Marienkäfertanz
Ich bin genervt. Das wird, glaube ich, nun mein Dauerzustand. Man gewöhnt sich ja an so vieles, wieso nicht auch daran? Dabei ist es ja auch ein Phänomen, das eine eigene Dynamik entwickelt. Wenn man angepisst ist, nervt einen nahezu auch alles und jeder. Oder man steigert sich so in sein Genervtsein rein. Was rede ich eigentlich von „man“? Ich. Genau, ich steigere mich in mein Mimimi rein. Mein Chef hat es nämlich immer noch nicht geschafft, zu einem Gespräch einzuladen. Es fühlt sich so an, als würde ich schlichtweg nicht existieren. Und dieses Gefühl kenne ich aus der Kindheit zu genüge. Das beherrschte mein Vater wie kein Zweiter. Da wurde ich gerne tage-, wochen- und manchmal auch monatelang ignoriert. Darüber kann man schlicht abdrehen, sage ich Euch. Und je mehr ich mich bemüht und abgestrampelt habe, umso mehr schmerzte die fortwährende Ignoranz mich. Ihr seht: Ich sehe schon auch meinen Anteil an dem Ganzen.
Und trotzdem…mein Chef kann ja auch anders, wie ich wahrnehme. Den neuen Kollegen pämpert er regelrecht. Da höre ich in allgemeinen Meetings: „Wir sehen uns dann gleich. Dann kannst Du mir Dein Feedback hierzu geben.“ Oder: „Wir setzen uns ja jetzt gleich zusammen, dann zeige ich Dir das.“ Das bockige, kleine, zurückgewiesene Kind in mir möchte mit Möhrenmatsch losprusten, um alles drumherum so richtig schön einzusauen, damit ich vielleicht so wenigstens wahrgenommen werde. Der erwachsene Anteil ist da durchaus vernünftiger und flüstert mir ins Ohr: „Schätzelein, dann müsstest Du erstmal die Möhren schälen, kochen und stampfen. Und nach all der Arbeit willst Du das dann rausprusten? Wer macht das dann weg? Du, richtig. Und all diese Mühe noch mal wofür?“ Das bockige Etwas stampft innerlich mit dem Fuß ganz fest auf den Boden – allein, es hilft ihm nicht.
Und so drehe ich mich weiter in meine Haltung rein. Klar sehe ich, was auch auf der anderen Seite durchaus schiefläuft. Aber ich sehe auch mich in meiner „ich bin sooooo allein“-Haltung. Eine Freundin rät mir, ich solle doch einfach einen Termin einstellen und nicht jedes Mal darauf hoffen, dass er es dann endlich mal tut und einen Teil von mir bestätigt (und demnach befriedigt) sehen, wenn er es natürlich wieder mal verbummelt hat. Doch ich will den Schritt nicht auch noch tun, denn ich befürchte, er könnte es mir übelnehmen, wenn ich seine Aufgabe nehme und ihm damit aufs Brot schmiere, was er nicht erledigt hat. Heidanei, so ein Pupskram, der doch so groß geworden ist. Mittlerweile bin ich innerlich schon soweit, erstmalig ein Unternehmen in der Probezeit zu verlassen. Obwohl ich wirklich viele, viele Ansätze sehe, wo ich wirken könnte, was mir Spaß bereiten würde.
Doch da kommt dann – endlich! – die Einladung zu einem Gespräch am nächsten Tag. Im ersten Moment habe ich innerlich Kirmes und schreie laut auf dem Riesenrad sitzend: „GEHT DOCH!“ Was mich dennoch nicht davon abhält, meine innere Wut weiter zu befeuern. Was werde ich doch unfair behandelt! Und überhaupt! Jaja, sehr erwachsen, das weiß ich selbst. Aber kommt mal aus diesem Böckchenmodus raus, wenn Ihr einmal so daherstolziert. Abends treffe ich dann eine ehemalige Kollegin und Freundin. Und da will die auch noch, dass wir zufuß zum Restaurant laufen! Also keine Schuhe mit Absatz, sondern Turnschuhe. Das Leben ist aber auch so was von ungerecht.
Ich stapfe die Treppen hinab und warte draußen in der Sonne, was schon mal etwas gemütsberuhigend auf mich einwirkt. Und dann beobachte ich einen älteren Mann mit einem kleinen Mädchen. Die Kleine ist vielleicht drei Jahre alt. Völlig verzückt geht sie in die Hocke und spricht in einer mir leider nicht bekannten Sprache mit etwas, das da krabbelt. Ich schaue hin und entdecke einen Marienkäfer. Die sind ja aber auch mal süß! Oppa steht geduldig daneben und lässt die Kleine schwelgen. Ich schwöre, solche Töne können auch echt nur kleine Mädchen rauslassen. Dabei muss ich schmunzeln. Und das ist blöd, weil sich aufregen und schmunzeln geht gleichzeitig so schlecht. Ein wenig Druck fällt kurzfristig von mir ab, und ich denke so: Wieso schaffen wir es als Erwachsene so selten, die schweren, nervigen Dinge beiseitezupacken und uns über die Kleinigkeiten zu freuen? Wann habe ich zuletzt einen Marienkäfer beobachtet und ihm was auch immer zugesäuselt? Ich rede höchstens mit Spinnen, dass sie bitte ihren Pöppes nach draußen schwingen sollen. Oh man…so viel Aufhebens um so was, oder? Also, nicht die Spinne, sondern die Arbeitssituation. Ich will das nicht bagatellisieren, denn es ist anstrengend und schwierig und zäh und überhaupt. Aber es gibt eben auch noch anderes drumherum.
