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La Graciosa

Et isset nich. Also zumindest nicht für mich. Am ersten Abend bin ich schon kurz davor, komplett auszurasten. Einen Sitzplatz zu ergattern, ist alles Mögliche – nur nicht leicht. Gefühlt geht hier jeder nach dem Prinzip „me first“. Als ich eine Kellnerin frage, wo ich mich setzen dürfe, verweist sie an einen Vierertisch. Da will auch ein Pärchen hin, was ja kein Problem ist. Sie schlägt diesen Kleinmädchenton an, den ich so hasse und sagt mit Augenklimperklimper: „Wir wollen eigentlich nur zu zweit hier essen.“ Am liebsten würde ich der dummen Kuh sagen: „DANN LASST ES EUCH AUFS ZIMMER BRINGEN!!!“ Denn hier ist man nicht allein. Hier sind über 6.000 Leute an Bord. Ich schaue sie nur kurz an und schnappe: „Schönen Abend!“, verkneife mir allerdings das „Miststück“. Es ist einfach nur voll. Aber gut, wer das mag, ist hier hervorragend aufgehoben. Man braucht kräftige Ellenbogen, eine fette Portion Egoismus und eine Prise Ignoranz. Dann läuft’s. Ich bin müde, hungrig und werde langsam grantig. Das geht jetzt bei mir nicht sooooo schnell, aber die schaffen es hier. Gisela flötet mir irgendwann hinterher und ich frage mich: Echt jetzt? Bei über 6.000 Leuten, diversen Restaurants, 17 beknackten Etagen??? Da findet die mich??? Aber es ist leider, leider kein Platz an ihrem Tisch frei. Sie will schon am Nachbartisch nachfragen, ob die Platz machen können, als ich tief Luft hole und sage: „Ich bin schon groß! Ich kann das schon allein!“ Kurz stutzt sie und sagt: „Ja, Du bist sogar ein gutes Stück größer als ich.“ Nein, ich hau mir die flache Hand nicht vor die Stirn. So was nennt sich Körperbeherrschung. Sie fragt mich völlig begeistert, wie ich es denn finde? Ich kann nicht anders: „Zum Kotzen.“ Sie mimt die Verständnisvolle. Der Anfang wäre schon krass, wenn man das zum ersten Mal erlebe, aber das gebe sich. Dann würde es toll. Das ist so ein Phänomen wie mit Bier. Wenn Leute mir sagen, die ersten drei bis vier Gläser würden nicht schmecken, aber danach dann schon. Hääää? Das ist eine Logik, die mir nicht liegt. 

Irgendwann finde ich ein Plätzchen, esse eine Kleinigkeit, weil ich Angst habe, mir kommt sonst die Galle hoch. Auf dem Weg raus frage ich noch einen Servicemenschen, ob ich denn eigentlich einen Teller mit aufs Zimmer nehmen könne? Nee, das ginge nicht. Na, gehen tut’s schon, nur erlaubt ist es wohl nicht. Der Herr ist aber sehr freundlich und bietet an, dass ich doch in einer Stunde wiederkommen könne. Ich raune ihm zu: „Nee, danke. Ich habe jetzt schon den Papp auf.“ Er nickt: „Ja, heute ist es echt wieder heftig. Kommen Sie ab morgen später, ok? Dann klappt das auch.“ Und so mache ich das dann am nächsten Tag. Morgens bin ich um 8 Uhr am Tisch, während das Gros um 9 Uhr frühstückt. Abends gehe ich um 20 Uhr essen, und es ist etwas besser. Nicht richtig entspannt, aber besser. Mittags stapfe ich zum Reiseschalter, nachdem der Hafen von Fuerteventura eine Enttäuschung für mich ist. Ich gucke dem jungen Herrn tief in die Augen und raune: „Ich muss für morgen was buchen, sonst zünde ich was an.“ Er nickt grinsend, die Urlauberin neben mir lacht sich schlapp: „Schiffskoller?“ Es sind eher die Menschen als das Schiff. Mir wird von meinem Reiseberater bestätigt, dass dieses Schiff einen wirklich erschlage. Er selbst sei seit fünf Tagen erst dabei und fühle sich auch immer noch überfordert. Ich solle unbedingt mal ein kleineres Kreuzfahrtschiff ausprobieren. Ich glaub’s eher nicht, jemals so was noch mal zu buchen. Aaaaber immerhin bucht er mir was für Lanzarote. Als ich den Hafen am nächsten Morgen erblicke, bin ich erleichtert, was gebucht zu haben. Denn toll sieht einfach anders aus. 

Eins muss man dem Personal hier lassen: Sie sind allesamt sehr freundlich und zuvorkommend. Und ich lasse auch jeden Kreuzfahrtjünger gerne weiterhin bei seinem Mantra: „Einmal AIDA, immer AIDA.“ Es trifft nur nicht meinen Geschmack, ausschließlich unter Deutschen zu sein, wenn ich im Ausland Urlaub mache. Kann allerdings jeder gerne anders sehen. 

Die Tour startet heute um 8:45 Uhr. Man soll am besten 15 Minuten vorher da sein, damit alles reibungslos funktioniert. Ein Mann steht am Rand und spricht in sein Handy: „Scheiße, Scheiße, Scheiße… oh man, es tut mir soooo leid, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Dein gestriger Geburtstag ist voll untergegangen. Scheiße!“ Ich drehe mich um und spreche ebenfalls in sein Handy: „Er meint es echt ernst und sieht zerknirscht aus und hat soooo oft laut Scheiße gesagt. Verzeih ihm bitte!“ Er lacht… und ist später unser Guide. Ach ja, bei etlichen Bussen vor dem Schiff bin ich einfach sehr treffsicher. Das passt mal wieder. Zunächst geht alles geregelt vonstatten, bis eine recht herrische und vor allem laute Dame zum Bus marschiert kommt. Sie und ihre Freundinnen hätten noch nicht gebucht, wollten aber mit. Das ginge doch wohl, oder?! Bei so einer Art der Frage, wäre meine Antwort ein klares NÖ, aber die sind ja nett und zuvorkommend hier. Ja, das würde gehen. Es wären allerdings nur noch sechs Minuten bis zur Abfahrt. Da zückt ihre Kumpanin ihr Handy und ruft über Lautsprecher ihre Freundinnen an: „Gschwind, in sechs Minute fahret ma ab.“ Wieso muss der ganze Bus mithören, was Gerda antwortet? Man weiß es nicht. Es dauert auch nur ganze zwölf Minuten, bis die beiden anderen Weiber kommen. Ich atme das weg, was dem Mädel hinter mir nicht so recht gelingen will. Puh… solche Menschen mag ich ja so richtig. Laut und dreist ist eine gute Kombi.Wir hören einiges über Land und Leute, Berühmtheiten usw., bis wir dann in Orsola auf die Fähre können. Damit ich die gackernden Hühner nicht länger ertragen muss, packe ich mir die Knöpfe auf die Ohren und dreh die Musik lauter. Bei richtig fettem Wellengang erklingt plötzlich „Straight to hell“ von Rage. Ich grinse übers ganze Gesicht. Der Meeres- und Musikgott ist ein und dieselbe Person, ganz sicher. 

Der Ausflug ist dann ganz ok. Kein Brüller, obwohl wir die achte und kleinste Kanareninsel „La Graciosa“ besuchen. Ich sehe diverse völlig nackte Menschen an einem Strand, während ich mir schon trotz Klamotten halb die Zwiebel abfriere, aber gut. Es war ein ganz unterhaltsamer Tag – vor allem wohl wegen Vicky, die im Bus neben mir sitzen musste. Manche Menschen sind dann doch ganz nett hier… und trotzdem genieße ich die Zeit mit mir allein gerade am meisten. Ich glaube, ich werde schwierig. Wehe, ich erfahre, dass gerade einer bei dem Satz gelacht und gedacht hat: „Werde? Ist die doch schon immer!“ Der Pott fährt wieder los. Also: Gute Reise!

Der Pott sticht in See

Und da verfolgt es mich wieder, das Wörtchen Mut. Heute geht’s aufs Schiff, aber dieses Mal dann so ganz in echt und so. Ich begehe dieselbe tollkühne Tat, wie bereits am Montag: Ich hänge auf dem Balkon mitten in der Sonne ab, um die Zeit zu überbrücken. Sind ja nur noch gute zweieinhalb Stunden. Ich lese, öngere (ich liebe dieses Wort immer noch) und bummel die Zeit ab. Obwohl ich ja nicht so wetterfühlig bin, tun die ganzen Sonnenstrahlen schon auch gut. Als es Zeit wird, zockel‘ ich zur Rezeption, wo ich meine Rechnung begleiche. Nachdem mir der Kellner gestern schon grinsend entgegenkam und trällerte: „Aguas natural?“, zucke ich kurz. Man, bin ich langweilig und vorhersehbar. Daher entscheide ich mich einfach kurzfristig um: „No. Cerveza con 7up.“ Ja, das bringt mir immerhin ein kurzes Augenbrauenhochziehen. Geht doch! Und genau das will ich jetzt zusammen mit dem Wasser begleichen. Klappt auch reibungslos. 

