Genau so komme ich mir gerade vor. Es ist Sonntagabend, die neue Woche steht kurz bevor. Und täglich grüßt das Murmeltier. Hammer, wie schnell so etwas wie Routine aufkommt. Ich bin noch nicht mal zwei Monate in München, aber es kommt mir echt so vor, als wäre ich schon ewig dabei.
Das Wochenende ist viel zu schnell verflogen. Allerdings war es ein erfolgreiches. Wir haben nicht nur mit vereinten Kräften eine Terrasse abgerissen, nein, ich habe auch noch ein Schlafzimmer ausgesucht und bestellt. Das ging rappzapp. Allerdings kann es auch an der vorangegangenen äußeren Motivation liegen.
Wir – drei Mädels – haben gestern den ganzen Müll zum Wertstoffhof gebracht. Und die Kerle da? Was soll ich sagen? Hot, hotter…und dann kommen diese Jungs. Beim ersten Mal war da ein Typ mit dünnem Zopf (á la: Suche Mann mit Pferdeschwanz, Frisur ist egal) und zusätzlich dünnem Bärtchen, das zusammengebunden war – ganz in weiß. Nein, nicht Roy Black in seinem Song…einfach schon ein etwas in die Jahre gekommener Alt-68er. Dieses Prachtexemplar an Mann trug dazu noch einen Cowboyhut. In der rechten Hand – wie es sich für einen schwer arbeitenden Mann gehört – trug er sie: Die Kaffeetasse.
Während wir Mädels uns also abrackern, kommt dieses Hutzelputzelmännlein herangeschlurft. Fachmännisch prüft er die Sachen, die wir in einem Eimer gesammelt haben. Derweil schleppen wir uns an großen Glasscheiben ab und hören seine Kommentare: „Des…des scheint mia Aluminium zum sein.“ Und am tun-täten war er dabei auch – nämlich mit der Kaffeetasse. „Des…hm…is koa Alu, des is eher…verzinkt…oda?“ Ich schüttel´ den Kopf und laufe weiter – vom Anhänger zum Container und zurück. Das Zöpfchen brabbelt weiter vor sich hin, während es sich an der Kaffeetasse festhält. Gut, das reicht mir. Ich schau´ ihn an und sage frisch von der Leber weg: „Dein Job ist ja auch ganz schön anstrengend, hm?“ Er schaut mich erstaunt an. Ironie scheint etwas, das meilenweit an ihm vorbeigezogen ist. Ääääh… „Jo…?“ „Ja klar. Du musst nur die Kaffeetasse sicher festhalten. Das nenne ich mal ´nen coolen Job, der einen so ganz fordert.“ Er nickt noch leicht debil, bis ihm dämmert, was ich da sage. Ich laufe weiter hin und her.
Als ich nun zurück zum Anhänger komme, ist er weg. Ich bin enttäuscht. Echt schade. Dafür kommt ein Kollege von dem Löckchen. Der ist jetzt mal ohne Ironie echt nett und packt mit an. Allerdings…nun ja…wie kann ich es charmant ausdrücken? Er hat vorne nur noch Haselnüsse in der Schnüss (= Mund – für Nicht-Rheinländer). Ob das mal Zähne waren? Ich weiß es nicht. Es sieht auf jeden Fall schlimm aus. Aber er ist hilfsbereit. Damit kann er zwar diese Stumpen nicht kompensieren, aber es macht ihn zumindest sympathisch.
Zurück am Anhänger sehe ich das Bärtchen wieder – ohne Kaffeetasse! Er wirkt so nackt! Hallo??? Ich frage noch, wieso ihn seine Kaffeetasse plötzlich allein gelassen hätte? Er grinst etwas unsicher und brabbelt was Unverständliches, was mir egal ist. Breit lächelnd drohe ich ihm noch: „Wir kommen gleich mit der nächsten Fuhre wieder!“ Kann man als Drohung oder Versprechen deuten. Ich weiß nicht, wie er das sieht.
Zurück bei meiner Freundin Zuhause, schwärme ich den schwerarbeitenden Männern vor Ort von den heißen Kerlen beim Wertstoffhof vor. Leider berichtet eines der Mädels dann aber von den Haselnüssen im Mund des einen Kerls. Die Männer wiegen sich also in Sicherheit. Das geht doch nicht! Also sage ich kurzerhand, ganz rheinländisch, wie es sich gehört: „Ja, aber…da hat die Zunge doch wenigstens freies Spiel!“ Kurzer Schockmoment, schließlich kennen mich die meisten hier gerade mal seit zwei Wochen oder so. Aber dann lachen sie. Ich höre noch: „Contenance!“, aber darauf habe ich schon immer gepfiffen.
Die nächste Fuhre ist fällig. Zöpfchen ist wieder da – natürlich wieder MIT Kaffeetasse. Als er mich erblickt, ist er zackig verschwunden. Kurz darauf kehrt er zurück – ohne Kaffeetasse. Ich grinse ihn an und sage noch: „Das ging ja mal flott! Nicht dass der Kaffee jetzt kalt wird!“ Bei der dritten Fuhre sehe ich ihn sofort nackig…äääh, also ohne Tasse, aber ansonsten mit seinem heißen Muskelshirt bekleidet.
Alles geht zügig voran, aber die letzte Fuhre dauert und dauert. Klar, wir müssen gerade die Fliesen auf dem Balkon hochstemmen, was die Männer machen. Dann schmeißen sie sie runter, und wir Mädels tragen sie zum Anhänger. Das Zeugs ist sauschwer (was konnte ich in der Nacht hervorragend schlafen!), aber endlich ist es vollbracht. Wir fahren also wieder los. Zöpfchen hat uns wohl schon abgeschrieben, denn dieses Mal ist er wieder unvorbereitet. Er sitzt – im Gegensatz zu sämtlichen seiner Kollegen – im Schatten und trinkt ein Bier. Er ist also auch noch seinem Kaffee untreu geworden! Ich schau´ zu ihm rüber, er sieht mich und ich meine, ein leichtes Zucken wahrzunehmen. „Ach, für Kaffee ist es wohl schon zu spät, hm?“ Es ist gerade mal 13 Uhr. Aber hallo? Wir sind ja auch in Bayern, also reden wir von einem Grundnahrungsmittel. Sofort kommt er rübergeeilt und zeigt emsig bemüht das Etikett. Es ist nämlich alkoholfreies Bier. Als ob mich das auch nur den Hauch eines Fliegenschisses interessieren würde. Herrlich. Ich mag solche Typen.
Hinterher höre ich dann die Geschichte, die sich um ihn rankt. Er soll wohl als junger Mann seiner Mutter morgens gesagt haben, er wolle Brötchen holen. Tatsächlich hat er das auch gemacht, allerdings war er da schon Stunden unterwegs, weil er mit dem Rad gefahren ist und wohl italienische Brötchen haben wollte. Als der Mutter dämmerte, dass etwas nicht stimmen kann, war er wohl schon am Brenner angekommen. Zwei Tage später kam er dann wieder heim. Ob er Brötchen dabei gehabt hat? Woher soll ich das wissen?! Mich hat nur der Kaffee interessiert.
Und was will ich damit sagen? Wer sagt, dass ich immer eine Aussage brauche? Eben. Ich mag nur solche Typen und dass es in solch ländlichen Gegenden immer Geschichten zu ihnen gibt. Wie langweilig wäre das Leben, wenn es nur in den Städten stattfinden würde, wo keiner was über seinen Nachbarn zu tratschen hat?
In diesem Sinne wünsche ich Euch tolle Klatsch- und Tratschgeschichten in der kommenden Woche.
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