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Warum muss ich denn unbedingt gefallen?

Hurra, mein Zug ist pünktlich. Deutsche durch und durch, halte ich mich dann auch brav an die Vorgabe und zahle den höheren Fahrpreis. So ein NRW-Ticket hätte mich weniger gekostet, aber es gilt erst ab neun. Murphy’s Law tritt natürlich wieder ein: Es kommt kein Kontrolleur. Hätte ich die andere Variante gewählt, wäre einer gekommen. Das steht zu 1000 % fest. Nett finde ich dann auch das Gespräch, das ich vom treuen Enkel mitbekommen kann. Nicht nur ich habe ein Exklusivrecht darauf, sondern auch alle anderen in meinem Zugabschnitt. Der junge Mann ist eben rücksichtsvoll und spricht so laut, dass Omma ihn auch verstehen kann. Er rät Omma dringend, dass Oppa über ihre Medikamente wachen solle, weil: „is ja wichtig, ne Omma?“. Wenn sie es auch nicht verstehen sollte, wir sind alle seine Zeugen. Es geht übrigens nach Teneriffa. Interessiert nicht? Nö, mich auch nicht. Zuhören muss ich dennoch. Und dann legt er mit: „Tschüss, Omma, ne?“ auf. Anschließend erzählt er seiner Freundin noch mal, was Omma so gesagt hat. Wahrscheinlich hört die Gute aber auch nicht mehr so recht, denn die an Omma angepasste Lautstärke wird nicht verändert. Ihre Antworten hört man dann aber leider nicht, weil sie der Umgebung angepasst leiser spricht.
Mein heutiger Workshop ist als ok zu bezeichnen. Gestern war mehr Handwerkszeug dabei. Heute ist es eher mau darum bestellt. Und ich registriere mal wieder ganz stark, wie abhängig so ein Workshop vom jeweiligen Trainer ist. Die Dame gestern war mir sympathischer. Die heutige ist nett, aber der kühle, distanzierte Typ. Gestern war es nahbarer, freundlicher und auch informativer. Aber der Stachel der gestrigen Kritik des Besserwissers sitzt noch tief. All das Gute, Wertschätzende und Lobende steht im Hintergrund. Was zählt, ist der Kritikpunkt. Dieser Mensch, den ich auf Anhieb unsympathisch fand, hatte angemerkt, er fände meine Mimik übertrieben, und daher wirke ich nicht authentisch. Hm. Kleingeistig meinerseits, aber es pestet mich. Ja, ich habe eine starke Mimik, denn das bin ich. Das war ich immer schon. Auch schon, als die böse Omma meinte, ich solle mit dem Fratzenschneiden aufhören, da sonst das Gesicht so stehen bliebe. Ich habe das damals immer mit einem Schulterzucken abgetan. Die Falten, die ich bereits besitze, zeigen deutlich, wie stark meine Mimik schon immer gewesen sein muss. Nun fand ich den Typen ja gestern schon doof. Seine Meinung kann mir doch mal geschmeidig am Heck vorbeigehen. Tut sie aber nicht. Und das ärgert mich zu Tode – zumal ich ja weiß, dass ich ihn heute wiedersehe. Danach wohl nie mehr, aber wertvolle drei weitere Stunden meines Lebens. Gottseidank ist aber noch ein anderer von gestern da, was weder der Miesepeter noch ich wussten. Und neben wen setzt sich der Nette? Neben mich. Ha! Das kleine, zickige, mimisch-akrobatische Mädel in mir führt innerlich einen kleinen Hexentanz auf. Nur mit Not schlucke ich ein: „Nänänänänä!“ herunter. Ist kindisch. Ist Fratzenschneiden auch. Na und?! Der Nette und ich plaudern. Wie ist es auch anders möglich, wenn er mich mit den Worten: „Ach, die Rheinländerin!“ begrüßt? Wir haben Späßchen. Miesepeter hat sich ein paar Stühle von mir entfernt hingesetzt. Ich glaube, wir mögen uns beide gegenseitig herzlich….also herzlich wenig.
Die Theorie umfasst einen Miniteil. Was mich stört, sind die tausend „Äh’s“ der Trainerin. Hin und wieder darf sich eines einschleichen, aber nicht so viele…und erst recht nicht nach 15 Jahren Tätigkeit. Und dann gehen die Präsentationen der einzelnen Teilnehmer los. Die erste Dame ist sehr aufgeregt, aber dennoch sehr gut, wobei sie selber denkt, völlig verkackt zu haben. Die Kritik heute ist viel wertschätzender als gestern, was mir gefällt. Es ist nicht eine Präsentation dabei, die mir so gar nicht gefällt. Nur eines fällt auf: Alle sind eher ruhige Persönlichkeiten. Das meine ich nicht als monoton. Ich habe nur nahezu komplett in sich ruhende Persönlichkeiten vor mir. Und dann komme ich, der Hibbel? Unbewusst passiert es: Ich sage noch eingangs, dass ich bewusst das Sitzen auswähle, weil ich sonst immer im Stehen referiere und das weniger Herausforderung für mich sei. Ich würde daher das Sitzen wählen, um das für das Vorstellungsgespräch zu üben. Was passiert, ist, ich passe mich an. Ich sitze ruhig, ich Rede flüssig und schlüssig und höre von der ersten Dame: „Wenn Sie meinen, Sie können das gut im Stehen, kann ich Ihnen sagen: Im Sitzen auch.“ Das freut mich natürlich. Der Besserwisser sagt, nun sei ich authentisch gewesen, also nicht wie gestern, sondern dieses Mal stimmig. Und der Nette? Er sagt, dass genau das nicht der Fall war. Ich könne reden, keine Frage. Das war ja auch nicht heutiger Bestandteil. Aber ich hätte mich kontrolliert. Ich hätte meine Hand festgehalten, quasi wie um mich selbst zu bremsen. Mein Temperament zeichne mich doch aus. Ich solle es leben und dazu stehen. Ich spüre, dass genau dies der Fall war. Ich habe mich zurückgenommen, um a) in dieser homogenen Gruppe nicht aus dem Rahmen zu fallen und b) um dem Tünnemann was zu beweisen. Und was habe ich ihm bewiesen? Wie dumm ich bin. Er, der völlig unwichtig ist, hat mich dazu gebracht, an mir zu zweifeln und mir nicht zu trauen.
Ich bewundere Menschen, die so völlig in sich ruhen. Solche, die beruhigend auf andere wirken. Allerdings bin das nicht ich. Ein ehemaliger Kollege hat mal gesagt: „Sie sind ein Dynamo!“ Und damit meinte er nicht, ich sympathisiere mit dem Dresdner Fußballverein. Es heißt, ich habe Feuer im Blut, Pfeffer im Pöppes oder wie auch immer man das nennen mag. Egal wie: Ich muss lernen, mehr auf andere zu pfeifen, mehr Selbstsicherheit zu gewinnen und zu meinen Kanten zu stehen. Ruhig und kontrolliert kann ich auch – steht mir aber nicht so gut.

