Nun habe ich bereits drei Arbeitswochen hinter mir im neuen Job. Es gleicht einer Achterbahnfahrt. Das Phänomen, das ich ja immer wieder bestaune: Es fühlt sich jetzt schon so gewohnt an und irgendwie, als wäre ich schon viel länger dort. Keine Ahnung, wie so was zustandekommt. Ich treffe zufällig eine Beginnerin aus der ersten Woche, die ich sehr sympathisch finde und frage sie, ob es ihr wohl auch so gehe? Sie nickt: „Voll krass, oder?“ Das ist es. Dabei bemerke ich, wie sich die Welt für mich weitergedreht hat. Bei meinem vorherigen Job war ich total euphorisch und dachte: „Hier könnte ich alt werden“, was sich dann nach zwei Jahren bereits verändert hatte vom Gefühl. Bei der jetzigen Firma komme ich mir abgeklärter vor…auch ein wenig nüchterner. Ich denke: „Schon schön hier, aber wer weiß, was noch so alles kommen wird?“ Da bin ich innerlich ruhiger.

Trotzdem suche ich noch. Ich glaube, das ist etwas, das in mir angelegt ist. Eine Art Sehnsucht, die ich schlecht beschreiben kann. Es kommt dem nahe, was Cro singt:

„Manchmal träum´ ich nur von Dir. […]
Aha, ich hoff‘, dass es geschieht ich bin verliebt,
doch hab kein‘ Plan, ob es Dich gibt.“

Ich weiß nicht, ob es das Eine gibt, das mich völlig erfüllen wird und meine innere Suche beenden wird. Und keine Ahnung, ob es das überhaupt braucht? Diese Sehnsucht treibt mich auch an, Neues zu wagen, einfach mal alles auf Null zu setzen und neu zu starten. Ich bleibe also neugierig. Allerdings ist die Gratwanderung auch nicht ohne. Denn ich möchte schon einen Sinn sehen in dem, was ich tue. Ich möchte einen Mehrwert leisten. Und noch habe ich es nicht wirklich gespannt, was meine Aufgabe in dieser Firma sein soll. Ich fühle mich – wie so oft im Leben – einfach wieder mal anders als die anderen. Dieses Jagen nach Ergebnissen, das bin ich einfach nicht. Die Kollegin, die so anders ist als ich, ist so eine Jägerin und spricht diese Woche dann sogar auch von „Gib mir mehr Savings“. Ich kannte diese Redewendung nicht und weiß nicht, ob sie firmenspezifisch ist oder ich nur mal wieder nicht voll am Puls der Zeit. Und auch, wenn die Gute von der Jagd spricht, schafft sie es dann nicht, den Termin für mittwochs am Tag vorher entsprechend anzupassen. Morgens erfahre ich kurz vor dem Termin, dass sie ihn spontan kürzen muss – von sechs Stunden auch anderthalb. Uuupsi! Es findet dann auch nicht vor Ort statt, sondern online. Nach fünf Minuten hat sie sich immer noch nicht eingewählt und schreibt mir dann, dass sie in fünf Minuten käme. Wäre das ein Date, wäre ich jetzt schon weg. So was hasse ich ja wie die Pest. In Summe kommt sie dann ganze 15 Minuten zu spät, neigt den Kopf zur Seite, legt ihr Prinzessinnenlächeln auf und säuselt in Kleinmädchenstimme: „Sooooooory, ich musste noch was erledigen.“ Ich weiß, in solchen Momenten wird erwartet, dass das Gegenüber sagt: „Kann passieren. Halb so wild.“ Aber da sie mir ja schon den Stempel „die Soziale“ gegeben hat, will ich die Fronten direkt am Anfang geklärt wissen und schaue sie nur ernst an: „Lass´ uns einfach anfangen.“ Sie registriert meine Reaktion, was ich an einem aufrechten Hinsetzen und den Kopf wieder gerade Halten erkennen kann. Gut. Ihre Stimme ist jetzt auch wieder normal. Dann weiß sie ja jetzt, was ich davon halte, 15 Minuten zu warten. Ob das wohl bei den männlichen Kollegen klappt? Mir kommt es wirklich nach Grenzen Austesten vor.
Dadurch dass wir nur noch eineinviertel Stunden haben, gehen wir alles zügig durch. Und dann heißt es, mich zu beschäftigen. Es gibt genügend Dinge zu lesen, keine Frage. Nur lerne ich so eben nicht wirklich. Das frustriert mich und ich stelle mal wieder infrage, ob ich hier richtig bin?

