Politik ist im Grunde nicht meine Liga. Ich bin froh, diesen Mist nicht machen zu müssen. Ja, auch auf kleiner Ebene ist vieles schon politisch. Aber Vollzeit-Politiker? Das wäre einfach nichts für mich. Es gibt ja ausreichend andere Menschen, die da Ambitionen haben. Nur geht es derzeit wohl auch nicht, keine Stellung zu beziehen. Die Altherren-Politik (ja, auch wenn wir eine Kanzerlin haben) ist nicht mehr das, was es braucht. Dieses Geschachere um Posten, die Masken-Deals und manche Rangelei haben gezeigt, wie die Gier gerade in diesen Reihen deutlich zutagetritt.
Das Phänomen, das nun jedoch Einzug hält, finde ich besonders spannend. Nachdem Laschet zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wurde und einige langjährige Partei-Mitglieder fluchtartig ausgetreten sind (wie ich gestern hörte, sogar in einer Höhe, die es bis dato noch nie gegegen hat), steigt die Furcht davor, die Grünen könnten es werden…also stärkste Partei. Nun oute ich mich, noch niemals grün gewählt zu haben. Schaue ich mir die bislang genannten drei Kandidaten für diese Wahl jedoch mal an, muss ich ganz klar eingestehen: Die Einzige, die ich wählen würde, wäre Annalena Baerbock. Und weil das wohl immer mehr so sehen, kommen jetzt die Angriffe auf eine Art, die weit entfernt ist von fairem Umgang. Da ist das Lautwerden von „Die hat doch keinerlei Regierungserfahrung“ noch fast als sachlich zu bezeichnen. Wobei für mich dieses Argument auch nicht greift, denn wir sehen ja, wohin uns so manche ach so tolle Regierungserfahrung geführt hat. Alle sind sich uneins, die Bevölkerung ist genervt. Was ich allerdings viel schlimmer finde, sind Argumente, wie: „Wie will die das denn mit ihren Kindern vereinbaren?“ Wird diese Frage auch nur einem einzigen Mann gestellt? Sekunde, ich schaue noch mal nach….ah ja, doch, wir schreiben schon noch das Jahr 2021. Ziemlich rückständig, solche Argumente ins Feld zu führen, oder?
Ich habe jetzt einen Artikel dazu gelesen, wie eine Frau ein Gespräch zwischen zwei Männern angehört hat, die ein Argument gebracht haben, das ich erstaunlicherweise auch schon ein paar Mal gehört habe: „Wir hatten doch jetzt 16 Jahre lang eine Frau an der Macht. Jetzt sollte es doch wieder mal ein Mann werden.“ Wenn es danach ginge? Tja, Jungs, da dürftet Ihr Euch warm anziehen, denn dann wären wir noch Jahrtausende im Rückstand! Und es geht nicht ums Geschlecht, sondern darum, wer die Befähigung mitbringt bzw. wen das Volk wählen wird.
Jetzt hat heute mein kleiner Neffe meinen Unmut zu spüren bekommen, den er wohl nicht verdient hat. Er leitet ein Foto von besagter Kandidatin weiter, auf der sie blank gezogen als junge Frau vor einer Kamera posiert hat. Darunter steht süffisant: „Annalena Baerbock und die Jugendsünde! ´Ich war jung und brauchte das Geld´.“ Er hat nur ein Foto weitergeleitet und darüber geschmunzelt. Aber ich habe mich aufgeregt, denn: Die Männer, die gerade am lautesten über so was vom Leder ziehen, sind häufig diejenigen, die sich auf solche Bilder einen runterholen. Ja, ich weiß, ist mal wieder böse. Ist mir aber egal. Solche Männer, die Frauen ausschließlich als Objekt betrachten, bekommen nämlich mittlerweile keine mehr ab, was sie zunehmend frustriert. Wie lautet das schöne Sprichwort: „Wer f*** will, muss freundlich sein.“ Und ihren Frust über all die Ungerechtigkeit in ihrem Leben, lassen sie dann an solchen Frauen aus. Grrrrrrr! Das regt mich auf. Und nein, ich bin kein Anhänger von Annalena Baerbock. Ich werde auch nicht in ihre Partei einsteigen. Und ich bin auch keine Emanze, weil mir das Gendern beispielsweise selbst auf die Nerven geht. Ich schreibe ja auch „kein Anhänger“ und nicht „keine Anhängerin“. Das ist mir wirklich wumpe. Nur müssen sich manche Männer nicht wundern, wenn einige Feministinnen so ins Extrem gehen, weil sie einen Gegenpol zu diesen Hanswürsten bilden. Das ist doch langsam nur noch lächerlich. Diese Herren träumen gerne noch von einem Heimchen am Herd, das Zuhause bleibt, die Brut großzieht, sich bedankt, dass sie ihn bekochen darf und dann immer hübsch devot daherkommt. Ehrlich, mir platzt da langsam echt der Kragen! Und da werde ich auch nicht müde, dagegenzuhalten. Auch wenn man als Frau dann gerne den Kommentar erntet: „Ah, frustrierte alte Kuh. Du gehörst mal ordentlich durchgef***, dann bist Du auch wieder entspannter!“ DAS GEHT NICHT (mehr)!!! Das mag früher lustig gewesen sein, war aber da auch schon daneben und degradierend. Nur heute wird´s nicht mehr so geduldet.