Tuff, tuff, tuff, die Eisenbahn

Aaaaaah, ich liebe es, auf andere angewiesen zu sein und die Kontrolle mal vollkommen abzugeben. Ist doch wunderbar, wenn man so keinen Einfluss mehr auf die Umstände hat. Wer liebt das nicht? Ich finde das sooo toll, dass ich vor lauter Begeisterung kotzen könnte. Und so ist es, wenn man mit der Bahn fährt. Wie hieß der Slogan vor ein paar Jahren: „Mit den Besten ist man immer am strengsten“ oder so was in der Art. Wenn ich an Peru denke, wo Busse vollkommen überfüllt waren, Flugzeuge nach Gutdünken starteten oder Touren ohne Angabe von Gründen mal so gar nicht stattfanden, dann, ja dann würde die Bahn locker das pünktlichste, sauberste und freundlichste Fortbewegungsmittel sein. Komischerweise sind wir aber nicht in Südamerika. Ich mag ausgeprägte Defizite in der Orientierung haben und auch geographisch ein Vollhorst sein, aber selbst ich habe verstanden, wie weit diese Länder auseinanderliegen. Also zählen südamerikanische Vorkommnisse in der Beförderungsbranche nicht im Vergleich mit unserer Bahn.
Gestern durfte ich die Bahn schon nutzen. Morgens gab es fünf Minuten Verspätung. Das fand ich toll. Das gilt für mich noch als pünktlich. Zurück von Düsseldorf sah es schon anders aus. Mein Zug um 15:39 Uhr fuhr plötzlich mit fünf Minuten Verspätung von einem anderen Gleis ab. An diesem Gleis angekommen, gab es diese Verbindung auf einmal nicht mehr. Sie hatten diesen Zug einfach kommentarlos gestrichen und die nächste Verbindung – zugegeben sehr kurz darauffolgend – angezeigt. Ich weiß nicht einmal, ob das allen aufgefallen ist. Nun also Gleis neun. Aus fünf Minuten wurden zehn, was nur an so einem Ticker stand. Was machen Analphabeten oder Blinde in solchen Momenten? Dann wurde das Gleis wieder geändert – zum Glück nur auf das gegenüberliegende, aber es war dennoch für manch einen ein Chaos.
Nun dachte ich, meine Portion Chaos der deutschen Bahn schon verabreicht bekommen zu haben. Morgen und übermorgen würde das somit alles tippitoppi laufen. Was soll ich sagen? Der nächste Tag ist viel schöner. Der Zug kommt pünktlich, ich bin glücklich, die Welt ist schön, bis…ja, richtig, bis der Zug mitten im Nirgendwo nach ca. 20 Minuten Fahrzeit stehen bleibt. Irgendwann kommt dann eine Durchsage. Ein Triebwerksschaden. Da denke ich noch: „Besser hier als im Flieger, gell?“ Nach einer Weile hört man dann den netten Schaffner, den vorher keiner zu Gesicht bekommen hat: „Muss isch drücken den Knopf?“ Ich bin mir recht sicher, der arme Kerl hatte so viel Ahnung von Zügen und der darin befindlichen Technik wie ich. Das klingt so wie eine telefonische Anleitung meines Vaters, wenn bei mir irgendwas nicht läuft. Und dann meldet sich plötzlich der Lokführer. Ja, das sei ein schwerer Triebwerksschaden. Wie es weitergehe? Jo, wenn er es erfahre, teile er es uns mit. Ich muss ja nur zu einem Workshop „Das Vorstellungsgespräch“. Gottseidank ist es kein echtes bei einem potenziellen Arbeitgeber. Zum Schluss sagt der Lokführer dann noch mal lapidar: „Ich melde mich beizeiten.“ Das bringt ihm ungemein Sympathien ein. Als er sich das nächste Mal meldet, klärt er uns auf, wir würden nun rückwärts geschoben, um den letzten Bahnhof anzusteuern. Ich denke spontan an Geisterfahrer auf der Autobahn. Gibt es so was auch im Schienenverkehr? Wir sollen dann doch den Zug auf dem anderen Gleis nehmen, der in Kürze eintreffe. Mache ich dann auch. Doof nur: Der fährt nicht nach Düsseldorf. Wird das erwähnt? Aber nicht doch! Wie langweilig wäre das denn?! Ich frage aber einfach mal ein Mädel, was schon in diesem Zug saß. Nö. Der fährt über Leverkusen, aber nicht über Düsseldorf. Aaaaaaah! Ich steige in Mönchengladbach aus und renne los. Irgendwann gibt es nämlich ein klitzekleines Zeitfenster, in dem es zu einem kurzen Netzempfang im Zug kam, so dass ich Verbindungen raussuchen kann. Wir spielen mit mehreren Leuten Forrest Gump, um die S-Bahn nach Düsseldorf zu erreichen. Und die hält nun an jeder verdammten Haltestelle. Ich werde über eine Stunde später beim Workshop ankommen. Ich bin wütend. Bei den Bahnpreisen wäre ein geregeltes Ankommen im zeitlich kalkulierten Rahmen doch wohl nicht zu viel verlangt, oder? Scheinbar doch.