Anschließend ruckel‘ ich mich und den Koffer vors Hotel. Da das Einchecken so lange gedauert hat, habe ich genügend Zeit fürs Auschecken eingeplant – typisch deutsch und völlig unnötig. Tja, das konnte ich ja nicht ahnen. Draußen sitzt dann auch schon ein älteres Pärchen von der Schwäbischen Alp. Herrlich, diesem Dialekt zu lauschen. Sie treten die Rückreise an. Allerdings wissen sie zu berichten, dass das Schiff wohl total voll und richtig laut sein soll. Ein Träumchen…. nicht. Es kommen noch ein paar weitere Gäste, die auf Abholung warten. Heinz guckt um die Ecke. Ich winke pflichtschuldig. Er geht noch mal zurück und retourniert dann kurzerhand mit Giselaaaa. Die flötet direkt los: „Claudiaaaaa, Du bist ja schon da! Wir haben an der Rezeption auf Dich gewartet!“ Äääh… wovon ich nichts wusste, aber gut, jetzt kennt zumindest jeder hier meinen Namen. Da können wir uns die Vorstellrunde schon mal sparen. Die anderen berichten von ihren Kreuzfahrten. Scheint, ich bin die einzige Jungfrau, was das betrifft. Und so erzählen sie, dass man ausgerufen werde, wenn man nicht bei der Sicherheitsübung mitmache. Beim letzten Mal sei eine resolute kleine Frau durch die plaudernde Menge geschritten und habe: „Ruhe, die nächsten 10 Minuten rede nur ich!“ geschnauzt. Ein Träumchen. Ich denke an meine Tante Käthe in Kindertagen, die heute nur noch ein zahnloser Tiger ist, und raune: „Ich komm‘ nicht wirklich gut auf Autorität klar und muss dann eher lachen und rebellieren.“ Der Zahn wird mir gezogen. Gisela fragt noch, in welchem Stockwerk ich denn nächtige? Es ist Etage vier, was ihr ein trauriges Lächeln entlockt. Ich weiß, das ist in etwa da, wo Jake alias Leonardo Di Caprio eingesperrt war. Mich wird’s also erwischen, sollten wir kentern. Doch Gisela schaut eher betrübt, weil sie im Stockwerk 10 untergebracht sind. Zuversichtlich sagt sie: „Wir finden Dich!“ Heute hab ich zu viel Sonne getankt, denn eh ich mich verseh‘, fällt mir ein: „Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“ aus dem Gesicht. Alles lacht – zum Glück auch Giselaaaaa („Schätzelein, weißte Bescheid, ne?“). 

Der Busfahrer kennt uns Deutsche einfach zu gut und kommt satte 10 Minuten zu früh. Macht nix, wir sind eh alle schon da. 

Aufwendig dreht er den Bus an einer eher schmalen Stelle. Alle schauen gebannt zu, während ich raushaue: „Wäre es ’ne Frau, würden schon alle Männer hinstürmen und hektisch winken.“ Die Männer schauen betreten, die Frauen lachen. Uuups, schon wieder was unüberlegt aus dem Gesicht gefallen. Ich kann’s aber auch nicht lassen. Der Bus fährt rückwärts bis vor unsere Füße. Dann macht er noch Witzchen: „Aeropuerto, si?“ Is klar, Schönne. Den Witz reißt er vermutlich immer. Und dann fährt der Gute los. Mutter und Tochter hocken vor mir, während die 26-Jährige laut sagt: „Allein? Auf so einem Schiff zu reisen? Wenn man das noch nie gemacht hat???“ Puh… das nenne ich mal…“ „Verrückt?“, komme ich ihr zuhilfe. „Nee, eher ganz schön mutig!“ Häääää? Was daran ist bitte schön mutig? Na, so ein Schiff würde einen ja schon erschlagen, weil es riesig sei. Na, wenn das alles ist. Da hat mich die Aussicht auf den peruanischen Dschungel schon eher geängstigt. Krass, wie unterschiedlich Menschen Mut definieren, oder?

Der Busfahrer fährt, als hätte er Benzin im Blut. Die Straßen sind echt eng, der Bus richtig groß, die Eier des Fahrers gigantisch. Sorry, aber so isses. Der Bus setzt auch irgendwann bei einer Abfahrt auf, was ihn nicht aus der Ruhe bringt. Er lässt Luft in die Reifen pumpen… oder ins Fahrwerk… oder pumpt die Federn auf – watt weiß ich? Hatte ich erwähnt, über kein technisches Verständnis zu verfügen? So, da habt Ihr einen weiteren Beweis. Er schrömmelt auch einmal beim Abbiegen über den Bordstein, was sich fürchterlich anhört und ihn nur lachen lässt. Der Schönne rangiert, nimmt Vorfahrten und bleibt die Ruhe selbst. Als wir die Letzten einsammeln, bin ich kurz vorm Fischefüttern. Alter, ich glaub, ich brauch einen Schnaps! Aber da geht’s auch schon weiter. Es ist…ääääh…. nicht wesentlich besser auf der Autobahn. Vor uns fährt jemand mit viel Unsicherheit und daher wenig Tempo. Das kekst unseren Todesmutigen. Er hupt, und ich denke: Soll der sich vor uns jetzt einfach in Luft auflösen? Macht es das Hupen in irgendeiner Art besser? Löst es irgendwelche Probleme? Nein! Aber wie so ein Gorilla muss der Gute hupen. Seine Brust ist zum drauf-rum-Kloppen auch echt zu schmächtig. Kurzerhand überholt der Bus das rote Auto, setzt sich davor und bremst ab. Nein, da ist nichts in unserem Weg. Da staut sich auch nichts zurück – jedenfalls nicht auf der Straße. Es ist, als würde der Pavian seinen nackten Arsch präsentieren wollen. Das „typisch Mann“ ist schon raus, bevor ich auch nur denken kann. Dafür gibt’s zeitgleich aus Bottrop: „Geil! Das erhöht das Trinkgeld mal so richtig!!! Der Typ hat mal Eier!“ So unterschiedlich bewerten Menschen dieselbe Situation. Spannend zum zweiten. 

Die AIDA Nova ist echt mal ein fetter Pott. Ich frage mich, wie das Ding schwimmen kann? Aber noch mal zur Erinnerung: Ich verfüge über KEIN technisches Verständnis. Gisela und Heinz stürmen – wie von der Tarantel gestochen – los, um einzuchecken. Weg sind sie… und in mir keine Sehnsucht. Das Zimmer überrascht mich total. Ich hatte mit einem kleinen Kabuff gerechnet und bin regelrecht überwältigt. Da ich eine Kabine mit Meerblick habe, ist genau am Fenster eine Sitzbank – Vorhänge und Kissen inklusive. Verdammt. Ich glaube, hier geh ich nicht mehr raus, sondern werde stundenlang lesen. So was wollte ich immer schon Zuhause haben. Ooooh, ist das toll!!! Gut, ich beruhige mich dann auch wieder. Das Sicherheitsgedöns muss ja noch absolviert werden. Aber auch das geht recht einfach, weil man es über den Fernseher absolviert. Und abschließend muss man mit Sicherheitsweste drei Stockwerke höher zu einem Typen, der die Karte scannt und alles auf „erledigt“ setzt. Jetzt kann es also losgehen. Huiiiiii, nun freu ich mich doch auf dieses Schiff, das ich eher skeptisch betrachtet hatte. Mal schauen, ob ich Giselaaaa und Heinz noch übern Weg laufe. Oder Bekannten meiner Schwester aus deren Dorf. Bei 5.000 Passagieren kann sich das – hoffentlich – verlaufen. In diesem Sinne: Ich schwimme dann mal. 

Heute, morgen – völlig einerlei

Ich bin der Kracher. Also für alle, die das bislang noch nicht wussten. Eine meiner besten Eigenschaften? Ich nehme mich selbst nicht so ernst und kann über mich selber lachen. Das muss ich auch, um es mit mir auszuhalten. Da ist es mir auch nicht zu peinlich, meine Fauxpas zum Besten zu geben. So wie gestern. Ich bin – ganz deutsch – zur Reiseleitungserstveranstaltung. Ach, wie ich solche Worte liebe. Da dieser Termin exakt in der Mittagszeit liegt, macht es keinen Sinn, groß was zu unternehmen. Und so flagge ich mich kurzerhand auf den Balkon in die Sonne. Es sind gerade mal ca. 20 Grad, also optimal für mich. Während manche sich erst ab 26 Grad anfangen wohlzufühlen, geht es mir ab 26 Grad fast schon auf den Zeiger. Die Beine hab ich eingeschmiert, die Arme nicht, weil ich ein langärmeliges Kleid trage. Doof nur, wenn ich im Nachhinein feststelle, dass ich den rechten Ärmel häufiger nach oben geschoben haben muss, denn da ist es – ganz Streifenhörnchen – partiell rojo (gesprochen „rocho“, Bedeutung überraschenderweise rot). Wo das Kleid mal hochgeweht wurde, ist es auch partiell rojo. Da sieht’s aber außer mir keiner. Daher ist es wurscht. 

