Ich werde einfach zu alt, schätze ich. Wofür? Für durchzechte Nächte. Auch wenn sie natürlich schön sind. Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich endlich noch mal in einem Irish Pub. Es gab sogar Livemusik. Ein Träumchen…wenn´s nur nicht so übersteuert gewesen wäre. Dabei spielte die Band ganz gut. Erinnerungen an meine alten Aachen-Zeiten krabbeln in mir hoch, weshalb ich aus nostalgischen Gründen wirklich Cider bestelle. Es schmeckt auch noch wie früher: Irgendwie sind nur die ersten paar Schlucke echt lecker. Trotzdem war es eine coole Zeit damals. Ich möchte die nicht noch mal durchleben, aber rückblickend hatten wir echt verdammt Spaß. Nur hat alles seine Zeit. Da braucht mir auch keiner zu seufzen.
Im Irish Pub fließt der Alkohol. Es gibt sie ja einfach, diese Abende, an denen man alles verträgt. Radler, Cider, Tequila, Rum und sogar einen rauchigen Whisky. Da ich den noch nie getrunken habe, habe ich mich überreden lassen. Nicht zuletzt denke ich dabei an Jamie (was vermutlich ausschließlich Frauen verstehen können). Der Whisky riecht wie ein ganzes Torffeuer. Irgendwie hat das was. Ich werde bestimmt keine Kennerin und Liebhaberin dieses Getränks. Aber wenn ich mir vorstelle, in einer urigen Spelunke in Schottland oder Irland zu hocken, während es draußen stürmt und regnet, dann hat das einen gewissen Reiz. Zumindest ist für Freitagnacht auch Regen angekündigt…der dann aber nur in ein paar Tröpfchen seinen Auftritt gibt, den ich leider vollkommen verpasse, weil ich ja im Pub sitze. Als wir spät nachts – und immer noch nicht betrunken – den Laden verlassen, ist es nach wie vor warm. Leider ist die S-Bahn Stammstrecke in den Sommerferien immer übers Wochenende gesperrt, was mehr als nervig ist. Mit Schienenersatzverkehr (oh je, da denke ich gerade wieder an Elsterglanz) wird eine Alternative geboten. Wenn man aber nun nicht gaaaaanz so ortskundig ist, ist das gar nicht so ohne. Umso glücklicher bin ich, dass ich bis zur S-Bahn Begleitschutz habe. Alles in allem schließe ich meine Wohnungstür irgendwann um kurz nach drei Uhr morgens auf…wohlwissend, dass ich in ein paar Stunden mit meinem jüngsten Onkel und seiner Frau verabredet bin.
Aber was tut man sich nicht alles an, oder? Wochenlang…ach was, manchmal monatelang passiert nichts. Durch Corona ist das irgendwie schon fast normal geworden. Und jetzt? Ist irgendwie häufiger Programm angesagt. Ich will mich nicht beschweren, auf keinen Fall! Allerdings schleppe ich mich schon müde durch den gestrigen Tag. Zum krönenden Abschluss setze ich abends sogar noch Aprikosenlikör an. Hoffen wir mal, dass sich der Aufwand lohnt, wenn ich das Ergebnis in ca. acht Wochen abseihen und umfüllen darf. Wenn auch Whisky nicht mein Lieblingsgesöff wird, so ist Likör es dann doch. So ein „lecker Liköööörschen“ hat durchaus was an trüben Herbst- und Wintertagen, auf die ich mich ja wie Bolle freue.
Spannend sind dann gestern allerdings schon die Gespräche. Natürlich kommen wir nie ganz um Familienthemen drumherum – ganz einfach, weil ich natürlich schon auch neugierig bin. Mein Onkel ist auch über jüngste Geschehnisse, die mein Vater so betreibt, entsetzt und fassungslos. Nur gehört er zu der anderen Fraktion: „Ich will mich da gar nicht mit befassen. Es ist schlimm und traurig, aber ich frage gar nicht mehr nach. Ich will einfach nur meine Ruhe und meinen Frieden haben.“ Er ist lieb und – wie man bei uns landläufig sagt – „der Kreech neet schood“. Und da er der Jüngste ist, nimmt ihn auch keiner als vollwertig erwachsen wahr, was lächerlich anmutet, da er mittlerweile 62 Jahre alt ist. Nur wissen es die Älteren natürlich besser. Dabei war es der Jüngste, der die Mutter und den behinderten Onkel gepflegt hat – zusammen mit seiner Frau. Die anderen können nur Reden schwingen, wie sozial sie doch sind.
Einmal habe ich sie vertreten und bei meinem Großonkel übernachtet und ihn versorgt, als die beiden ausnahmsweise mal Urlaub hatten. Zu der Zeit lag meine liebe, demente Omma mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus. Plötzlich wurde sie aber von heute auf morgen entlassen, was natürlich eine ganz andere Hausnummer war. Und da meine Mom sich Sorgen gemacht hat, wurde mein damaliger Freund nach Hause geschickt und durch meine Mom ersetzt. Eines Morgens wurden wir dann durch Stimmen im Erdgeschoss geweckt. Wie von der Tarantel gestochen sind meine Mom und ich die Treppe runtergeflitzt, um meine Omma und meinen Großonkel in trauter Zweisamkeit am Tisch sitzen zu sehen und über das Leben quatschen zu hören. Ääääh, mit einem erst vor acht oder zehn Tagen erfolgten Oberschenkelhalsbruch?! Aufgrund der Demenz konnte sich meine Omma daran nicht erinnern, weshalb sie einfach aus dem Gitterbett gekrabbelt ist. Ihr könnt Euch unseren verstörten Blick vorstellen?! Unbezahlbar.
Keine Ahnung, wieso, aber ich frage meine Tante, weshalb eigentlich ich damals auf die beiden aufgepasst und dort übernachtet hab´? Ich war zu dem Zeitpunkt 18 oder 19 Jahre alt. Meine Tante stutzt: „Hm…gute Frage. Ich vermute, dass Du Dich angeboten hast. Aber jetzt, wo Du fragst…stimmt, sie hatte ja auch noch einige Töchter, die das hätten machen können.“ Genau. Aber es war die Enkelin, die die Verantwortung ganz selbstveständlich übernommen hat. Alles ein bisschen schräg.
Und so zieht sich das wie ein roter Faden durch mein Leben. Wobei meine Kollegen es gerade ganz hipp finden, diesen „fil rouge“ zu nennen, während ich mir an den Kopf packen muss. Sei es drum. Verantwortung bzw. ihre Übernahme war immer mein Thema. Da frage ich mich schon manchmal, woher das kommt? Meine Mom war da ähnlich unterwegs, also auch zupackend und verantwortungsbewusst. Aber ganz so arg wie bei mir, war es bei ihr nicht. Und mein Vater? Der hat immer davon gesprochen, es aber nie gelebt. Wie also kommt so was zustande? Und vor allem: Wie kann ich mich dem mal besser entziehen? Schon komisch: Während manche so nach dem Motto „me first“ leben und gut auf sich schauen (muss ja nicht schlecht sein), gibt es die anderen, die meinen, sie müssten die Welt und alle darin retten. Manchmal gehe ich mir damit selbst ganz schön auf den Sack. Aber es ist so ein Automatismus, der ständig bei mir anspringt. Hin und wieder schaffe ich es dann aber schon, mich ganz bewusst zurückzulehnen und mal nicht zu retten, zu organisieren, zu verantworten. Das darf ein bisschen mehr werden – also das Zurücklehnen und Zuschauen. Denn es klappt dann ja auch ganz gut. Na also!
Kommentar verfassen