Und dann betritt eine komplette vierte Schulklasse die S-Bahn. Die machen einen ähnlichen Ausflug wie ich mit meiner damaligen Klasse damals: Es geht nach Wuppertal. Cenk (gesprochen „Dschängk“) berichtet mir regelmäßig, er habe doch nicht gefrühstückt und müsse ganz unbedingt was essen, aber seine Lehrerin verbiete es ihm während der Zugfahrt. Er ist sehr gut im Futter mit seinen dicken Pausbacken und verführt einen fast dazu, ihn in selbige zu kneifen. Ich weiß nicht, wie oft er das mit dem Frühstück erwähnt. Er scheint ein Trauma davonzutragen. Cenk erzählt mir, Türke zu sein, ein iPhone und ein LG zu besitzen, eine Playstation vier usw. Äääh…Dann hätte er ja schon alles und könne sich über nix mehr freuen? Doch, wenn die PS5 rauskäme…oder neue Spiele. Oder über Essen, darüber freue er sich immer. Ich finde ihn klasse. Leander, sein Kumpel, erklärt mir, er sei Serbe. Dabei sieht er aber wie ein Inder aus. Die Augen sind wunderschön…und erst seine Wimpern! Hammer. Ich sage ihm noch, er solle die Mädels nicht alle veräppeln, die hinter ihm her sein würden, wenn er älter wäre. „Warum sollten die hinter mir her sein?“ Cenk ist der Checker: „Die wollen Deine Augen haben!“ Oh je, hoffentlich hat Leander nun keine Albträume von Mädels, die ihm die Augen stehlen wollen. Joel sitzt mir schräg gegenüber. Mit ihm wäre ich früher befreundet gewesen: Blaue Augen, rot-blonde Haare und ein Gesicht voller Sommersprossen. Wo er ist, kann Blödsinn nicht weit weg sein. Er redet die ganze Zeit von Bäumen, denn das sei jetzt gerade Thema in seiner Gang. Klar. Er habe da einen Steakbaum, ob ich ein Steak wolle? Klar, aber nur, wenn er es Medium hinbekäme. Hey, kein Thema. Bei ihm wächst alles auf Bäumen. Ich frage: „Auch Eier?“ Nee, die doch nicht! Und dabei schaut er mich an, als sei ich debil. Die kämen doch von den Hühnern! Aber die, ja, diese Hühner, die wachsen auch am Baum. Herrlich, wenn einen schon so Kleine verarschen. Ein Mädel – ihren Namen weiß ich nicht – sagt zu mir: „Ich hab Angst vor der Schwebebahn.“ Ich tröste sie, wie toll das wäre, mal mit so einer Bahn zu fahren. Ich hätte das damals total genossen. Aber…wenn die denn abstürzen würde? Tut sie nicht. Eine Lehrerin hätte ihnen erzählt, das sei mal passiert. Pädagogisch wertvoll, oder? Ich kann sie beruhigen. Und dann erzählt sie mir von der Türkei, davon, wie viel ihr Vater rauche, was sie voll ekelig fände, und dass sie nach der Autofahrt immer duschen müsse, weil Papa zwar das Fenster beim Piefen öffnen würde, aber der Rauch dennoch hinten ankäme. Die halbe Stunde in der S-Bahn rast dahin, weil die Kinder mir allerhand erzählen. Doof sind nur die Erwachsenen drum herum, die die Augen verdrehen, weil Kinder ja sooo nerven. Ich hätte hingegen keine schönere Fahrt haben können und bin fast schon wieder mit der Bahn versöhnt. Als ich gehen will, sagt Cenk: „Nee, bitte gehen Sie noch nicht! Fahren Sie weiter mit uns!“ Das finde ich echt putzig, aber ich muss ja los zum Workshop, was ich ihm auch erkläre. „Na dann eben viel Spaß da, wo Sie jetzt hin müssen.“ Wieso meckern eigentlich so viele über die heutigen Kinder? Sie sind genau so, wie wir waren: Sie rangeln und raufen, sie kichern und quatschen Blödsinn und haben so unendlich viel Phantasie.
Mein Workshop ist dann zwar ganz nett, aber eindeutig phantasielos. Den üblichen Besserwisser, der alles kann und weiß, haben wir natürlich auch dabei. Und die schönste Überraschung? Der ist morgen als einziger aus dieser Runde auch bei meinem Workshop dabei. Mich zerreißt es schon innerlich vor Freude. Da würde ich lieber den ganzen Tag mit den 10-Jährigen abhängen als mit miesepetrigen Klugscheißern.