Und was hat das mit Politik zu tun bzw. mit der Fähigkeit, regieren zu können? Nichts. Ich weiß nicht, welche(r) Kanzler*in (ha, jetzt hab´ ich´s doch noch gemacht) der/die Beste sein wird. Jede(r) von den Kandidaten wird Fehler machen. Die machen wir auch alle tagtäglich. Nur sollte das Niveau, auf dem wir uns in einer Diskussion begegnen, ein anderes sein.
Und jetzt? Genieße ich den Sonnenschein und rege mich wieder etwas ab. Diese Wahl wird bis September noch manchmal meinen Blutdruck in die Höhe schnellen lassen – bei meiner Sis ebenso, wie ich vorhin telefonisch mitbekommen habe. Mein Vater hatte interessanterweise auch das Argument gebracht, wie eine Frau Baerbock denn zu regieren gedenke, wo sie doch Mutter sei?! Herrlich, dass es uns beide gleichermaßen auf die Palme treibt. Jeder soll wählen, was er/sie/es für richtig hält. Mal schauen, ob ich meine Meinung noch mal ändere? Aber je mehr man auf die „junge Frau“ einhaut, desto mehr Frauen wird das auf den Plan rufen, sich zu solidarisieren. Einfache Rechnung, die auch ein sexistisch ausgeprägter Mann auf die Kette kriegen sollte – oder???
Ich stimm dir voll zu. Wahrscheinlich sollten wir konsequent von nun an jeden Familienvater fragen, wie er Job und Kinder unter den Hut bring. So einfach, um sich mal nen Tipp zu holen 😉 Und dazu kommt noch, dass ich immer mehr das Gefühl habe, die ältere Generation, die da am Regieren ist, hat mit dem Planen der Zukunft schon lange aufgehört. Die Zukunft der nächsten Generationen scheint da jedenfalls kaum mehr jemand im Blick zu haben, obwohl die das dann ausbaden muss.
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Das klingt mal nach ’nem richtig guten Vorschlag. 😊 Ich mag ja auch, wenn mein Chef zu mir sagt: „Du verdienst doch gut – für eine Frau in Deinem Alter.“ Ääääh… manchmal wünsche ich mir dann schon einen Baseballschläger.
Ich hab keine Kinder und muss diesen Spagat nicht hinbekommen. Ich glaube, dass es ein riesiges Plus ist, wenn mal jemand regiert, der jünger ist, Kinder hat und frischen Wind reinbringt. Ich ziehe nach wie vor meinen Hut vor Frau Merkel. Aber jetzt darf auch mal was Neues ran. Und wieso kein „Experiment“ mit jemandem, der mal völlig anders ist? Es wird Zeit für einen Wandel. Und – wenn es möglich ist – einfach ohne Hass und Hetze.
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Boah, das ist ja auch ein Satz!!! Da verschlägt es einem glatt die Sprache. Schauen wir mal, was die nahe Zukunft bringt 😉
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