Mittags schlappe ich also rüber zum Treffpunkt, wo außer mir noch ein Pärchen eintrudelt. Es ist klassisch: Sie hat die Hosen an. Für diese Feststellung braucht es nicht mal zwei Minuten. Ich lausche kurz und sage dann: „Sie sind aber auch aus dem Rheinland, oder?“ Sind sie. Sie nennen mir Düsseldorf, doch das kann ich nicht glauben, also hake ich noch mal nach. Ja gut, sie sind eigentlich aus Aachen. Ach, die Welt ist ein Dorf. Wobei das auch nicht ganz korrekt ist, denn sie sind aus Stolberg. Hin, her, Linden küssen – was denn jetzt? Auch egal. Die Reiseleiterin macht ihren Job mit viel Schwung und Begeisterung… nicht. Ich finde es überall schwierig, wenn Menschen keine Lust auf ihren Job haben. Zu ihr passt das Lied „Eine Träne geht auf Reisen“. Sei es drum. Da ich morgen aufs Schiff gehe, ist es mir eh wurscht. Die beiden anderen gehen ebenfalls aufs Schiff, aber erst übermorgen. Ok. Da scheint es ja hier ein Kommen und Gehen der Schiffe zu sein… denke ich noch so. Und registriere dann, dass ich ja irgendwo den 22.3. in den Dokumenten gelesen hab. Also morgen. Wobei… warte mal…hääää? Wenn heute mein Namenstag ist, also der 20.3., dann… und schon lache ich los: „Uuups, ich geh dann doch erst übermorgen aufs Schiff.“ Kurzes fassungsloses Anstarren, wie jemand so völlig bekloppt sein kann, aber dann rettet er die Situation: „Dann gehen wir ja doch zusammen, wie schön!“ Ich will gar keinen Anschluss, aber egal. Das sitze ich mal locker aus. Ich muss immer wieder lachen, weil ich so verbaselt bin. Normal bin ich echt nicht. Allerdings hat das auch niemand behauptet – ich schon gar nicht. Als wir die wahnsinnig gelangweilte Reisetante verlassen, passiert es dann: Die Rheinländerin dreht sich um und sagt: „Ich bin übrigens die Gisela.“ Aaaalter, warum nur? Warum muss ich genau in solchen Momenten an Hape Kerkeling denken, der in Horst Schlämmer-Manier „Giiiselaaaaa“ raunt? Wer wohnt da oben in meinem Kopf??? Ich reiße mich – wenn auch schwerlich – zusammen und nenne meinen Namen, allerdings ohne DIE davor. Das ist sein Startschuss: „Und ich bin der Heinz!“ Hätte er jetzt Horst gesagt, wäre ich auch tot umgefallen. Jovial bietet er mir noch an, morgen Mittag nachzuschauen, ob ich fälschlicherweise vor dem Hotel auf meinen Shuttle warten sollte, was er mit einem Lachen garniert. Was freu ich mich und hoffe auf eine Kabine weit weg von ihnen. Trotzdem amüsiere ich mich noch den ganzen Tag über mich selbst. Wie kann man echt so gar nicht vorbereitet sein und sich nichts vorher anschauen? Ich kann, wie man sieht. 

Gut gelaunt schlendere ich ins Städtchen bzw. Richtung Strand. Hin ist es ja ok, weil es fast nur bergab geht. Zurück wird’s weniger lustig, weil ich dann alles wieder rauf muss. Wer hat sich das einfallen lassen??? Der Himmel ist mittlerweile bewölkt, also droht auch keine Sonnenbrandgefahr, gell? Das Streifenhörnchen in mir beweist mir am Abend das Gegenteil. Auch das kann mir nichts anhaben, solange ich das Meer riechen kann, der Wind um meine Ohren saust und ich der Brandung lausche. Keine Ahnung, warum ich im Süden wohne? Ich brauche das Meer – rau, wild, stürmisch. Bei dem Wind sind trotzdem Paragleiter unterwegs, was mich regelrecht fasziniert. Wenn die verrückt sein können, kann ich das auch. Und so gönne ich mir einen Mojito am Nachmittag, nachdem ich nur wenig am Morgen gefrühstückt hab. Wie hohl muss man sein? Denn der Gute kesselt binnen kürzester Zeit rein. Oooooooh, wer stoppt das Karussell? Niemand. Erst der Rückweg ernüchtert mich letztlich. Auch ok. Ich hab ja noch über einen Tag Zeit, wieder klar in der Rübe zu werden, bevor ich ans Bug des Schiffes getackert werde. Das dürfte reichen. 

Und so plätschert der Tag aus, der mir meine miserable Vorbereitung vor Augen geführt hat und dafür umso lustiger war. Gespickt wurde er mit dem schriftlichen Beweis, dass das Gerücht um meinen mir so verhassten obersten Boss der alten Firma stimmt: Er zieht weiter und bleibt nicht an unserem Standort. Ich hab gesagt, es würde nicht viel Zeit vergehen, bis er ginge, wenn ich weg wäre. Nicht etwa, dass das von mir abhängig war. Ich wusste lediglich, dass ich gehen musste, bevor es sich nun erstmal entspannt. Und was macht die Info mit mir? Nichts. Meine Entscheidung zu gehen, ist dennoch die richtige. Mein Hotelzimmer in Liechtenstein und der Leihwagen sind von der neuen Firma gebucht, das technische Equipment kommt am Tag nach meiner Rückreise an, und somit stehen alle Zeichen auf Anfang. Gut, dafür muss ich zunächst vom Schiffsbug abgekratzt werden, aber da bin ich zuversichtlich. Wer will schon die ganze Zeit so ’ne Olle am Schiff hängen haben, die sich permanent über sich selbst beömmelt? Mal schauen, was noch so meines Weges kommt? Ich freu mich jedenfalls drauf! Nur weitere Mojitos meide ich vorerst… glaube ich… naja, man wird doch wohl noch wanken dürfen. 

Urlaub, Möpse und der Mond

Mein Urlaub startet. Nur komme ich irgendwie nicht in Urlaubsstimmung. Ich sandl (trödel) so durch die Tage, erledige noch ein paar Dinge, aber alles ist wenig aufregend. Und ja, nach dem Stress zu Jahresbeginn ist das auch ganz gut so. Ich habe demnach nichts dagegen. Vorher habe ich noch diverse Treffen mit den unterschiedlichsten Leuten und schaue mir sogar noch das FabLab an. Fragt mich nicht, ich bin nicht kundig genug, das vernünftig zu erklären. Eine Ansammlung von Nerds, die lasern und Maschinen programmieren, um Unsinniges (und daher um so coolere Sachen) herzustellen. Der Knaller ist ein Herr, der zu seinem echt witzigen Flamingo-Hemd ein Namenslaufband auf der Brust angepappt hat. So was finde ich einfach lustig. Ein Freund versucht auch echt, mir das Ganze anschaulich zu erklären – allein, ich wünschte, ich hätte Zugang dazu. Es sind für mich böhmische Dörfer. Aber ich erkenne das Funkeln in den Augen und die Begeisterung, mit der sie hier alle bei der Sache sind. Und genau das gefällt mir. Trotzdem verstehe ich mal so gar nichts, bin aber auch nahezu ausschließlich von Doktor-Informatikern umgeben. Da komme ich mir sehr einfach und dumm neben vor. Ich weiß, jeder hat so seine Talente, nur fehlt mir leider alles technische Verständnis. Alles geht wohl nicht. 

Die Nacht schlafe ich nahezu gar nicht. Es ist keine Aufregung vor dem Urlaub, sondern schlichtweg die Sorge, die Wecker (richtig, Mehrzahl) überhören zu können. Dabei ist das seit der Schulzeit nie mehr passiert. Meine S-Bahn geht um 5:23 Uhr – so sie denn geht. An der Stammstrecke sind mal wieder (oder vielmehr immer noch) Arbeiten zu verrichten, weshalb die letzten Wochenenden immer S-Bahnchaos war und ist. Geduscht und gerüstet trabe ich los und hab noch einen Freund im Ohr: „Die S-Bahn ist ja immer der Kackfaktor in der Gleichung. Wenn die geht, ist alles gut. Wenn nicht, ist nur Panik angesagt.“ Doofi… aber es stimmt. Doch sie geht – samt frisch Erbrochenem von Mäckes im letzten Abteil, weshalb ich dann doch weiter vorgehe. Der Wechsel der Bahnen funktioniert dann auch noch reibungslos. Und so gelingt es mir, etwas in den Entspannungsmodus zu wechseln. 

