„Alles neu macht der Mai“ heißt es doch, oder? In meinem Fall bin ich ein Frühzünder, denn bei mir hat´s schon im April begonnen. Ist schon eigenartig, wie groß kurz vorher die Sorge ist, doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Die Angst, völlig zu versagen, nagt da schon an mir. Ich frage mich, woher dieser Absolutismus immer kommt? Ich versage komplett. Ich kann gar nichts. So ein Schwachfug! Es gibt Dinge, die ich (noch) nicht kann…Dinge, die ich nie können und beherrschen werde…Dinge, die ich gar nicht erlernen möchte. Das ist vollkommen in Ordnung so. Ich liebe ja den Spruch:
„Kurz vor der Dämmerung ist die Nacht am dunkelsten.“
Der sagt alles so hübsch auf den Punkt gebracht. Immer ganz kurz, bevor sich was verändert, schießen alle worst-case-Szenarien im Kopf los. Dabei wird es nie so heiß gegessen wie gekocht. Oder der andere wunderschöne Spruch:
„Es ist das Ende der Welt“, sagte die Raupe.
„Es ist erst der Anfang“, sagte der Schmetterling.
Und so war der zweite Arbeitstag schon nicht mehr so aufregend wie der erste. Und mit jedem weiteren nimmt die Aufregung immer mehr ab. Sicherlich prasseln viele Dinge auf mich ein. Vor allem der ganze organisatorische Rotz nervt mich massiv. Dazu kommt dann ganz viel neues Inhaltliches. Manchmal sehe ich mir fast schon von außen dabei zu, wie mir die Augen zufallen – mitten am Tag. Meist am frühen Nachmittag. Klaro schlafe ich nicht so ruhig wie Zuhause, aber auch da habe ich die Gewissheit, dass sich das wieder einpendeln wird, weil ich das früher ja auch geschafft habe. Vor allem bemerke ich beim Kampf mit den sich schließen wollenden Augenlidern, wie mein Hirn ruft: „Hallooooo?! Ist genug für heute! Was willste mir denn da noch reinprügeln?“ Spätestens dann hebe ich aber auch die Hand und sage: „Ich bemerke, gerade passt nichts mehr rein.“ Das ist dann auch immer vollkommen in Ordnung. Für meine Kollegen ist es ja ihr tägliches Arbeiten, was sie nicht neu lernen müssen. Daher preschen sie vor ohne Ende. Wer nichts sagt, wird einfach weiter druckbetankt.
Was mir in der zweiten Wochen auffällt, ist vielfältig:
Ich spüre deutlich, dass es nicht mein Fleckchen Erde ist. Die Umgebung ist ein Traum für alle Bergfans, keine Frage. Es ist schon schön, diese majestätischen Berge um sich herum zu erblicken. Sogar Schnee kann ich noch liegen sehen. Allerdings bin ich ja ein Wassermensch. Wenn schon nicht Meer, dann bitte doch zumindest ein großer See. Die Leute, die hier wohnen, lieben Wandern, Mountainbiken, Skifahren und dergleichen. Alles Dinge, mit denen ich so gar nichts anfangen kann. Daher ist es eigentlich die größte Verschwendung, mich hierherzupflanzen.
Andererseits bemerke ich ebenso, wie sich die Strecke gen Liechtenstein immer zieht. Zunächst fahre ich ca. 20 Minuten, um meinen Leihwagen abzuholen. Soweit, so ok. Dann steige ich in ein durchaus netteres, schnelleres Auto. Laut Navi würde ich nun zwei Stunden und vierzig Minuten benötigen, was aber bislang nie der Fall war. Es gibt immer mal Staus, stockenden Verkehr oder – wie letzte Woche – einen Unfall in einem Baustellenabschnitt. Das treibt die Standzeit in die Höhe und strengt an. Die nächsten Monate werden zeigen, wie ich das löse. Montag fahre ich einfach mal erst nachmittags los und schaue, wie der Verkehr dann verlaufen wird. Spätestens in Feldkirch (Österreich) erreiche ich ein Nadelöhr, was nicht so lustig ist.
In meinem Kopf spukt es nur so herum – entgegen aller gut gemeinten Ratschläge, wie: „Lass´ Dir Zeit, schau´ es Dir in Ruhe an. Du musst ja nichts jetzt entscheiden.“ Das war ja noch nie meine Stärke. Alles muss immer sofort, jetzt und pronto entschieden sein. Mir geistert durch den Kopf: Ziehe ich an den Bodensee, der nun wirklich traumhaft schön ist, aber am Arsch de Brie liegt? Da ist einfach nichts los. Oder ziehe ich nach München rein, nehme die lange Fahrtstrecke inkauf und habe dafür ein riesiges Angebot an Freizeitmöglichkeiten? Oder pokere ich und schaue, ob ich im Ausland was finde?