Doch dann kommt der gestrige Tag. Ich darf einen Kollegen zu mehreren Stehungen begleiten und werde explizit von ihm aufgefordert, danach Feedback zu geben. Das ist ganz klar meine Spielwiese. Und dann erkenne ich auch sehr deutlich, warum sie mich unbedingt haben wollten: Es werden ausschließlich geschlossene Fragen seitens der Führungskräfte gestellt. Es gleicht eher einem Report und weniger einem Austausch, der Bewusstsein, Abstellmaßnahmen und Nachhaltigkeit schaffen soll. Lösungen werden durch die Bank vorgegeben, nicht einmal nach Ideen von den Mitarbeitern gefragt. Eine Kollegin fragt mich später, ob sie mich mal begleiten dürfe, wenn ich zukünftug irgendwo coachen würde? Sie hätte noch nie erlebt, wie jemand einfach solche Fragen stellen und aus seinem Gegenüber die Antworten rauskitzeln würde. Das wolle sie unbedingt lernen. Da bin ich dann ja immer baff, weil ich aus meiner Sicht gar keine Technik anwende, sondern einfach die Fragen stelle, die mir in den Sinn kommen. Mein Kollege, der mich mitgeschleppt hat, hält die letzte Stehung selber ab. Auch er bekommt ein Feedback, Ideen und Sichtweisen…und jede Menge Fragen. Das ist es, was es für mich ausmacht: Ich erkenne, wie es in seinem Köpfchen zu rattern beginnt. Er lässt das Gesagte sacken und geht es gedanklich durch. Nach der Mittagspause kommt er zu mir und fragt: „Wann kannst Du anfangen? Ich meine, wann kannst Du bei uns loslegen? Ich will das am liebsten sofort! Ich mache das seit acht Jahren und habe so was noch nie erlebt! Das brauchen wir an allen Standorten weltweit. Wie viel kannst Du reisen? Willst Du das überhaupt?“ Da bin ich dann doch sehr gerührt. Ich erlebe eher Ansagen von meinen direkten Kollegen, weniger Fragen. Sie wissen, was gemacht werden soll und kommunizieren das auch so an die Leute um sich herum. Das ist so gar nicht mein Stil, weshalb ich ja mal wieder an mir gezweifelt habe…nur um dann jetzt zu erleben, dass meine Vorgehensweise durchaus auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint. Ich gehe mit keinen Lösungen rein, sondern lass´ die Lösung sich entwickeln – am besten von meinem Gegenüber selbst. Und dann sagt dieser eher ruhige Typ: „Ich bin jetzt schon ein absoluter Fan von Dir! Toll, dass Du da bist. Ich hoffe nur, Du kannst bald bei uns loslegen.“ Da geht mir echt das Herzchen auf – und eben auch die Augen. Sie brauchen nicht noch mehr Jäger, sondern eben auch andere Leute, die eher gemeinsam gestalten anstatt vorgeben wollen. Und nicht falsch verstehen: Es braucht auch die knallharten Umsetzertypen. Nur kann und will ich mich dahingehend nicht verändern.

Zufrieden fahre ich nachmittags zurück und bin nicht mal vom Stau wirklich genervt. Ich erkenne einen Teil meines Wertes, was mich echt glücklich macht. Es ist gut, dass wir nicht alle gleich sind. Und ich darf mich wohl damit anfreunden, dass es vollkommen in Ordnung ist, anders zu sein. Es prägt einfach nachhaltig, wenn man das ein Leben lang als negativ vorgeworfen bekommen hat. Daher kommt dann auch mein Wunsch, wie die anderen sein zu wollen – was mir schlichtweg nicht gelingt, weil dann alles in mir drin auf Rebellion schalten würde. Wir Menschen sind schon sonderbare Wesen, oder? Wie oft habe ich nicht gehört: „Wieso kannst Du nicht wie … sein?“ Meine Schwester, die einfach brav, lieb und angepasst war. Johannes, ganz einfach, weil er ein Junge war. Oder auch andere Menschen, die besser ins Schema gepasst haben. Das sind gute Menschen (bei Johannes weiß ich das nicht so genau, weil er weit weg wohnt), keine Frage. Aber sie sind eben sie – und ich bin ich…mit allen Macken, aller Exzentrik, allen nachdenklichen Phasen, hinterfragenden Gedanken, verrückten Ideen und sauviel Humor.

Heute hole ich dann in aller Ruhe meinen neuen Perso ab, in dem ich endlich nicht mehr wie eine russische Ringerin ausschaue. Bei der Post muss ich dann noch eine Post-ID wegen einer Versicherung holen. Als ich beim Wechselgeld das Rotgeld zurückschiebe, weil ich weiß, dass immer mal wer gerade die kleinen Centbeträge nicht griffbereit hat, sagt mir die gut gelaunte Postbeamtin: „Des versauf´n ma, gä?“ Solche Menschen mag ich. Der Job ist bestimmt alles andere als lustig, aber sie ist dennoch gut drauf. Ddamit passt sie auch nicht so wirklich zur Allgemeinheit und fällt auf. Und genau das feiere ich gerade. Ein Hoch aufs Anderssein.

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