Wie sagt eine Frau neben mir so treffend am Flughafen: „Was war das schön vor Corona. Da gab es noch normale Schalter – mit echten Menschen und so.“ Stimmt. Jeder muss nun an einen Automaten, um sich dort einzuchecken, was ich Gottseidank schon online gemacht hab. Dann muss man zum Kofferbandautomaten und sein Ticket dort einscannen, damit ein Kofferaufkleber ausgedruckt wird, den dann jeder auch selbständig anbringen muss. Danach geht der Koffer aufs Band, wo dann der Aufkleber gescannt wird, ein Etikett ausgedruckt wird und der Koffer verschwindet. Ich hoffe, er geht auf dieselbe Reise wie ich. Da denke ich mir dann schon, wie überfordernd das für ältere Menschen sein muss? Einfach ist was anderes. Aber die Bahn macht es ja ähnlich kompliziert. 

Da ich ja immer genügend Puffer einbaue (ich bin soooo typisch deutsch), bleiben mir nach dem ganzen Procedere noch gute zwei Stunden bis zum Abflug. Also trinke ich einen überteuerten Kaffee und schnabuliere eine Butterbrezn, die schon um die frühe Uhrzeit lätschert ist. So bepackt, hocke ich mich an einen Hochtisch und lausche unfreiwillig dem angeregten Gespräch des Radiologen, der in Schweden tätig ist. Aus jeder Pore kriecht ein „Mimimi“. Sein Kumpel daneben erklärt es treffend: „Du bist eben Chefarzt. Ich hab mich gegen Personalführung entschieden. Gut, mein Gehalt ist deutlich geringer, aber dafür liebe ich meinen Job immer noch.“ Ob es bei dem Chefarzt nur an der Personalführung liegt? Kennt Ihr die Leute, die schon aussehen, wie das Leiden Christi? Die die Gewitterwolke festhalten und ständig mit sich mitziehen? So einer ist das. Und dann startet er auch schon seinen Vortrag über Mammographie. Es gäbe da auch eine Artifical Intelligence, die bessere Ergebnisse erzeuge als die Befundung der Menschen. Soweit, so genial. Nur… und hier entsteht eine dramatische Pause… die sein Kumpel auch nutzt, um nachzufragen. Naja, zunächst einmal seien die Schweden genauso vorsichtig wie die Deutschen und misstrauisch gegenüber künstlicher Intelligenz. Aber vielleicht entscheidender: Es gebe ja die unterschiedlichsten Brüste. Ach was! Sein Vergleich ist ganz putzig: ‚Es ist, wie mit den Wolken am Himmel. Durch manche hindurch kannst Du den Mond in der Nacht noch erkennen.. Andere sind so dicht, dass da nichts zu erahnen ist. Da kombiniert die Software nicht, der Mensch schon.“ Das finde ich in der Tat interessant. Allerdings glaube ich, den Mond durch keine Brust der Welt sehen zu können, aber gut. Er macht weiter: „Es gibt kleine Brüste mit wenig Brustgewebe. Und dann gibt es große Brüste mit viel Brustgewebe.“ Ich schaue bewusst NICHT demonstrativ an mir nach unten und sage: „So!“ Brauche ich auch nicht, denn sein Kumpel grinst auch so, während der gute Chefarzt um sich herum ohnehin nichts wahrnimmt. Das ist das Verlässliche bei vielen Chefärzten: Sie kreisen munter um sich selbst. Er schwadroniert weiter, wie belastend sein Leben sei, wie gar nicht mal so einfach die Begriffe rund um die Brust auf schwedisch zu erlernen waren und wie ätzend die Neuen seien. Ich hab Urlaub und will kein Gejammer hören! Und so packe ich meinen Kram und höre mir ein lachendes „Tschüss“ von dem anderen an, von dem sich meine undurchsichtigen Möpse und ich uns verabschieden, und ziehe meiner Wege. 

Der Flieger startet mit 45 Minuten Verspätung – wohl wegen einer neu getesteten Software am Münchner Flughafen. Ich sagte doch: Technik ist nicht meins, doch sie verfolgt uns alle hartnäckig. Ich hoffe nur, diese Software ist fähig, durch Wolken zu schauen. Sonst wäre das blöd beim Fliegen. Die Frau neben mir ist reichlich aufgeregt. Ihr Mann beschäftigt sich derweil mit dem Tablet, weshalb sie immer mal wieder in meine Richtung funkt. Fliegen sei ja nicht ihres. Sie sei lieber in Südtirol unterwegs. Aber im März sei es da noch nicht so schön wie auf den Kanaren. Wäre nur nicht der laaaaange Flug. Lang? Flieg mal nach Thailand, Püppi. Wir sind keine vier Stunden unterwegs. Als der Flieger landet, ist sie richtig angespannt und ich einmal mehr froh, dass mir das so gar nichts ausmacht. „Und bleiben Sie im Süden oder fahren Sie in den Norden?“ Watt weiß ich??? „Ääääh… Ich glaube, ich bleibe hier. Dienstag geht es eh aufs Schiff.“ Ach soooo…. große Augen. Ja dann! Als ich später im Bus sitze und registriere, dass ich dennoch in den Norden der Insel fahre, denke ich mir mal wieder, dass ein bisschen Vorbereitung garantiert nicht geschadet hätte. Andererseits bleiben mir so viel mehr Überraschungen. Wer weiß, was also noch kommt… und welche Gespräche ich – freiwillig oder unfreiwillig – belauschen werde. 

Der letzte Tag mit Kuchen

Die letzten Tage gingen fast wie im Rausch vorüber. Nachdem ich das komplette Wochenende damit beschäftigt war, elf unterschiedliche Kuchen herzustellen, blieb eigentlich keine Zeit, mir Gedanken zu machen, wie der Abschiedstag denn werden würde. So richtig planen kann man so was ja auch nicht. Ich hatte noch ein paar kleine Einzeltermine inkl. Handyabgabe, das noch wie neu aussah. Was wiederum den Servicemenschen gefreut hat, weil das wohl Seltenheitswert hat. Ich hatte alles in den Originalkarton gepackt, was ihn ebenfalls sichtlich freute. „Wenn Sie sehen würden, wie abgerotzt die von manchem Praktikanten nach zwei Monaten zurückkommen! Da kann ich die nur noch verschrotten.“ Uuups. Dabei ist das doch nur eine Leihgabe? Aber hier bewahrheitet sich wohl wieder einmal: Was nix kostet, ist auch nix wert.

Nach meinen diversen kleinen Terminen ist die Zeit dann gekommen. Eine liebe Kollegin aus Straubing ist extra erschienen und hilft mir. Und schon füllt sich die Küche. Es geht zu wie in einem Taubenschlag. Zu den Hochzeiten sind ca. 70 Leute da. Meine Chefin beginnt dann auch mit sehr, sehr zittriger Stimme eine Rede. Als Trainerin bin ich es gewohnt, exponiert vorne zu stehen. Damit bin ich fein. Aber ich mag es nicht, als Person im Mittelpunkt zu stehen und dem lauschen zu müssen, was über mich geschmettert wird. Die zittrige Stimme lenkt mich zum Glück von meinem Unwohlsein ab. Kennt Ihr die Traueranzeigen, wenn Menschen hochgelobt werden? Dazu hat Reinhard Mey mal ein Lied geschrieben. Es gehen laut Traueranzeigen immer nur die Guten. Die Blödmänner sind die, die es nie dahinrafft – wenn man sich den Inhalt mal genauer anschaut. So ähnlich ergeht es mir bei meiner Rede auch. Mei, muss ich ein feiner Mensch sein! 😀 So selbstkritisch bin ich dann schon, dass es auch manchen gibt, der sich freuen wird, mich nicht mehr zu sehen, denn ich kann schon auch echt anstrengend und penetrant sein – vor allem bei faulen Menschen. Die Rede endet, ich erhalte mein Geschenk, was nett ist, aber… ein Staubfänger. Dennoch ist viel Arbeit erkennbar, was ich als wertschätzend empfinde. Damit nicht genug, kommt danach die nächste Rede – vom Chef unserer Außenstelle im Knast. Und das muss man mal so sagen: Der kann es auch. „Könnt’s Ihr Euch vorstellen, was ich geschwitzt hab, als dieser Poltergeist zu mir in den Knast kam und meine Herren dort schulen wollte?“ Alles lacht – inklusive mir. Seine Angst sei dann aber sehr schnell verflogen, als er registrierte, dass mir (angeblich) sogar der Höchste der Russenmafia aus der Hand gefressen habe. Hat er aus meiner Sicht nicht. Er hat mich allerdings sehr respektiert, genauso wie ich ihn. Der nächste Lacher folgt: „Als ich meine Herren dann schon grinsend und winkend an den Maschinen sah, als die Lady immer wieder zu uns kam, war ich irgendwann dann doch wieder beunruhigt – aber dann war’s ja auch schon zum Glück vorbei.“ Und dann zieht er seine Kappe (in meinen alten Breitengraden besser als „Patsch“ bekannt) ab, verneigt sich vor mir und sagt: „Chapeau, meine Liebe. Du hast einfach einen geilen Job gemacht, und ich sehe den großen Verlust auf unserer Seite, weil Du gehst.“ Joa, da schluck‘ ich dann schon eher.