Die große Kunst des Loslassens

Loslassen klingt immer so schön. Und jedem ist mehr oder weniger klar, dass er oder sie das tun sollte. Aber wie geht das? Ich wünschte, ich wüsste es. Manches ist tatsächlich so, dass es sich von allein löst. Einfach so. Es löst sich in Wohlgefallen auf. Leider passiert das äußerst selten. In der Regel muss man ganz schön was dafür tun. Ich bin mal ehrlich: So ein netter Schalter, den ich umlegen könnte, wäre mir wesentlich lieber. Und damit könnte ich bestimmt auch gut Geld verdienen. Sollte ich ihn je finden, werde ich ihn unters Volk bringen, so viel ist mal sicher. Bis dahin muss ich mich aber immer wieder damit auseinandersetzen.
Vieles sehe ich ja schon sehr klar – allein, was hilft es mir? Nüscht. Richtig. Denn Wissen heißt noch lange nicht Umsetzen…und erst recht nicht Fühlen. Ich kann schlecht ändern, wie ich geprägt und erzogen wurde. War ja auch nicht alles schlecht. Verbindlichkeit ist da so ein nettes Thema. Ich mag es verbindlich. Ein Wort ist ein Wort – ja, bei mir auch schon mal Wörterbuch. Für mich ist das jedenfalls bindend. So haben es mich meine Eltern gelehrt. Leider hatten viele andere Menschen ganz andere Lehrer, die Verbindlichkeit so gar nicht mehr up to date finden. Das macht es mir bisweilen recht schwer. Aber wer hat versprochen, dass es immer leicht laufen muss?! Eben, keiner.
Genauso wie diese guten Aspekte gibt es aber auch schlechte Glaubenssätze, die mir eingepflanzt wurden – alles aus bester Absicht, ohne Frage. Das macht aber nicht immer das Beste mit mir. Es hindert mich eher. Immer hübsch demütig sein, mag ja ein nettes Credo sein, hilft aber bei Verhandlungen in der Arbeitswelt herzlich wenig. Ich muss keine eiskalte Sau sein, aber zwischen diesen beiden Polen gibt es noch jede Menge Schattierungen. Egoismus ist ein Wort, das bis heute einen fiesen Beigeschmack hinterlässt. Genau so schlimm: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Richtig. Zu viel Hochmut schadet. Und wenn ich mir den ein oder anderen Promi oder Politiker anschaue, kann ich dem nur zustimmen. Allerdings kann das Gegenteil auch nicht zielführend sein. Mit „Ich kann nix…nehmen Sie mich trotzdem? Ich werde auch hübsch demütig sein.“ kann ich keinen Blumentopf gewinnen und ebensowenig einen guten Job ergattern. Wie schüttel ich so was also ab, wie kann ich das loslassen? Dazu dann diese Stimme im Hinterkopf: „Un watt sollen die Leute sagen?!“ Und sind wir mal ehrlich: Die sagen ja immer alle ganz schön viel. Selig sind die dickes-Fell-Besitzer, die Freien, die mal gepflegt auf so was ihre Hinterlassenschaften abseilen. Mein Gott, was wäre ich gerne selig? Bin ich aber nicht.
Erstmal ist es wichtig für mich, das „Problem“ zu erkennen. Juut, da kann ich schon mal fein ein Häkchen hinter setzen. Aber dann? Dann nehme ich es an. Es ist nämlich völlig in Ordnung, mich mit so was herumzuschlagen. Es gibt nur wenige, die darüber reden. Die Erfahrung, die ich damit gemacht habe? Wenn ich offen darüber rede, fangen die anderen auch an. Und siehe da: Ich bin nicht der einzige Depp! Mein Gott, wir sind ja eine große Gruppe! Klar, es gibt sie auch hier: Die Besserwisser und völlig Austherapierten. Sie haben das nicht nötig, wissen, wie es geht und haben so gaaaar keine Probleme. So ein Leben an der Oberfläche hat schon auch was für sich. Kann ich aber nicht. So, nun weiß ich also, dass ich es mir erstens durchaus gestatten darf, mein Problem zu erkennen und ich zweitens nicht allein bin mit meinen kruden Gedanken. Juchuuu! Un nu? Kriege ich auch dafür keine Waschmaschine oder dergleichen.