Denn das ist ein netter, wenn auch sehr anstrengender Nebeneffekt: Englisch. Es war eigentlich vereinbart, erst später im internationalen Bereich zu starten und zunächst rein auf Deutsch anzufangen. Mein Chef eröffnet mir dann aber in seinem süßen Schwitzerdütsch: „Mach´ Dir gar nicht erst die Mühe, die Konzepte und Präsentationen auf Deutsch anzufertigen. Mach´ sie gleich auf Englisch.“ Ääääääh…but my english is not the yellow from the egg, wa? Einfaches Urlaubsenglisch ist ja mitnichten vergleichbar mit Business English. Sie seien darin aber alle nicht so dolle, weil alle keine native Speaker seien. Ich solle mir keinen Kopf machen und einfach tun.
So bin ich gezwungen, mich schnell komplett auf Englisch einzulassen, was für mich das Beste ist. Ins kalte Wasser zu springen, hat mir in der Regel immer am schnellsten dazu verholfen, einfach zu schwimmen, was dann auch irgendwie immer besser gelingt. So gerüstet ist es dann auch leichter, wenn ich wirklich mal in Kanada oder den USA tätig sein möchte. Das finde ich dann schon wieder sehr spannend. Ihr seht schon: Alles ist möglich, meine Gedanken feuern kreuz und quer, und ich hock´ bisweilen überfordert mittendrin.
Apropos überfordert: Diese Woche arbeite ich dann auch erstmalig live mit einer Kollegin zusammen, die laut meinem Chef das komplette Gegenteil von mir sein soll. Das Blöde: Ich übernehme ihr Hauptprojekt, das sie eigentlich nicht hergeben möchte. Sie sagt zwar, sie sei soooo froh, dass ich das nun völlig anders angehen würde und sie einiges lernen könne, aber dauernd spricht sie von ihrem „Baby“. Das macht es nicht gerade einfach. Dabei legt sie eine sehr fordernde, herrische Art an den Tag, was es nicht gerade einfach macht. Mit einer Führungskraft spielt sie regelrecht Pingpong in einem Meeting. Er sagt: „Wir machen das auf keinen Fall. Den Rest, darauf lasse ich mich ein. Das aber nicht.“ Sie: „Dann packen wir den Punkt mal auf Seite und diskutieren ihn später.“ – Er wieder: „Nein. Dazu ist alles gesagt.“ Sie: „Ok. Dann lassen wir das für jetzt so stehen. Wir reden ein anderes Mal noch mal darüber.“ Er seufzt: „Andrea, NEIN! Wir reden da nicht mehr drüber. Das ist erledigt.“ Sie: „Ok. Machen wir mal weiter, damit wir die Zeit gut nutzen. Aber wir reden über den Punkt noch mal.“ Ungelogen: Es geht bestimmt noch fünf Schleifen hin und her in dieser Manier. Später fragt sie mich dann allen Ernstes: „Meinst Du, er hat verstanden, dass ich noch mal mit ihm über den Punkt reden möchte?“ Herrlich. Wer das nicht mitbekommen hätte, bei dem hätte ein Vorschlaghammer auch keine Wirkung erzielt.
