Aber ich gehöre noch zu der Generation, die meint, dann immer mehr tun zu müssen, damit man dieses Vertrauen auch wirklich verdiene. Ich darf immer nach Liechtenstein fahren, wenn mir danach ist. Es gibt bislang kein Limit. Was ich wie angehe, wieviel Zeit ich wofür benötige… liegt bei mir. Klingt echt verführerisch, birgt aber bei mir echt Gefahren. Es ist gut, die frühzeitig zu erkennen, doch sind sie dadurch nicht gebannt. Und daher sage ich meinem Chef auch klar, dass das ein Hinkefuß von mir sei. Ich habe reine Vertrauensarbeitszeit und muss daher weder stempeln, noch was aufschreiben. Wenn es für mich wichtig sei, die Stunden aufzuschreiben, könne ich das machen und nach Bedarf auch gern mit ihm diskutieren. Er benötige das seinerseits nicht. Das klingt sehr gut… aber ich sehe dennoch meine eigene Anspruchsfalle, in die ich tappen kann. Es bleibt also spannend. Doch heute war schon weniger Anspannung dabei als gestern. Wir sind eben einfach alle Gewohnheitstiere, gell?

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