Steter Tropfen höhlt den Stein, könnte man meinen. Wenn ich es nur lange genug durchkaue, wird es besser. Ja, Matsch am Paddel! Dem ist mal gar nicht so, denn ich kreise und kreise um mich und meine Gedanken herum. Ich muss es einfach mal auf den Tisch packen und nüchtern betrachten. Manchmal hilft dabei auch das gute alte Adenauerkreuz: Pro und Contra. Mir hilft die Frage: Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn ich es anpacke/ anspreche/ durchbreche? Wenn mir dann klar wird, dass es tatsächlich niemals meinen Tod oder den eines anderen bedeutet, werde ich schon mal viel ruhiger. Keine Sache ist doch in der Tat so schlimm, wie ich mir sie in meinem Kopf und meiner Phantasie vorstelle. Die Realität ist in meinem Leben weit weniger grausam, als ich es mir vorher in allen schillernden Farben ausgemalt habe. Und wenn dann da mein Problem so vor mir auf dem Tisch liegt, sieht es auf einmal viel kleiner aus als vorher. Wenn ich dann nüchtern nachdenke, was ich auf der Haben-Seite verbuchen kann, werde ich selber etwas kleinlauter. Meine Oma hat immer gern gesagt: „Nimm Dich selbst nicht so wichtig.“ Hm…dem stimme ich nur bedingt zu. Ja, der Blick darf nicht nur auf mich gerichtet sein, sonst verliere ich mich in meinem Gedankenkarussell noch total. Aber ich bin die wichtigste Person in meinem Leben. Wenn ich mich nicht um mich selbst kümmere, wer soll das für mich dann übernehmen? Das tut nämlich keiner. Es wird also deutlich: Das richtige Maß ist entscheidend. Hin und wieder kann und darf ich auch gerne mal herzhaft über mich selbst und meine Dusseligkeit lachen. Hin und wieder darf ich aber auch mal jammern, zweifeln, hadern, streiten, scheitern. Und wenn sich darüber jemand das Maul zerreißt, wünsche ich ihm oder ihr viel Spaß dabei. So ein Leben muss ganz schön traurig sein, wenn ich mich nur darüber erheben kann, über andere zu hetzen. Da verdient der- oder diejenige mein volles Mitleid.
Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde: Ich lästere auch gerne. Es muss nur nicht immer so böse sein. Und wenn mir mal wieder jemand erzählt, er „habe gehört, dass“, nehme ich mir die Freiheit heraus zu fragen: „Warst Du dabei?“ Einfach mal ausprobieren, denn der Blick, den man dann erntet, ist Gold wert. „Ääääh…nö….wieso???“ Und dann kläre ich auf, dass ich ebenfalls nicht dabei gewesen sei und mir deswegen kein Urteil erlauben könne. Und selbst wenn es sich so zugetragen hätte, kenne ich nicht alle Fakten. Und selbst wenn ich diese Fakten kennen würde, wäre ich nicht in derselben Situation. Zu viele wenn’s aus meiner Sicht. Sollen die betroffenen Leute klären und handeln, was sie tun. Sie müssen ja auch mit den Konsequenzen leben. Damit hat jeder genug zu tun, oder? Manche Menschen entfernen sich bei solchen Aktionen von mir. Und auf diese kann ich von Herzen verzichten.
Ich lasse also los, nämlich diejenigen, die meine Welt mit ihrer negativen Art verpesten. Auf einmal klart die Luft auf. Ich merke, wie viel befreiter ich nun bin. Was „die Leute“ von mir denken, tut mir bisweilen doch noch weh, aber es wird besser. Ich lasse also los…und gewinne so viel damit. Aber keine Sorge…es gibt noch viel mehr, was ich lernen muss, loszulassen. Genau das macht das Leben ja auch irgendwie spannend, oder?