Heute grummelt dann mein Magen. Kurz vorher telefoniere ich noch mit meiner Sis und sage ihr, dass ich meinem Chef offerieren will, mich einfach arbeitssuchend zu melden. Nicht als Drohung, sondern einfach als Angebot, weil es mir schlichtweg nicht gut geht. Sie kann es sogar verstehen, was mich ungemein entlastet. Und dann startet das Gespräch sehr ruhig, mein Chef fragt mich, wie es mir geht, und ich bin ehrlich: „Schlecht.“ Er schaut mich völlig überrascht an. Ich frage ihn, wie er unsere Zusammenarbeit sehe? Er fragt noch mal nach – ich meine seine und meine? Ja. „Mmmmh, sehr gut so weit. Wir haben nicht viel miteinander zu tun, aber das, was ich mitbekomme, finde ich sehr gut.“ Wie können Wahrnehmungen so auseinanderdriften? Aber dann fragt er, wie ich es denn sehe? Und so erkläre ich es ihm…sage auch, wie schwer mir das Gespräch falle, was mir auch anzumerken ist. Er fragt nach Beispielen, die ich ihm liefere. Dabei verteidigt er sich keineswegs, nimmt ernst, was ich sage und hört aufmerksam zu. Ich habe sogar den Mut, ihn mit drei Hyopothesen zu konfrontieren:
1. Er glaubt, ich könne ja schon so viel und brauche daher gar keine Unterstützung.
2. Ich mache ihm Angst, verunsichere ihn, weil ich so anders bin, weshalb er mich zu meiden versucht.
3. Wenn vielleicht auch eher unbewusst: Er will mich scheitern sehen, weil ihm meine Heransgehensweise nicht geheuer ist.
Seine Reaktion: „Mmmh, es kann alles sein. Ich muss echt darüber nachdenken. Ja, wir nähern uns auf total konträren Wegen einem Ziel. Und ja, ich glaube definitiv, dass Du so viel Erfahrung hast, dass Du kaum etwas benötigst. Spannend…“ Und ich glaube ihm. Er ist auch echt kein Böser. Er ist eher überfordert. Er fragt auch, was ich mir wünschen würde, wie viel Zeit er für mich zukünftig einplanen solle? „Es geht nicht direkt um Zeit. Es geht um ehrliches Interesse. Fragen, wie: `Wie geht´s Dir gerade? Wie hast Du Dich eingelebt? Was brauchst Du gerade?´ So was in der Art.“ Dabei nickt er. Und ich frage ihn schließlich: „Überfordere ich Dich?“ Puh, ich finde mich mutig. Er nickt und bestätigt: „Unbedingt. Aber mach´ das bitte auch unbedingt weiter!“ Punkte, die ich im Vorfeld angesprochen hatte und bei denen ich das Gefühl hatte, er habe es als Kritik an seiner Person verstanden, hat er als Augenöffner empfunden. Darüber habe er im Nachgang schon mit einigen Leuten geredet, weil ihm dadurch schon manche Erkenntnis gekommen sei. Und dann sagt er etwas, was mich wirklich aus der Fassung bringt: „Du bist auf einem ganz anderen Level unterwegs als wir hier. Keiner von uns könnte so ein Gespräch führen, wie Du das gerade tust. Ich kann Dir bei allem folgen und bin Dir dankbar für die ganzen Hinweise. Ich weiß, ich könnte so ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten niemals so hinbekommen.“ Ich starre ihn sprachlos an, denn ich fühle mich gerade nicht sonderlich souverän. Das Gespräch hätte ich weniger emotional führen können. Ich war ruhig, aber immer nah dran, ein paar Tränen zu verdrücken. Das finde ich jetzt nicht sonderlich erwachsen oder kompetent. Seine Worte tun mir gut, und ich kann sie annehmen. Wenn mir einer Zucker in den Hintern pusten möchte, kann ich damit nicht umgehen. Wenn mich einer lobt, winde ich mich innerlich. Aber so, wie er mir das gerade sagt, kann ich es eben doch gut annehmen.
Macht das jetzt alles gut? Nein. Heilt es alles? Nein. Aber es zeigt, dass viele Missverständnisse ausgeräumt werden können. Wir hängen immer noch auf unterschiedlichen Planeten. Und da ich ihn nicht heiraten will (und er mich auch nicht), müssen wir einander nicht lieben – aber immerhin respektieren. Und ich bewundere ihn für den wirklich souveränen Umgang mit meinem Gesagten. Er war zu keinem Zeitpunkt angepisst, wirkte nicht genervt und war in seiner Haltung mir gegenüber offen. Auch mit dem Satz: „Ich wünschte, ich hätte eine Lösungskarte, die ich ziehen könnte“, zeigt er, wie unsicher er mit der Sitution ist. Dabei habe ich die eine Lösung gar nicht gewollt, weil es die eine Lösung meines Erachtens nach auch so gut wie nie gibt, was ich ihm auch sage. Ich möchte vielmehr, dass er mich sieht und Interesse an mir hat, dass wir uns konstruktiv über Strategien austauschen und kontrovers diskutieren können, damit eben was Größeres entstehen kann als nur unser beider Egos. Daher habe ich wieder etwas Hoffnung geschöpft für die Zukunft.
Anschließend spüre ich, wie unendlich müde ich plötzlich bin. Es ist so, als hätte ich jahrelang nicht mehr vernünftig geschlafen, einen Marathon absolviert und drei Kinder nebenbei bekommen. Alles natürlich völliger Mumpitz. Es ist „nur“ die Anspannung, die gerade abfällt. Also: Öfter mal die Dinge ansprechen, sich nicht in eine Negativspirale drehen und nach süßen Marienkäferchen Ausschau halten, damit man sie verzückt angurren kann. Dann wird alles gut…hoffe ich. Und wenn nicht gut, dann aber zumindest besser.