Ich erinnere an eine lustige Geschichte relativ zu Beginn mit einem Kollegen, sage, dass ich keine Lust hätte, eine Rede zu schwingen, ich mich allerdings für die gute, wertvolle Zusammenarbeit bedanken möchte. Immerhin hab ich ja hier die Guten um mich herum versammelt. Da kann ich das guten Gewissens und voller Überzeugung sagen. Als munter gemampft wird, lasse ich den Blick über die Anwesenden schweifen und grinse: Ich hab hier echt die Exoten und Kantigen um mich herum versammelt. Und ja, das ist tatsächlich eine Stärke von mir: Ich erkenne das Potential in den Leuten. Zweifler, Bedenkenträger, Unbequeme mag ich einfach und höre hin, was sie vorbringen. Da sind so viele richtige und wichtige Hinweise dabei, dass ich nur dankbar sein kann. Im Gegenzug schätzen sie genau das: Hinhören und nicht direkt abwinken oder Augen verdrehen. Und hat man einmal deren Loyalität, dann ist diese einem ganz und gar gewiss. Es ist ein buntes Bild, das sich mir bietet. Ich bin innerlich völlig friedlich, glücklich und zufrieden. Mit denen hier war es eine echt gute Zeit.

Nach dem Aufräumen schießen mir dann doch kurz die Tränen in die Augen. Meine engste Kollegin weint doch noch und sagt: „Ja, ich weiß, wir bleiben weiterhin befreundet, aber so eine Kollegin hatte ich noch nie.“ Und wie sie so weint, fällt es mir schwer. Die Abgabe meines Ausweises kann nur noch per Briefkasten erfolgen, weil um 16:15 Uhr bereits niemand mehr im Personalbüro zugegen ist. Klar, oder? Ich fahre heim, wo ich erst mal alle Kuchenformen auspacke. Ich schaue mir die Geschenke in Ruhe an und bin echt gerührt. Meine engeren Freunde haben mir zwei größere Brotzeitbrettl gelasert. Ein Motiv ist eine Karte von München, damit ich den Weg zurück finden kann, sollte es mich dann doch in die Ferne verschlagen. Das andere Motiv ist ein Drache, der mir richtig gut gefällt. Der Feuerdrache in mir jubiliert entsprechend laut. Dazu gesellen sich zwei kleinere Brettl, die je ein Lebensbaum ziert – starke Wurzeln, solider Stamm und eine ausladende Krone, damit ich mich gut entfalten kann. Und dann noch eine Schultüte, in der sich Sprüche befinden, die mir Mut zusprechen sollen, wenn ich dann doch mal zweifeln sollte. Ach man, die sind schon süß. Ein anderer aus unserer Vierergruppe wird aus meiner Sicht auch nicht mehr allzu lange in dieser Firma ausharren.

Ich hocke auf meinem Sofa und horche in mich rein. Ein wenig besorgt bin ich schon, ob mir Zweifel kommen könnten, ich alles infrage stellen würde und Panik in mir hochkäme. Doch da ist nichts. So hab ich mich damals gefühlt, als ich nach Aachen gezogen bin und mir sicher war, ich würde den Schritt bereuen – so war es mir schließlich prophezeit worden. Da hab ich auch in meiner Wohnung gehockt und auf niedergeschlagene Tage gewartet, die nie kamen. Das ist echt so ein Phänomen: Habe ich einmal eine Entscheidung getroffen, dann lebe ich mit dieser bzw. freue mich auf das, was kommt. Nicht ganz ohne Ehrfurcht vor allem, aber eben ohne Zweifel, dass der Schritt der falsche gewesen sein könnte. Ja, es kann sein, dass der neue Job nicht der richtige sein wird. Ja, es kann sein, dass der erste Schein getrogen hat. Aber dann kann ich immer wieder weiterziehen und muss nicht in der Unzufriedenheit verharren.

Gestern war ich dann mit meiner engsten Kollegin und mittlerweile Freundin zur Brautdirndl-Anprobe bzw. bei der Änderungsschneiderei. Und da unterhalten wir uns dann schon auch über die vielen Paare, die wir kennen, bei denen sich so häufig mindestens einer arrangiert. Das finde ich einfach nur schrecklich. Versteht mich nicht falsch: Kompromisse sind echt gut. Nur darf man sich nicht vollständig aufgeben und alles verdrehen müssen, wofür man steht. Das kann doch auch kein*e Partner*in der Welt wirklich begrüßen? Im Job ist es ähnlich: Ich kann doch nicht jahrelang meinen Job verabscheuen und trotzdem jeden Morgen hingehen? Das macht auf Dauer aus meiner Sicht krank. Und doch kenne ich etliche, die so sind. Weit mehr sogar, als ich zufriedene Menschen in ihrem Job kenne. Das finde ich erschreckend. Daher bin ich dann doch ein bisschen stolz auf mich, den Schritt zu wagen und mich – mal wieder – neu zu erfinden. Wenn’s nicht belohnt wird, hab ich einfach jede Menge neue Erkenntnisse für mich gewonnen. Und das zählt doch unterm Strich, oder?

letzte Tage

Am Ende wird alles gut, heißt es. Und ja, so fühlt es sich auch an. Nach einigen Achterbahnschleifen, mancher Wut, dem einen oder anderen wenig wertschätzenden Kommentar geht es mir gut. Es gibt Geld, das mir auf den letzten Metern dann doch nicht zustand – nachzulesen im Kleingedruckten. Ja, das war unschön… und unnötig. Alle waren überrascht, denn die kleingedruckte Klausel hat mit Logik nichts zu tun, ist höchstens kleinkariert. Und ein Gespräch mit einer Personalerin, die Gründe für meinen Weggang erfahren wollte und mich nach siebenminütiger Wartezeit dümmlich informierte, es sei halt ein wichtiges Telefonat dazwischengekommen, und dann nicht ein Wort notiert hat, hat zunächst auch nicht gerade zu meiner Erheiterung beigetragen. Das fehlende Engagement mancher meiner Teamkollegen für ihr Projekt hat mich zwischendurch auch nahezu sprachlos gemacht. Immerhin hat meine brummelhohle, völlig unfähige, dafür aber faule Kollegin gesagt, sie würde den Hut vor mir ziehen, dass ich sogar jetzt noch so ein Engagement an den Tag lege. Sie hätte das in ihrer alten Firma nicht getan. Ich korrigiere sie nicht, indem ich sage: „Machst Du hier ja auch nicht.“ Nein, ich pfeife es mir. Doch sie bringt mich an einen Punkt, an den ich nicht gerne gekommen wäre, denn sie sagt: „Du kannst mich ja eh nicht leiden.“ Ich lasse mich zu etwas hinreißen, was ich noch nie gesagt habe: „Sei mir nicht bös, aber Du spielst in meinem Leben schlichtweg keine Rolle. Du kommst quasi gar nicht darin vor.“ Sie zuckt nicht mal. Sie ist einfach nur stumpf. Dabei regt sich in mir kurz ein schlechtes Gewissen – obwohl ich „nur“ die Wahrheit gesagt hab.

Nun sind es noch zwei Tage, wovon einer – nämlich am Montag – in einer Kuchenschlacht enden wird. Meine Chefin ist zur Ruhe gekommen, nachdem sie mich wochenlang wie ein Eichhörnchen auf Speed täglich gepusht hat, was sie noch alles von mir brauche. Letzte Woche ist ihr die Puste ausgegangen. Sie hat deprimiert gesagt, sie wisse derzeit nicht, wie es weitergehen soll? Mich hätte sie ja nie motivieren müssen, aber meine Kollegen? Und soll ich Euch was sagen? Es wird dennoch laufen. Nicht, wie ich es machen würde. Doch das muss es ja auch nicht. Und damit mache ich meinen Frieden. Wieviele noch unbedingt mit mir einen Kaffee trinken, sich bedanken, private Nummern austauschen wollten in dieser Woche, ist schon echt ein wunderbares Geschenk. Und so werde ich gehen in dem Wissen, nicht die Welt verbessert, aber doch hier und da Impulse gesetzt zu haben. Sogar freiberufliches Arbeiten für den einen oder anderen kann ich mir vorstellen. Warum nicht? Ich kann ja aussuchen, mit wem ich dann arbeiten werde und mit wem nicht.

Ich schätze, es ist so, wie mit einer Trennung. Da durchläuft man auch alle Phasen. So fühlt es sich jedenfalls an. Und nun bin ich bei der Akzeptanz angelangt. Am Montag kommen ca. 80 Leute vorbei auf ein Stückchen Kuchen. Wenn das mal keine Wertschätzung ausdrückt. Ob ich ein paar Tränchen verdrücken muss, wird sich noch zeigen. Im Moment überwiegt die Freude. Dem ein oder anderen singe ich derzeit zu viel. Gestern kam auch ein: „Du grinst mir eindeutig zu viel.“ Naja, es fühlt sich eben nach Freiheit an, nach Aufbruch. Und das ist ein schönes Gefühl.