Fehler? Nee… liegt an der Technik!

Warum fällt es heute immer schwerer, Fehler zuzugeben? Wo ist die Fähigkeit geblieben, einfach zu sagen: „Oh. Das geht wohl auf meine Kappe. Es tut mir leid.“ Ich persönlich bin kein bisschen daran interessiert, den Grund zu hören, dass die Technik versagt hat. Einfaches Beispiel: Ich befinde mich gerade im Bewerbungsprozess – äußerst spannend und ein Hoch fürs Selbstwertgefühl…zumindest für die Personaler. Da fängt es ja schon an, welcher Koryphäe man Glauben schenken sollte. Die einen Fachleute sagen: „Bloß keine Hobbys angeben. Das sieht aus, als würden Sie sich nicht mit Haut und Haar in die Firma einbringen wollen.“ Das andere Credo lautet: „Keine Hobbys??? Wollen Sie als Sozialkrüppel gelten?!“ Also macht ein jeder es am besten so, wie es sich für ihn oder sie richtig anfühlt. Aber zu viel Gefühl soll um Himmelswillen bitte auch nicht mit rein. 

Nun habe ich mich nach vielem inneren Ringen für meine Variante entschieden. Die Resonanz? Mäßig bis dürftig. Dabei habe ich ja durchaus auch was zu bieten – dachte ich anfänglich. Wenn man an einem Höhenflug leidet, muss man unbedingt Bewerbungen schreiben. Nichts kocht einen schneller wieder runter. Völlig überraschend meldet sich dann meine liebe Koordinatorin, die ich in Peru kennenlernen durfte. Sie ist warmherzig, lieb und im Grunde zu gut für diese Welt. Sie mailt mich jedenfalls an und fragt, ob sie wohl irrtümlich Mails erhalten habe, die für mich bestimmt wären? Hä? Nu könnte man meinen, wir hätten ähnliche Mail-Adresse, wie „crazybitch76@whatever.com“. Dem ist mal gar nicht so. Die Süße ist nämlich alles, aber garantiert keine crazy Bitch. Ich habe ihr Referenzschreiben mit eingescannt – eines von Minimum 20 Seiten. Wie man da auf das schmale Brett steigen kann, ihr an meiner Stelle eine Mail zukommen zu lassen, erschließt sich mir nicht. Ist auch wurscht, denn nun habe ich die Einladung zu einem Telefoninterview. Jahaaaa, so macht man das heute nämlich erst mal. Man sondiert die Lage am Telefon, bevor sie einen einladen und die Zeche für Anfahrt und gegebenenfalls Unterkunft zahlen müssen. Wie verhalte ich mich nun? Es ist nur ein Gruppenpostfach angegeben und dazu Name und Telefonnummer der Tuse (ja, mit einem s) im Personalbüro. Es ist Mittwochabend, sie ist wohl nicht mehr im Büro, habe ich telefonisch mal getestet. Ich will so ungern mailen, weil ich die Arme decken möchte. Auf das Gruppenpostfach haben nachher mehrere Zugriff, was ihr Ärger bringen könnte. Hallo? Thema Datenschutz. Die Unbekannte ist auch am nächsten Morgen nicht erreichbar…kein Band läuft, nix passiert. Nach drei Versuchen an diesem Tag entscheide ich mich, sie doch anzumailen. Ich mache auf den Umstand aufmerksam, dass mich die Mail dann doch noch erreicht hätte und finde es mehr als bedauerlich, dass Smileys in so einem Kontext nicht angebracht sind. So ein Zwinkersmiley hätte jetzt was. Ich wähle den ersten Interviewvorschlag aus, der bereits morgen Abend wäre. Umgehend schreibt die Tuse dann zurück. Aha…Telefon geht nicht, aber sie ist durchaus im Unternehmen. Sie entschuldigt