Mittwoch möchte sie gern mit mir abends noch was essen und reden, wo sie mir dann auf den Zahn fühlt. Das macht mir nichts aus, empfinde ich aber dennoch als anstrengend und unnötig. Ich registriere, was mein Chef meint, wenn er von Gegensätzen spricht. Sie will Dinge umsetzen auf Teufel komm raus. Sie ist genervt, wenn die Leute Widerstände zeigen und nicht sofort begeistert alles ändern, was sie ihnen sagt. Dabei fragt sie mich dann auch, ob mir so was nicht auch auf die Nerven gehe und ich nicht denken würde, die hätten ja wohl echt keine Probleme, wenn sie sich bei solchen Kleinigkeiten schon querstellen würden. Puh. Sie ist niemand, der auch mal einen Perspektivwechsel vornimmt, was ich schräg finde, wenn man in Veränderungsprozessen arbeitet. Sie mag Konkurrenz, Sport, bei dem man an seine Grenzen gehen muss und das Adrenalin durch einen hindurchrauscht. Wir werden keine Freundinnen, doch das muss ja auch nicht so sein. Mich triggert es allerdings, wenn sie – wie mittlerweile schon auch eine andere gemeint hat – mich vor anderen vorstellt mit den Worten: „Das ist Claudia. Sie ist die Soziale.“ Ääääääääh? Sie kennt mich kaum, was ich dann etwas irritierend finde. Und so sage ich dann auch prompt: „Damit wir eins mal klarstellen: Ich bin nicht die Sozialmutti, die für die Harmonie zuständig ist und ´ei, ei´ macht.“ Ooooh, nein, natürlich nicht. So war das nicht gemeint! Klar doch. Sozial wird belächelt und als exotisch verstanden. Und da kommen dann doch Gedanken in mir auf, wie: „Was will ich hier eigentlich?“
Am nächsten Tag, kurz bevor ich fahren möchte, nimmt mich dann mein Chef zur Seite und fragt, wie es mir gehe und welche Vorstellungen ich gewonnen hätte? Ich erkläre ihm meine Sicht: „Ihr habt da ein tolles Software-Tool, das aber nicht fliegen kann, weil zu viele Egos miteinander kämpfen. Technisch sind die Leute durchaus gut geschult, nur scheitern sie, weil es untereinander zu viele Befindlichkeiten gibt.“ Da strahlt er: „Perfekt zusammengefasst. Und genau da brauchen wir Dich! Wir können noch zehn Leute von meinem Kaliber einstellen, dann wird es immer eine klare Lösung geben…und wir werden immer an den gleichen Stellen scheitern.“ Hm, klingt logisch…und dennoch: „Weißt Du, ich bin jetzt schon mehrfach als ´die Soziale´ vorgestellt worden.“ Das quittiert er mit einem Grinsen: „Das gefällt mir gut!“ Mir aber nicht. Und das erkläre ich ihm auch. Ich bin nicht die Sozialarbeiterin und möchte auch nicht, dass ich wie eine Matetee trinkende Pädagogin rüberkomme. Nichts gegen diese Leute in den entsprechenden Branchen! Aber in einem Wirtschaftsunternehmen wirst Du da nur belächelt und abgestempelt. Und ich werde mir garantiert nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Das gefällt ihm dann sogar noch besser. Und vor allem erwähnt er: „Jetzt verstehe ich auch Deine irritierte Reaktion von letzter Woche besser! Ich will, dass wir so unterschiedlich wie irgendmöglich sind, damit wir eben alle Seiten beleuchten.“ Dennoch frage ich ihn, was er den anderen von mir erzählt habe…welches Bild er von mir gezeichnet habe? Seine Antwort: „Ich habe gesagt, Du bist kein ´saving hunter´. Was Du genau bist, kann ich auch nicht klar beantworten. Dein Ansatz ist coachingorientiert – meiner ist stures Umsetzen. Das wird doch spannend.“ Was zur Hölle ist ein „saving hunter“, frage ich mich – und ihn. „Naja, ich habe ein Ergebnis mit einer Einsparung von soundsoviel Schweizer Franken oder Mann-Tagen im Kopf. Und dieses Ergebnis jage ich bis zum Ende. Du nicht.“ Stimmt. Und da wird mir sogar warm ums Herz, weil ich das für mich als Kompliment verbuche.
Im weitesten Sinne bin ich, glaube ich, schon eine Sammlerin. Jagen tu´ ich wahrscheinlich auch bzw. kämpfe ich gerne darum, Menschen Gehör zu verschaffen. Aber im Grunde sammel´ ich gerne die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen, bringe das richtige Netzwerk zusammen und erschaffe gerne gemeinsam etwas Neues. Die Erkenntnis befriedet mich, auch wenn ich schon klar sehe, wie anstrengend die nächste Zeit werden wird – gerade auch mit meinem Chef, was ich ihm auch so sage. Er grinst noch breiter: „Oooooh ja, das wird anstrengend. Ist das nicht grandios?“ Und genauso meint er das auch. Er mag diese Herausforderung, so wie ich auch. Er ist vollkommen anders als die Chefs, die ich bislang hatte. Das freut mich total, weil ich weiß, dass ich unwahrscheinlich wachsen werde. Nur ist Wachstum auch häufig mit Schmerz verbunden, weshalb ich nicht so naiv bin, zu glauben, es würde ein Spaziergang auf mich warten. Pervers, aber genau das feiere ich gerade. Ich bin einerseits müde, andererseits wird in meinem Köpfchen ein Feuerwerk gezündet und die Leidenschaft in mir führt ein paar Tänzchen auf. Die Geister, die ich rief….gell? Schauen wir mal, wie viel weiterhin in mir tanzen, kämpfen und feuern wird. Ich werde berichten.
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