Junge, lies keine Nachrichten von Deiner Perle!

Noch vier Wochen. Noch vier Montage – unnütz wie eine dritte Schulter, aber eben nur noch viermal. Diese Tage lassen mich immer um Jahre altern. Herrlich ist es besonders, wenn meine Chefin mich direkt anspricht und dann befragt, andere dann aber ihre Meinung stattdessen lossabbern. Bei der vierten Aufforderung an mich, habe ich tief Luft geholt. In dem Maße ist das nie ein gutes Zeichen. Ich hab dann auch mal spitz angemerkt, dass es schon interessant sei, wenn ich explizit gefragt würde und andere dann antworten würden. Da ist dann immer betretene Stille wie bei ertappten Fünfjährigen. Nur leider ohne nachhaltige Lernkurve, aber mei, ich wiederhole mein Mantra: Noch vier Wochen. Ich hatte meine Chefin letzte Woche auch darauf aufmerksam gemacht, den Regelrunden fernbleiben zu können, da ich in der Zeit doch an den für sie wichtigen Themen arbeiten könnte. Hat sie auch eingesehen, nur um mich dann heute doch dazu zu bitten. Sie wolle doch soooo gern noch meine Expertise und Verbesserungsvorschläge dazu hören. Nur um beiden eh nicht nachzugehen. Mantra hin, Mantra her – ich brauche Valium.

Da ich da nicht so ein einfach rankomme und mir leider eh die Rezeptoren für Opiate fehlen (leider kein Scherz), mache ich einfach ein hübsches Alternativprogramm. Ich gehe essen und anschließend ins Kino. Tatsächlich wage ich mich in eine Sneak-Preview. Ich hab meiner Begleitung abgerungen, dass wir fummeln, wenn der Film schlecht sein sollte. Ein zweites Mal halte ich nämlich keinen Film wie „Mother“ nüchtern oder alternativ ohne zu fummeln aus. Meine Kino-Begleitung hat’s mit einem Lachen und Bestätigung quittiert. Tja, noch lacht er. Wenn es ein schlechter Film wird, muss er die alte Frau bespaßen. Ich überlege, was ich mir wünschen soll? 😉

Und so stehe ich mal wieder bei der Eiseskälte an der S- Bahn. Da kommt eine junge Frau des Weges. Irgendwie haben die ja alle iPhones heutzutage. Und da telefoniert man nicht mehr, weil es „cringe“ ist (oder was sie sonst so dazu sagen). Anstelle eines Telefonats facetimen sie. Das Old-School-Android-Weibchen in mir bezeichnet es als schnöde Videotelefonie. Die Gute poltert los: „Ja echt! Und dann hat der die ganzen Nachrichten gelesen! ALLE!! Und dann auch noch ihre Mails, Junge!“ Hier hätte ich eher zu „Alter“ tendiert, aber hey, es sind Nuancen. Und schon mault sie weiter: „Ich hab ihr so gesagt: ‚Das geht nicht! Du liebst den doch nicht! Du brauchst nur Aufmerksamkeit, weil Du ein Jahr lang keine bekommen hast.'“ Ich schließe daraus, die Gute war ein Jahr lang Single. Und nein, ich will nicht zuhören, kann mich dem aber nicht entziehen, weil es SO LAUT IST, da die Dame sich so ereifert. „Die hat dann auch gesagt, das stimmt schon, aber sie weiß auch nicht, Junge! Ist das zu fassen?!“ Nein, ist es nicht. Die Gegenseite ist dann echt ein Kerl und im Vergleich eher leise. Macht aber nichts, da sie ihm ohnehin ins Wort fällt und sich weiter auslässt. Ganz gemütlich prökel ich mir meine Kopfhörer in die Öhrchen, was sie kurz irritiert aufschauen lässt. Ja, Herzchen, Du bist verdammt laut. Aber ich kann sie verstehen.

Und so schmunzel ich vor mich hin und denke an ein Gespräch in Straubing, wo ich am Samstag zu einem 50. Geburtstag war. Der Chef von dort ist mit seiner Frau auch anwesend. Wir klönen, haben Spaß – sie mit Alkohol, ich nüchtern. Dann fragt sie: „Bist Du eigentlich Single?“ Was ich natürlich bestätige. Da prustet sie zum Leidwesen ihres Mannes raus: „Ach deshalb ist die so ein fröhlicher Mensch!“ Wir Frauen lachen, die Herren schauen pikiert. Ob die wohl auch die Nachrichten ihrer Frauen gelesen haben?! Ich weiß es nicht. Genauso wenig, wie ich weiß, ob ich mir einen schlechten Film wünschen soll oder nicht. Wir werden sehen. 😁 JUNGE! So.

Altersblindfisch

Es ist Sonntag, die Welt liegt verschneit in weiß ruhig da. Heute geht’s ins Kino. Endlich, endlich schaue ich mir Avatar an. Wenn das mal kein Grund zur Freude ist! Einziger Wermutstropfen: Ich muss mir nach langer Zeit noch mal Kontaktlinsen reinprökeln. Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Wäre es so, wäre ich ja geübt im Prökeln. Bin ich aber nicht. Wobei das Reinfummeln wesentlich leichter geht, als das Rausfummeln heute Abend. Und ja, ich merke gerade selber, dass es wie die Einleitung zum Softporno klingt. Ich kann allerdings sagen, dass die Gefühle, die dabei aufkommen, weit auseinanderdriften. Wobei ich das natürlich auch nicht wirklich beurteilen kann, da ich nie etwas Derartiges gedreht habe. 

Bevor ich mich nun aber um Kopf und Kragen schreibe, hier die eigentliche Botschaft: Ich trage die Kontaktlinsen ausschließlich, weil ich nachher eine 3D-Brille während des über dreistündigen Films tragen werde. Wenn Avatar, dann in 3D. Mir persönlich wäre eine D-Box noch lieber gewesen, wo sich der Sitz entsprechend mitbewegt. Nur sind die Plätze immer sofort vergriffen. Und eigentlich wollte ich mit einer Freundin hingehen. Dann hat ein Kollege/ Freund das gehört und wollte mit. Da wollte ich dann den Vierten aus unserer Essensrunde noch fragen, der mir eröffnete, vor ein paar Stunden Karten für sich, seine Freundin und ebenjenen Kollegen geschossen zu haben, der eigentlich bei uns mitgehen wollte. Ich konnte noch zwei Karten organisieren. Und so fiebern wir nun nicht ausschließlich dem Film entgegen, sondern ebenso dem doofen Gesichtsausdruck unseres Kollegen. Ja, manchmal sind wir schon echte Biester. 

Demgegenüber steht meine ganz eigene Herausforderung: Ich bin kurzsichtig… seit Jahren. Mit fortschreitendem Alter kommt nun jedoch so eine dämliche Altersweitsicht hinzu. Die beiden heben sich jedoch nicht gegenseitig auf. Nein, nein. Sie führen eine Art schlechte Beziehung: Sie leben ohne Rücksicht auf Verluste nebeneinanderher. Mit Brille bedeutet das, ich zieh die Brille ab, wenn ich lese, an meinem Handy Nachrichten schreibe usw. Für alles andere hab ich hübsch die Brille auf der Nase. Bei den Kontaktlinsen geht das natürlich nicht. Genau aus diesem Grund muss ich heute Abstand zu Menschen halten, um sie scharf sehen zu können. Ich muss über meine Alterszicken lachen und ernte den Spott meiner Freundin, die mir höflich anbietet, den Blindenführer zu übernehmen. Ja ja, wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung, ich weiß. 

Hinzukommt etwas, das jeder Mann sicherlich nur zu gut verstehen kann: Die Herausforderung beim Schminken. Da ich ungeübte Kontaktlinsenträgerin bin, kann ich die Augen nicht vorher schminken, da sie vermutlich noch tränen werden. Versucht mal, Eyeliner, Kajal und Wimperntusche aus der Entfernung aufzutragen. Ich kann Euch sagen: Es ist nicht so einfach. Und dass ich dauernd über mich selbst dabei lachen muss, macht es nicht besser. Naja, im Kino ist es ja immerhin dunkel, gell? Daher bin ich gespannt, wie es wird, bevor eine weitere, vermutlich irre Woche auf mich wartet. Euch wünsche ich einen genialen Wochenstart!