sich, denn da habe sich wohl ein Fehler beim automatischen Auslesen eingeschlichen. Aaaaaah! Nein, der Fehler liegt ja nie bei der bearbeitenden Frau. „Entschuldigung“ allein hätte vollkommen ausgereicht. Nein, erst muss noch die böse Technik beschuldigt werden. So lernen wir es ja täglich von der Politik. Was sind mir diese Politiksendungen der letzten Wochen auf den Sack gegangen! Und dann die riesige Überraschung, wie viele Stimmen die dämliche AfD erhalten hätte. Ich habe nicht Politikwissenschaften studiert und wusste es schon vorher. Aber auch da war es bestimmt nur die fehlerhafte Auslesetechnik. 

Wie dem auch sei. Der Termin am darauffolgenden Tag war bereits vergeben – ich hatte mehrfach angerufen und nach einem halben Tag (nach Eingang der Mail) reagiert! Nö. Der Termin war weg. Gut, ist nicht meine Schuld…und auch nicht der der Tuse. Es war die Technik, ganz bestimmt. Dann nehme ich eben den Termin am nächsten Arbeitstag, also am Montag. Dies ist mein erstes Telefoninterview für einen Job. Es läuft ganz gut, es plätschert nett dahin. Trotzdem bin ich mir nach ein paar Tagen sicher: Das wird nichts. Und Schuld hat dann einfach die Technik. Es kommt aber dann noch ganz anders. So komisch kann ich manchmal nicht mal denken, wie das Leben so spielt. Und auf eines ist Verlass: Ich kann seeeeeehr komisch denken. Der versprochene Rückruf im Laufe der kommenden Woche bleibt aus. Gut, kann an der Technik liegen, muss es aber nicht. Doof, wie ich bin, teste ich zwischendurch tatsächlich, ob mein Handy wirklich klingelt, wenn ich von meinem Festnetz aus versuche, mich zu erreichen. Meine Technik funktioniert also schon mal. Bingo. Meine Laune wird immer mieser. Das ist – wie die Singles unter uns wissen – wie direkt nach dem Kennenlernen eines Mannes, der einem Gott-weiß-was vorgelabert hat. Man schwebt durch den nächsten Tag, denn er hat ja meine Nummer. Und ratet mal, wer nicht anruft oder schreibt? Richtig, er. Gut, er kann ja einen Unfall gehabt haben? Oder seine Mutter ist ins Krankenhaus eingeliefert worden? Oder…die Technik? Und da testet Frau dann immer mal wieder vom Festnetz aus, ob es denn tatsächlich zu einer Verbindung mit dem Handy kommt. Völlig komisch: Das doofe Handy streikt nie. Und so erkenne ich: Jobsuche ist wie Dating mit einem Kerl nach einem netten Abend in der Stadt – zäh, ernüchternd, desillusionierend. Einen Mann würde ich von mir aus dann natürlich nicht kontaktieren. Da bin ich Steinbock, da bin ich stolz…oder stur….ach, einfach beides. Aber ein potenzieller Arbeitgeber ist ja was anderes. Da muss man sich auch mal erniedrigen. Ich rufe aber nicht direkt montags drauf an, denn soooooo nötig habe ich es dann doch nicht. Ich rufe dienstags an. Tünnemann geht auch ran, ist kurz angebunden und sagt mir, er rufe am Nachmittag an – auf jeden Fall. Aaaaah ja. An so einer Stelle ist doch schon alles klar, aber man will ja Profi sein. Nicht zickig erwidern: „Ach, genau so `auf jeden Fall` wie letzte Woche?!“ Ich bin so stolz auf mich, dass ich mich nur nett sagen höre: „ Aber natürlich. Ich werde erreichbar sein.“ 