Lügen und Lichtblicke

Es ist schon der Wahnsinn, was so läuft, wenn man kündigt. Welche Leute welche Informationen streuen, da wundere ich mich schon. Die meisten raten mir, mich entspannt zurückzulehnen und das Schauspiel zu genießen. Das fällt mir hingegen aber nun mal schwer.
Und so arbeite ich nach wie vor ganz normal bzw. nicht ganz so normal. Denn normal wäre es, freitags nicht zu arbeiten – so ist es vereinbart. Mein Gleitzeitkonto steigt und steigt hingegen. Einmal habe ich freitags nachgegeben, damit es besser für meine Chefin läuft. Und schwups sehe ich mich gestern wieder vor dem Rechner hockend und eine Bachelorarbeit Korrektur lesen. Da geht es weniger darum, der Firma was Gutes zu tun, als vielmehr darum, den Bachelor-Studenten nicht hängen zu lassen. Sein Betreuer ist kein böser Kerl, nur einer, der immer so erschöpft und überfordert vom Leben ist, dass er meint, er müsse nun noch mehr auf sich achten. Prinzipiell ist das völlig in Ordnung, wenn man gut für sich sorgt. Wenn man dabei andere aber komplett hängen lässt und drei Tage frei nimmt, nachdem man fünf Wochen krank geschrieben war (denn es ist ja sooo anstrengend, wenn die Frau Zuhause einfach deprimiert ist, weil ihr Job so mies ist und sich deswegen bereits neun Wochen krank schreiben lässt), dann…finde ich das nicht mehr ganz so fair. Der Student fängt dabei die Termine von diesem Kollegen auf, geht in Rücksprachen, die eigentlich ein festangestellter Berater führen müsste und darf sich dann noch von unserer völlig stumpfen, ignoranten Chef-Chefin anschnauzen lassen, dass er das Projekt verbocke. Wohlgemerkt: Er ist „nur“ Bacherlorand bei uns. Und die Ansprechpartner für das Projekt sind mit ihm super zufrieden und maulen lediglich herum, weil der eigentlich Zuständige nie da sei und sie das Schlimmste befürchten, wenn der Student dann geht. Unsere Chef-Chefin will ihn mit einem Minipups-Gehalt für ein halbes Jahr festanstellen und wähnt sich großzügig. Er hat abgelehnt, blitzgescheit, wie er ist. Die IT-Betreuung des Projekts hat davon Wind bekommen und ihm ein viel üppigeres Angebot gemacht und stellt es hin, wie es ist: Sie brauchen ihn. Bei unserer Chef-Chefin ist da kein Verhandlungsspielraum. Und das könne ja quasi jeder X-Beliebige erfüllen. In der Annahme geht sie so was von fehl. Aber hat es eine Konsequenz? Nein. Und das ist irgendwie erschreckend, oder?
Die Betreuung der Bachelorarbeit geht somit nur leider komplett unter. Das ist hingegen die Aufgabe unserer Firma. Juckt das jemanden? Wohl kaum. Meine Kollegin kümmert sich – ich unterstütze dabei…und bin wieder einmal fassungslos, wie wir mit Menschen umgehen. Da wundert sich doch keiner mehr, wenn junge Menschen keine Loyalität zu einem Unternehmen aufbauen können. Der junge Kerl bedankt sich auch mehrfach bei uns, während ich mich nur schäme, was da so abläuft.

Derweil kommt einer meiner direkten Kollegen mal wieder ins Plaudern. Er war bei unserem obersten Boss, den ich ja mit jeder Faser meines Körpers hasse. Dieser erkundigt sich auch bei meinem Kollegen, wohin ich denn wechsle? Warum kann der Sackarsch nicht das Gespräch mit mir suchen, wenn es ihn doch so interessiert? Und dann berichtet mein Kollege grinsend: „Er hat dann allen Ernstes gefragt, ob Du noch was abgreifen könntest bei uns?“ Hier lacht er: „Als wären die Unterlagen der Externen auch nur eine Pfifferling wert.“ Ich weiß, es sollte mir am Heck vorbeigehen. Tut es nur leider nicht. In mir krabbelt eine Wut hoch, die ich irgendwie kontrollieren muss, sonst ziehe ich doch noch um die Ecke und kacke ihm auf die Fußmatte – zumal dieser Sackarsch ja direkt um die Ecke wohnt. Ich habe etliches in diese Firma reingetragen – Bücher, Spiele etc. Von allen Ausbildungen habe ich Sachen herangekarrt und dort eingebracht. Und da befürchtet dieses kranke Hirn, ich könnte was von den uralt-Lavendel-Kack-Unterlagen abgreifen? Ich schäume innerlich vor Wut.
Leider habe ich auch noch eine Abschlussveranstaltung zu einem Projekt einer großen Umstrukturierung, die so derbe Grütze gelaufen ist, dass sie einige Kündigungen seitens der Mitarbeitenden nach sich zog – nicht derer, die man gerne mal verliert, sondern derer, die wirklich Power hatten und was bewegen wollten. Innerlich schäumend, gehe ich dorthin und denke: Ich habe so viele tolle Menschen hier kennengelernt, aber hier in diesem Raum befinden sich gerade die ganzen Schwachmaten auf einem Haufen. Und dann wird auch schon munter losgelogen, dass sich die Balken biegen. Die Obersten klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und beglückwünschen sich zu diesem genialen Geniestreich, der leider das genaue Gegenteil war. Eine Kollegin aus einer anderen Abteilung legt mir irgendwann die Hand aufs Bein und raunt mir zu: „Reg´ Dich nicht so auf. Ist doch schön, wenn sie es selber glauben. Du bist bald weg.“ Aber ich rege mich auf! Und wie! Als dann mein oberster Boss nach vorne geht und ein paar Worte sagt, was für eine tolle „Familie“ wir doch seien, glaube ich, fast zu ersticken. Als sie dem Plenum (oder besser gesagt Pöbel, wie mir) die Gelegenheit anbieten, nach vorne zu gehen und ein paar Worte von sich zu geben, spiele ich kurz mit dem Gedanken, dem tatsächlich nachzukommen und ihnen einfach kurzerhand vor ihre Füße zu speien. Ich tu´s nicht, denn ich weiß schon noch, was sich gehört – auch wenn diese Hampelmänner es schon lange nicht mehr wissen. Abends sind wir dann noch mal eingeladen – zum „get together“. Ich gehe hin, um mir diese Farce noch ein letztes Mal zu geben. Ich treffe auch gute Leute dort. Ein Manager sagt zu mir: „Und Du verlässt uns also?“ Aus mir wird niemals eine Diplomatin: „Nach der Lügenparade ist das kein schwerer Schritt.“ Sofort rückt er näher und wird leiser: „Ach was…so schlimm ist es doch nicht, oder?“ Ich schaue ihn an: „Glaubst Du den Scheißdreck, den sie da erzählt haben?“ Er zuckt mit den Schultern und grinst: „Ich stelle da immer auf Durchzug und mache einfach mein Ding.“ Wieso kann ich nicht so sein? Wieso kann ich nicht einfach nicht hinhören, hübsch lächeln und alles an mir abprasseln lassen? Ich versteh´ mich selbst nicht.

Erst am nächsten Tag werde ich wieder ruhiger. Es bringt nichts, mich an diesen gestörten Hirnis abzuarbeiten. Diese Welt wird nie die meine sein. Demgegenüber steht dann eine Nachricht, die ich von einem Studenten erhalte, den ich vor über einem Jahr betreuen durfte. Er schickt mir Fotos und ein Video von seinem ersten Flug, den er ganz allein vollbracht hat. Wenn seine Piloten-Ausbildung geschafft ist und er dann offiziell fliegen darf, wird er schauen, wann ich mal mitfliegen kann. Ich schätze, deshalb macht es ein Teil von mir auch: Ich lese die Arbeiten der Studis, unterstütze sie, tausche mich mit ihnen aus und höre ihnen zu, weil ich möchte, dass eine andere Kultur entsteht. Eine Kultur, in der es wieder menschlicher in Unternehmen zugeht. Eine Kultur, in der man offen seine Meinung sagen darf und es gewünscht ist, Abläufe und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. In der es von Vorteil ist, nicht nur stromlinienförmig zu schwimmen und wie Teflon alles an sich abperlen zu lassen, was einem nicht gefällt. Darauf hoffe ich. Die nächsten Wochen werden spannend. Wenn ich kann, werde ich ein, zwei Gänge zurückschalten. Ändern werde ich an den Entscheiderstellen sicherlich nichts mehr, aber vielleicht lege ich gutes Saatgut in den Studis, mit denen ich zusammenarbeite. Schließlich sind die die Zukunft – und auch zukünftige Führungskräfte.

erst Mitte Januar

Wir befinden uns erst in der dritten Januarwoche. Mir kommt es so vor, als hätten wir bereits die Jahresmitte erreicht. So macht das echt richtig viel Spaß…oder eben auch nicht. Zwischenzeitlich haben sie sogar mein Firmenhandy platt gemacht, dass ich nicht einmal mehr telefonieren konnte. Nun muss man nicht meinen, dass der oder die Verursacher*in sich dann entschuldigt oder gar bei der Wiederherstellung unterstützt. Nein. Anderer Leute Fehler darf ich hübsch selbst ausbaden. Und da schwillt mir dann doch ein wenig der Kamm zwischendurch. Es hat mich Tage und Nerven gekostet.