Nun kommen wir zum nächsten Punkt: Wie definiert man „Nachmittag“? Für mich? Ab 14 Uhr bis maximal 17 Uhr. Um es kurz zu machen: Ich koche um diese Zeit bereits…nicht in der Küche, sondern in meinem Inneren. Um 17:30 Uhr erhalte ich dann doch noch den Anruf – inklusive Entschuldigung. Und dieses Mal war es nicht die Technik. Nein, es war das Management, denn: Ja, ich wäre es gewesen. Aber die Stelle wurde nun doch nicht bewilligt. In diesem Moment fällt etwas von mir ab. Nein, keine Schuppen oder dergleichen. Einfach Anspannung. Es entsteht der Eindruck, ihn treffe das Ganze mehr als mich. Er hat dafür gekämpft – und zwar deutlich länger als ich für meine Bewerbung. Ich höre mich tröstende, aufbauende Formulierungen zu ihm sagen. Echt, manchmal bin ich der Knaller. Er sagt, er hätte sehr gern mit mir gearbeitet und sollte das Unmögliche doch noch in nächster Zeit passieren, würde er sich melden. Ich glaube ihm…nur sind wir uns beide sicher, dass das Unmögliche nicht eintreten wird. C’est la vie. Wir reden hier nicht von einer kleinen Klitsche, sondern einem größeren Unternehmen. Das Universum will mir wohl was sagen.

Ich mache meinen Frieden, schließlich ist es „nur“ ein Job. Die Arbeitswelt ist nicht lustig, aber noch weniger Spaß machen Bewerbungen. Ich habe noch einiges vor mir, aber ich gebe nicht so schnell auf. Es liegen noch ein paar Wochen voller Selbstzweifel vor mir, mit manch schlechter Laune und bestimmt einigen Niederlagen. Aber immerhin entstehen dabei auch ein paar lustige Geschichten. Wenn ich die nicht mehr sehen kann, wird es ganz schön dunkel. So weit ist es aber noch nicht – Gottseidank.

Anfang

Nun sitze ich hier und fange es tatsächlich an. Was mit der Idee des Reisetagebuchs begann, hat wohl mehr in mir angestoßen. Ich hätte nie mit der Resonanz gerechnet, die ich auf meiner Peruseite verzeichnen konnte. Noch viel weniger hätte ich damit gerechnet, wie sehr es mir fehlen würde, als meine Reise beendet war. Aber meine Reise ist ja gar nicht beendet – lediglich die nach Peru.

Und so schreibe ich nun wieder… ordne meine Gedanken dadurch, schaue sie mir von außen an. Dann kann ich sie entweder loslassen, anders betrachten oder wieder annehmen.

Ich liebe das Meer. Und genau dieses Element ist es, was mich am meisten bewegt und gleichzeitig beruhigt. Alles ist durch Wasser im Fluss. Und so ist der Name „Wellenbrecher“ naheliegend – nicht zuletzt auch, weil eine liebe tolle Freundin und ich vor gefühlt 1000 Jahren eine Firma mit diesem Namen gründen wollten. Das Wasser ist wie das wahre Leben: Es spült die wichtigen Dinge immer wieder heran.

In diesem Sinne: Willkommen auf dieser Seite, auf meiner Reise, in meinem Leben.