Dazu kommt dann meine wirklich brummelhohle Kollegin. Es schockiert mich nach wie vor, wie man sie einstellen konnte. Sie erledigt nahezu ausschließlich Orgaaufgaben. Etwas anderes traut man ihr nicht zu. Sie hingegen fühlt sich mächtig wichtig, was schon beim Zusehen Fremdscham pur entstehen lässt. Das ist so ein Effekt, wie bei „Deutschland sucht den Superstar“. Da gehen ja auch Menschen hin, die partout nicht singen können, aber glauben, die Welt habe auf ihre Gesangskünste gewartet. So was lässt mich immer staunen. Meine Kollegin passt da optimal rein.

Sie hat zu einem Netzwerktreffen eingeladen, das zwei Tage dauert. Den Ablauf haben andere Kolleg*innen erstellt. Die Moderation erfolgt durch einen externen Berater. Den Input, was es noch braucht, liefern wiederum andere Kolleg*innen. Fürs Catering, Raumaufbau und dergleichen hat sie einen Studenten, der echt auf Zack ist. Sie macht also quasi gar nichts – außer sich wichtig. Und das Traurige ist: Sie meint wirklich, alles geregelt zu haben und voll im Stress zu sein. Gut, ich muss schon sagen, sie hat ganze fünf Flipcharts gepinselt. Die brauche ich allein für einen einstündigen Workshop, aber gut. Und dann wimmeln diese Flipcharts vor Fehlern. Ich unterdrücke das hochkrabbelnde Fremdschamgefühl wieder. Ansprachen mit „Herrschaften!!!“ liebe ich dann mal so richtig. Dabei betont sie ja immer und immer wieder, Kommunikation sei ihre Stärke. Das wäre so, als würde ich behaupten, Geduld sei meine Stärke.

Mein ehemaliger Chef und Wortakrobat rettet zumindest den ersten Tag für mich. Er darf eine Gruppenübung moderieren und stellt anschließend die Ergebnisse im Plenum vor. Und dafür könnte ich ihm die Füße küssen. Andernfalls hätte ich nie Wörter gelernt, wie „Innovativizität“. Ich mag auch das „Porzfolio“, wobei ich es dann, glaube ich, „Potzblitzfolio“ genannt hätte, aber hey, jeder kreiert so seine ganz eigenen Neologismen. Eine Aussage von uns war, dass hin und wieder ein qualifiziertes „Nein“ durchaus was für sich hätte. Er macht daraus ein „qualifizierendes Nein“. Ich frage mich, was oder wen das Nein qualifizieren soll? Aber er ist so süß dabei mit seinem bayrischen Dialekt, dass es eine wahre Wonne ist. Ich habe mich später auch für seine Wortakrobatik bedankt. Da hat er nur lachen können und gemeint: „I woaß scho. Oba mia fällt´s net auf.“ Ach was! Er ist echt schnuffig. „Woaßt, heit´ würd´ i mia a Schein holn mit Legasthenie.“ Was soll man da für einen Schein bekommen? Das weiß er auch nicht so genau. Aber er hat eine Lese-Rechtschreibschwäche. Daher kommen manchmal auch die abstrusesten Sätze heraus. Das ist kein Auslachen, sondern ein mit-ihm-Lachen, was richtig Spaß macht und dem ganzen Sums Humor mitgibt. Andernfalls würde ich auch Amok laufen müssen.

Der krönende Abschluss ist aber etwas völlig anderes. Unsere Chef-Chefin, die es nur an einem Tag schafft, dabei zu sein, schaut die restliche Zeit fast ausschließlich auf ihr Handy. Auch hübsch, dass sie bei ihrer Führungsrunde erzählt, wohin ich wechseln werde und was meine künftige Tätigkeit sei, ohne je mit mir auch nur das kleinste Wörtchen darüber geredet zu haben. Sie erteilt mir dann im Lauf des Tages so etwas, wie eine Absolution. Wohin ich denn gehen würde, also wenn sie das fragen dürfe? Und ich denke nur: Du dumme Mistmatz weißt es doch längst. Und was die machen? Aha, aha…und dann: „Ich bin Dir auch nicht böse. Ganz im Gegenteil!“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch: „Im Gegenteil? Du freust Dich also?“ Zack, wird sie hektisch: „Nein…äääh…nein, das meine ich nicht. Ich…ääääh…freue mich nur für Dich, dass Du was gefunden hast, was Dir gefällt.“ Ich weiß, ich bin böse. Aber für ganz schlechte Führungsleistung bekommt sie kein Ei-Ei. Und dann strahlt sie auch schon wieder: „Ich bin ja mal gespannt, was Du dann später erzählst, wie es da ist. Vielleicht können wir das ein oder andere ja auch für uns übernehmen?“ Hossa! Sie glaubt ernsthaft, wir bleiben in Kontakt? Ohne mal nachzufragen? Und wenn ich ihr auch nur den kleinsten Tipp geben sollte, dann nur mit Beraterhonorar. Und überhaupt: So vieles, was ich einbringen wollte, wurde nicht berücksichtigt, weil wir ja ach so wichtigen anderen Mist erledigen müssen. Die Frau ist echt der Kracher – und so stumpf, wie kaum jemand anderes. Sie mag mich. Zu anderen ist sie richtig Scheiße. Aber sie merkt nicht einmal, wie vielen Leuten sie vors Schienbein tritt.
So dann auch das Highlight am Ende: Als Dankeschön überreicht sie meiner brummelhohlen Kollegin und dem fleißigen Studenten eine Tasse mit unserem Abteilungs-Logo drauf. Meine Freundin neben mir schaut mich an, während ich rüberflüstere: „Ich kann Dich nicht anschauen, sonst fange ich laut an zu lachen!“ Es ist ein verkacktes Werbegeschenk, das der Student es nachher vor mir passend kommentiert: „Weißt Du, da hätte sie besser einfach nur `danke´ gesagt und dann den Mund gehalten.“ Oooooh, ich verstehe genau, was er meint.

Dafür bekomme ich gestern dann noch Feedback von eben diesem Studenten, was mein Herz erwärmt. Er musste so viel dummen Kram für Kolleg*innen erledigen. Für mich hat er gar nichts machen müssen. Da wir aber einen Lehrauftrag haben, habe ich ihm letztes Jahr und dieses Jahr angeboten, zu Schulungen von mir dazuzukommen. Er hat beide Male begeistert zugesagt, sich richtig gut eingebracht und mitgemacht. Zudem sitzt er immer in all unseren Meetings – auch in denen von der Akademie. Letztens meinte er: „Du gehst auch gern dahin, wo es weh tut. Aber irgendwie ändert sich da trotzdem nichts, weil die anderen es nicht sehen wollen.“ Gestern hat er sich dann bedankt für die Einladung zu meinen Schulungen. Was er gelernt habe, wie ich sein Interesse geweckt hätte – er hätte sich nur einen einzigen Prof gewünscht, der das mit so einer Begeisterung gemacht hätte. Und dann kommt´s: „Durch Dich habe ich jetzt erstmalig die Idee gehabt: Das könnte ich mir vorstellen, später zu machen. Wenn man auch so Wissen vermitteln kann, dann kann ich mir das richtig gut für mich vorstellen. Danke für die Inspiration!“ Atmen…atmen und Tränchen weghecheln. Das erwischt mich echt eiskalt. Ich mag den Kerl eh und finde seine wertschätzende Art, seine Neugier und sein vorausschauendes Mitdenken einfach toll. Aber vor allem kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er Menschen schult, begeistert und mit ihnen Sachen entwickelt. Entsprechend versorge ich ihn mit allerhand Material aus meinem Trainer- und Coach-Fundus, was er begeistert annimmt. Und so ist es ja: Wenn Du nur einen Menschen wirklich erreichst, dann ist das schon eine Menge. Ich bin einfach selig.

Da kann mich auch diese Hetzjagd hier, noch möglichst alles von mir abzapfen zu können, gerade nicht mehr so ärgern. Zwischendurch ist es nämlich schon so, dass ich mir wie eine Kuh vorkomme, aus der man noch den letzten Tropfen abzapft. Da darf ich dann auch noch lernen, meine Grenzen zu wahren. Das gelingt mir maximal mäßig. Aber was ich schon auskoste, ist das Rauskrähen: „Ich habe übrigens gekündigt!“ Ach, das ist so befreiend! Meine Freundin und Kollegin hat eventuell einen anderen Job innerhalb der Firma in Aussicht, wofür ich ihr die Daumen drücke. Und einige Kolleginnen teilen den Frust, in dieser Abteilung unglücklich zu sein und sich permanent die Frage zu stellen: „Was arbeiten wir hier eigentlich? Wo ist der Sinn des Ganzen?“ Da kann ich nur tief durchatmen und sagen: Alles richtig gemacht. Es wird nicht alles golden sein in der nächsten Firma. Und doch wird es nicht so ein Kollektivfrust sein mit durchweg wegschauenden Verantwortlichen. Das ist doch mal ein Anfang.